Ausgabe 4/2007 - Deutsche Olympische Gesellschaft

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Jugend-Spiele, Putin-Spiele Eine erste Bilanz: IOC-Präsident Jacques Rogge zwischen Anspruch und Wirklichkeit Von Günter Deister Selten haben Widersprüche eine so exakte Zustandsbeschreibung geben können wie bei der 119. Vollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees in Guatemala-Stadt. Gleich am Anfang überantwortete das IOC des Jacques Rogge die Winterspiele 2014 an das Sotschi des Wladimir Putin. Einen Tag später erklärte der IOC-Präsident den Olympiern, wie bedeutsam der Umweltschutz für seine Organisation sei. Sein erstmals der Session in Form einer 12 Video-Show präsentierter Beitrag handelte vom Thema: "Wie das IOC die olympischen Werte am Leben erhalten kann und welchen Einfluss sie auf seine Programme haben". Deutlich zu Tage trat eine olympische Welt, die in einem tiefen Zwiespalt lebt zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Das IOC machte jenen Kandidaten zum Sieger, der für die Ausrichtung der übernächsten Winterspiele enorme Eingriffe in die Natur des Kaukasus plant, unter heftigem Protest von Umweltschutzor-
ganisationen und größtem Bedenken der UNESCO. Zugleich will das IOC, erst vor wenigen Monaten von einer anderen Unterorganisation der Vereinten Nationen zum "Champion of the Earth" gekürt, seine Anstrengungen zum Schutz der Umwelt noch verstärken. Für die Präsidentschaft des Jacques Rogge stellen sich solche Widersprüche als besonderes Dilemma dar. Als der 65 Jahre alte belgische Comte 2001 das Amt vom spanischen Marques Juan Antonio Samaranch übernahm, wollte er mehr Demokratie wagen, das Ansehen des IOC durch eine Null- Toleranz-Politik gegen Doping und Korruption stärken, eine Wertedebatte entfachen, die Olympischen Spiele kostengünstiger und überschaubarer veranstalten, bei gleichzeitiger Modernisierung. Sechs Jahre später, zur Halbzeit einer voraussichtlich bis 2013 reichenden Präsidentschaft, fällt die Bilanz sehr unterschiedlich aus. Viel ist Rogge gelungen, viel hat er erst lernen müssen. Vieles konnte nicht gelingen, weil die Erbschaft zu schwer, die Zeit für langfristige Reformen zu kurz, die Widerstände zu groß und die Umstände dagegen waren. Samaranch hat die olympische Welt autokratisch regiert - und durch Freundschaften. Sie gründeten sich auf Geben und Nehmen. Eingeweiht in die Kernpolitik war nur sein Küchenkabinett. Standen wichtige Vorhaben an, dann schickte der Spanier seine Vertrauten los, um Stimmungen zu ergründen und zu beeinflussen. Im Gegensatz zu einer vorherrschenden Einschätzung war Samaranch ein vorsichtiger Regent, der nur eine Entscheidung wagte, wenn er sich des Sieges sicher sein konnte. So hat er in seiner 21-jährigen Präsidentschaft so gut wie keine Abstimmungsniederlage erlitten, sieht man einmal von Olympia-Entscheidungen ab. Samaranch wollte 1996 nicht Atlanta sondern Athen und 2000 nicht Sydney sondern Peking als Ausrichter von Sommerspielen. Mit Rogge zog ein Stilwandel in das Olympic House in Lausanne ein, er war geprägt von Integrität, Eloquenz, Sparsamkeit und einer auch persönlichen Kontrolle, die selbst vor Reisekostenabrechnungen von IOC-Mitgliedern nicht Halt machte. Zum wichtigsten Helfer und Vertrauten wurde der Schweizer Gilbert Felli, den er vom Sportdirektor zum Exekutivdirektor für Olympische Spiele beförderte. Rogge suchte zunächst die demokratische Abstimmung. Er gab der Meinungsbildung einen freien Lauf. Anfangs ließ er mit seinen Plänen und Ideen selbst das Exekutivkomitee bis zuletzt im Unklaren. Allerdings einem eher schwachen, vor allem durch Proporz besetzten Führungsgremium. Die Gestaltung des olympischen Programms macht das unterschiedliche Vorgehen der beiden letzten IOC-Präsidenten besonders deutlich und zeigt zugleich, welch schweres Erbe Rogge angetreten hat. Samaranch betrieb Wachstum fast um jeden Preis und weitete die Sommerspiele mit 28 Sportarten, über 300 Wettkämpfen und bis zu 12.000 Athleten ins Gigantische. Der Spanier subventionierte die beteiligten internationalen Verbände mit hohen Millionensummen und zog sich somit Teilhaber heran, deren Überleben in nicht wenigen Fällen von ihrer olympische Existenz abhängt. Abstimmungen über Sportarten wurden immer mehr zu Abstimmungsschlachten des Lobbyismus. Das Programm geriet für Samaranch zu einem unsteuerbaren Problem. Er wusste, dass er die Enteignung der Vollversammlung um eines ihrer wenigen Rechte, nämlich die Sportarten selbst und nicht durch die Exekutive zu bestimmen, nicht durchsetzen konnte. Also versuchte er es erst gar nicht. Am Ende seiner Präsidentschaft sagte Samaranch, "bei der Programmgestaltung habe ich versagt". Rogge betrat ein vermintes Feld, als er schon ein Jahr nach Amtsantritt die Wende herbeiführen wollte. Im ersten Anlauf scheiterte ein versuchter Platzverweis für Softball, Baseball und Modernen Fünfkampf. 2005 erlebte der IOC-Präsident ein Debakel, als die Vollversammlung zwar Softball und Baseball heraus wählte, aber dem Belgier danach den Wunsch auf Aufnahme von Golf und Rugby versagte. Mit entscheidend war ein höchst demokratisches, aber überaus kompliziertes System von Einzelabstimmungen. Daraus hat Rogge eine Konsequenz gezogen, die man eine gelenkte Demokratie nennen könnte mit der wieder auferstandenen Akklamation als wichtigstem Instrument. In Guatemala- Stadt setzte er durch, dass nicht nur wie bisher bei der Abwahl, sondern auch bei der Aufnahme neuer Sportarten lediglich noch eine einfache Mehrheit in der Vollversammlung notwendig ist. Die Regelung beinhaltet eine Ausdehnung der Programmherrschaft des Exekutivkomitees über Disziplinen und Wettbewerbe hinaus: Nach 26 Sportarten bei den Spielen in London 2012 soll es vier Jahre später 26 Kernsportarten und zwei Wahlsportarten geben, 2020 heißt die Formel 25 plus drei. Das Vorschlagsrecht liegt bei der 15köpfigen IOC-Regierung, abgestimmt werden soll jeweils nur im Gesamten. Das macht auch deshalb Sinn, weil es ein Votum über ein Gesamtkonzept werden soll. Für jemanden, der sich eine Modernisierung des Programms zum Ziel gesetzt und zur größeren Flexibilität zunächst eine Zahl von 15 Kernsportarten angestrebt hat, sind diese Veränderungen aber nur ein höchst relativer Erfolg. Allerdings gehört zu Rogges Bilanz auch das nicht geringe Verdienst, das olympische Wachstum gebremst zu haben. Veränderte demokratische Umgangsformen wandte der Belgier auch an, als es um die Einführung der Olympischen Jugendspiele und um die Wiederwahl von 27 IOC-Mitgliedern ging. Diese Wiederwahl nach einer achtjährigen Amtsperiode war nach dem Korruptionsskandal um den erfolgreichen Olympia-Bewerber Salt Lake City 1999 aus gutem Grund beschlossen und damals weitgehend applaudiert werden. Immerhin hatte sich das IOC ein für dringend notwendig 13
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