<strong>1933</strong>aufzusuchen, sie kommt ganz von selber und handelt nach der Regel,dass der Abschied von altvertrauten Büroräumen leichter fällt, wenn dieSchemel zerbrochen an der Wand liegen und aus den Akten ein Freudenfeuerangezündet wird, während der Hauswirt die Schadenersatzrechnungpräsentiert. Selbst hartgesottene Individual<strong>ist</strong>en halten es daherfür besser, beizeiten nachzugeben. Wenn sie dann einander begegnen,schimpfen sie wohl auf die Gesinnungslumpen um sich herum, siezwinkern sich auch gegenseitig zu, sie selber brächten dergleichen Opferselbstverständlich nur zur Tarnung. Aber was tut’s? Mit der Zeit gewöhnensich bewährteste Reaktionäre ebenso wie Rotfront<strong>ist</strong>en an die brauneFarbe, und keinerlei noch so verbräunte reservatio mentalis ändertetwas am äußeren Sieg der Bewegung. Was gegnerisch <strong>ist</strong>, verschwindetvon der Bildfläche. Die großen Parteien fallen, Gewerkschaften und Unternehmerverbändewerden beseitigt, sämtliche Logen, die me<strong>ist</strong>en Vereineund Bünde hören auf zu bestehen, kurzum, auf der ganzen Liniewird tabula rasa gemacht. Wir dürfen hinter diesem gewaltmäßigenVorgang keine systematische Planung vermuten. Im Gegenteil, es gehtwirr und planlos zu. Wiederum <strong>ist</strong> es ein und dieselbe unaufhaltsame,innere Dynamik, die die siegreiche Bewegung zu ihren unersättlichenVorstößen treibt. Der ihr innewohnende, unbestimmbare Drang lässtsich einfach nicht mehr abbremsen, be<strong>vor</strong> nicht die restlose Nivellierungunseres gesamten völkischen Lebens erreicht <strong>ist</strong>.“ 146„Nachdem die breite Masse derart aus ihrer Gleichgewichtslage geraten<strong>ist</strong>, kommt alles, wie es gar nicht anders kommen kann. Da keiner gernder dumme Letzte sein möchte, überstürzen sie sich samt und sonders,tunlichst zu den neunmalklugen Ersten zu gehören . . . Doch sie alle begreifen,dass Verstocktheit keinesfalls mehr am Platze <strong>ist</strong>. Und damitihre Aufgeschlossenheit sich recht vernehmbar kundtue, sprechen sievon jetzt an monatelang in denselben revolutionären Vokabeln. Sie prägensich die Namen ihres Gauleiters ein, sie merken sich die Rangabzeichenaller nächstwohnenden SA-Führer, und mit besonderem Eifer beteiligensie sich an dem atemberaubenden Wettrennen um die niederenMitgliedsnummern. Diese sind nicht einmal billig. Die Partei lässt sichihre Wahlschulden gleich doppelt und dreifach zurückerstatten . . . Alleüberschlagen im stillen Herzenskämmerlein, ob sie ohne derartige spendenfreudigeRückversicherung ihres lieben Nächsten sicher sind. Hat146 Gisevius I, S. 12954
<strong>1933</strong>nicht jeder einmal mit seiner Portierfrau Streit gehabt oder dem Kohlenhändlertüchtig die Meinung gesagt? Hand aufs Herz, wer <strong>hat</strong> noch niemalseinen unbotmäßigen Dienstboten herausgeworfen oder seinemabermals Vorschuss begehrenden Handlungsgehilfen barsch die Tür gewiesen?Wie, wenn . . . ? Sorgenvoll schlägt das volksgenössische Gewissen.Denn eine Revolution präsentiert mit unheimlicher Gedächtnisschärfelängst vergilbte Rechnungen, nicht nur die h<strong>ist</strong>orischen, sondernauch die allerpersönlichsten. Ein Alpdruck quält darum nächtens solcheUnglückseligen, über deren politische Zuverlässigkeit noch das Testatihres Hauswartes oder des Betriebszellenobmanns aussteht. Deshalbhaben sie es alle so eilig.Wohl treibt viele unter ihnen die Bege<strong>ist</strong>erung. Aber mindestens ebensoviele Schlauberger fliehen in die NSDAP. Schlauere tun ein wenig mehrund laufen überdies zur SA. Noch Klügere tippen auf die SS, währenddie Gerissensten sich einen Amtswalterposten bei irgendeinem der neugegründeten Verbände verleihen lassen, etwa beim Luftschutz oder derWinterhilfe. Schlaue, Kluge und Gerissene sind sich jedoch in einem völligeinig: ein sichtbares Abzeichen <strong>ist</strong> gut, indessen weit besser nochzieht man sich hurtig eine Uniform an. In diesen erregten <strong>Wochen</strong> <strong>hat</strong>man lieber seinen unverbindlich-verbindlichen braunen Schutzheiligenzu Hause als irgendeinen verjährten Konflikt mit dem SA-Mann in derNachbarschaft. Bald sind Zivil<strong>ist</strong>en eine seltene Ausnahme in dem gebräuntenStraßenbild der Städte. Sie werden entweder als Ausländer angeglotztoder gelten als suspekt. Ein ganzes geschlagenes <strong>Jahr</strong> wird esdauern, bis diese braune Pracht – dann allerdings über Nacht und nahezuvollständig wieder verschwindet.“ 147„Hieraus erklärt sich ohne Umschweife, warum die schwarz-weiß-rotenKoalitionsgenossen jetzt so schnell ausfallen. Sie kommen bei diesemStimmaufwand und Marschtempo nicht mehr mit. Ihre schönge<strong>ist</strong>igen<strong>Es</strong>says, erst recht ihre gutherzigen Beteuerungen, an dem viel gefeiertenErfolge nicht ganz unbeteiligt zu sein, werden von den Braunhemdenüberschrien und von der faszinierten Menge inmitten allen Siegeslärmsüberhört. Fast über Nacht werden sie zu »Auchnationalen« und könnenfroh sein, wenn sie schnell noch als »Märzgefallene« Unterschlupf beider Partei oder SA finden. Liegt das bloß an dem schnöden Undank dernationalsozial<strong>ist</strong>ischen Parteiführer? Nein, das Volk will selber in diesen147 Gisevius I, S. 126-12855
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