Plastische Chirurgie 8: Supplement 2 (2008) - DGPRÄC
Plastische Chirurgie 8: Supplement 2 (2008) - DGPRÄC
Plastische Chirurgie 8: Supplement 2 (2008) - DGPRÄC
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
40 Jahre <strong>DGPRÄC</strong> Prolog<br />
Emanzipation vom Zeitgeist<br />
Anmerkung zur Lage der <strong>Plastische</strong>n <strong>Chirurgie</strong><br />
Ursula Schmidt-Tintemann<br />
Emanzipation ist die Befreiung von Abhängigkeiten.<br />
Es geht dabei aber nicht immer nur um die<br />
Befreiung der Frau. Diese Emanzipation ist in der<br />
<strong>Plastische</strong>n <strong>Chirurgie</strong> längst Geschichte und nicht nur ein<br />
Verdienst der Chirurginnen, sondern auch der Chirurgen,<br />
mit denen sie seit vielen Jahrzehnten gut zusammengearbeitet<br />
haben.<br />
Jetzt, so meine ich, geht es um eine andere Emanzipation.<br />
Wenn auch um eine, die um nichts leichter einzufordern<br />
und durchzusetzen ist. Es geht um die Emanzipation der<br />
<strong>Plastische</strong>n <strong>Chirurgie</strong> von der Despotie eines Zeitgeistes,<br />
der einen Teil unseres Metiers zum chirurgischen<br />
Kundendienst degradieren will. Ideologischer Druck,<br />
Bevormundungen durch Mode oder durch das, was man<br />
„lifestyle“ nennt, sind nichts Neues in der langen<br />
Geschichte unseres Fachs. Oft konnte die <strong>Plastische</strong><br />
<strong>Chirurgie</strong> dem widerstehen. So im 19. Jahrhundert, als<br />
sich Chirurgen wie Johann Friedrich Dieffenbach oder<br />
Eduard Zeis über das Vorurteil hinwegsetzten, angeborene<br />
oder erworbene Entstellungen seien, weil von der<br />
Vorsehung verfügt, geduldig zu ertragen. In anderen<br />
Zeiten wurde die <strong>Plastische</strong> <strong>Chirurgie</strong> in ideologische<br />
Fesseln gelegt. Die Operationen, die der Bologneser<br />
Tagliacozzi 1597 beschrieb, wurden bekanntlich von<br />
einem theokratischen Zeitgeist jahrhundertelang in den<br />
Bereich bloßer Aufschneiderei verbannt. Bis dann der<br />
<strong>Plastische</strong> Chirurg Ferdinand von Graefe 1811, also mehr<br />
als zweihundert Jahre später, nach Tagliacozzis An wei -<br />
sungen erfolgreich operierte.<br />
Heute sind es ein gnadenloser Jugendwahn und eine groteske<br />
Überbewertung des Äußeren, die unser Fach be -<br />
sonders dann gefährden, wenn manche unserer Prota -<br />
gonisten diesem Zeitgeist auch noch hinterher laufen.<br />
Wo hört das auf, was die ärztlichen Pioniere unseres Fachs<br />
als <strong>Plastische</strong> <strong>Chirurgie</strong> verstanden,<br />
und wo beginnt der bloße<br />
Kundendienst mit dem Skalpell?<br />
Dieser Frage sollten wir uns<br />
stellen. Die Grenze scheint zwischen<br />
dem großen und imponierenden<br />
Bereich der ärztlich<br />
indizierten plastisch-chirurgischen<br />
Eingriffe und dem kleinen<br />
Bereich der nicht indizierten<br />
zu liegen. Also dort, wo oft<br />
zweit rangig wird, ob das Risiko<br />
U. Schmidt-Tintemann<br />
das Resultat aufwiegt, ob<br />
erreicht werden kann, was der<br />
Patient (nennen wir ihn zu -<br />
nächst noch so!) sich erträumt und ob der Eingriff nicht<br />
nur machbar ist, sondern auch in dessen bestem Interesse<br />
liegt. Vor allem also in jenem Teil der <strong>Plastische</strong>n<br />
<strong>Chirurgie</strong>, der sich „ästhetisch“ nennt, und mit diesem<br />
misnomer versucht, den inflationären Reklamebegriff<br />
„Schönheitschirurgie“ zu umgehen.<br />
Die junge Vereinigung der Deutschen <strong>Plastische</strong>n<br />
Chirurgen hatte bei ihrer ersten wissenschaftlichen<br />
Tagung, die ich 1970 in München ausrichten durfte, als<br />
Hauptthema die psychologischen und soziologischen<br />
Implikationen der <strong>Plastische</strong>n <strong>Chirurgie</strong>. Neben anderen<br />
Wissenschaftlern waren zu diesem Thema Frederick<br />
Hacker aus Los Angeles und Julien Reich aus Melbourne<br />
gekommen und der Frankfurter Psychiater Alexander<br />
Mitscherlich fragte: „Welcher Arzt, der seine Patienten<br />
nicht nur als Anlässe für medizinisch-technische<br />
Erwägungen kennengelernt hat, sondern als ihm verwandte,<br />
konflikthafte Wesen, mag sich noch mit<br />
Plattheiten wie der Eitelkeitsdiagnose abgeben?“<br />
1<br />
<strong>Plastische</strong> <strong>Chirurgie</strong> 8 (Suppl. 2) � <strong>2008</strong>