Ausgabe 4/2007 - Deutsche Olympische Gesellschaft
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Was as macht eigentlich ...?<br />
Jürgen May<br />
Von Steffen Haffner<br />
Nostalgietreffen in Oberrodenbach bei Hanau. Eine kleine<br />
Runde hat sich im Haus von Jürgen und Bärbel May<br />
zusammengefunden: Außer dem gastgebenden Ehepaar<br />
der langjährige Freund Karl Eyerkaufer und Bruder Ulrich May mit<br />
ihren Frauen. Es ist der 27. Juli. Ein besonderes Datum. Denn<br />
genau vor vierzig Jahren haben sich der Weltrekordläufer und<br />
DDR-Sportler des<br />
Jahres 1965 Jürgen<br />
May und seine<br />
Freundin (und<br />
spätere Frau) in den<br />
Westen abgesetzt.<br />
Beim Gespräch im<br />
nahen Schloss<br />
Philippsruhe wird<br />
die Vergangenheit<br />
wieder lebendig.<br />
Der Wunderläufer<br />
von einst erinnert<br />
sich an die bangen<br />
Stunden: "Wir<br />
hatten uns an der<br />
ungarischen Grenze<br />
versteckt. Endlich<br />
kam das Fluchthelferauto,<br />
ein riesiger<br />
amerikanischer<br />
Straßenkreuzer mit<br />
dem Namen Taifun,<br />
der erst meine<br />
Freundin und dann mich nach Österreich brachte. Eingezwängt in<br />
einen Hohlraum zwischen Armaturenbrett und Kotflügel, stand<br />
jeder von uns anderthalb Stunden lang Todesängste aus. Unser<br />
Glück: Die Ungarn waren technisch nicht so gut ausgerüstet wie<br />
die Grenzsoldaten der DDR, die mit ihrem Gerät unsere Herztöne<br />
gehört hätten. Als wir in Österreich aus unserm Versteck befreit<br />
wurden, waren wir so stocksteif, dass wir uns erst einmal nicht<br />
bewegen konnten." Die spektakuläre Flucht wirkte lange nach: "Ich<br />
habe noch an die zwanzig Jahre davon geträumt: Sie haben mich<br />
geschnappt. Ich bin wieder in der DDR und komme nicht mehr<br />
raus."<br />
46<br />
Schon 1964 bei den <strong>Olympische</strong>n Spielen von Tokio hegte der<br />
damals Zweiundzwanzigjährige Fluchtgedanken. Und das, obwohl<br />
er als Sportidol der DDR viele Privilegien genoss. "Ich habe ganz<br />
jung schon die ganze Welt gesehen. Aber ich habe immer im<br />
Hinterkopf gehabt: Es kann mal ganz schnell mit dem Sport vorbei<br />
sein, und dann bin ich eingesperrt zwischen Ostsee und Thüringer<br />
Wald. Das war wie<br />
ein Trauma für<br />
mich." Auch hielten<br />
ihn keine familiären<br />
Bande. Der Vollwaise,<br />
dessen Vater im<br />
Krieg gefallen und<br />
dessen Mutter kurz<br />
nach dem Zusammenbruchgestorben<br />
war, wuchs im<br />
zerstörten Nordhausen<br />
bei Pflegeeltern<br />
auf. Sein<br />
älterer Bruder<br />
setzte sich 1954 in<br />
den Westen ab.<br />
Die dramatische<br />
Wende im Leben<br />
des 1.000-Meter-<br />
Weltrekordlers<br />
(2:16,2 Minuten)<br />
und 1.500-Meter-<br />
Europarekordlers (3:36,4) ereignete sich 1966 bei der Leichtathletik-Europameisterschaft<br />
in Budapest. Der Mittelstreckenläufer Karl<br />
Eyerkaufer und der ehemalige Rekordsprinter Heinz Fütterer<br />
steckten ihm im Auftrag der Sportartikelfirma Puma 100 Dollar<br />
und ein Paar Laufschuhe zu. Der gefeierte Vorzeige-Athlet des<br />
"Arbeiter-und-Bauern-Staates", der im Trikot von Turbine Erfurt 18<br />
Mal DDR-Meister geworden war, konnte sich nicht vorstellen,<br />
welche Konsequenzen diese Lappalie für ihn haben sollte. Während<br />
der Langstreckenläufer Jürgen Haase, der ebenfalls von Puma<br />
geködert worden war, als reuiger Sünder mit einer Verwarnung<br />
davon kam, sperrte der <strong>Deutsche</strong> Verband für Leichtathletik (DVfL)