<strong>1933</strong>noch enthüllt sich das Geheimnis. Langsam, wie eine dicke zähflüssigeMasse, fließt der Strom der Zeugen und der Sachverständigen <strong>vor</strong>über.Jeder sagt ein längst bekanntes Sprüchlein herunter; keiner hinterlässteinen nachhaltigen Eindruck. Ungeahnt langweilig <strong>ist</strong> die Verhandlung,die sich geschlagene drei Monate hinschleppt. Jedes Mal, wenn sich einedramatische Verwicklung anzuspinnen beginnt, wiegelt der temperamentloseVorsitzende ab, und die sowieso schon halb entschlummerteZuhörerschaft versinkt erneut in Apathie.“ 171Marinus van der Lubbe, der 24 <strong>Jahr</strong>e alte Hauptangeklagte aus Holland,hinter dem die Flammen hochgeschlagen waren, als er beim Verlassendes Reichstages gestellt und verhaftet wurde, klebt wie „ein erloschenerLichtstumpf“ 172 auf der Anklagebank und schweigt. Politisch ausgedient<strong>hat</strong>te er freilich schon, als einen Tag danach die Kommun<strong>ist</strong>ische Parteiin Deutschland ausgeschaltet worden war. Von einem Kommun<strong>ist</strong>en <strong>hat</strong>der gerade fünf <strong>Jahr</strong>e ältere Hans-Bernd allerdings eine Vorstellung, diesich mit der Erscheinung dieses Wirrkopfes nicht deckt. <strong>Es</strong> bleibt auchfraglich, ob dieser jugendliche Held Kontakt mit einer kommun<strong>ist</strong>ischenGruppe <strong>hat</strong>te. Van der Lubbe führte nach Hans-Bernds persönlichemEindruck ein genormtes Vagabundendasein und ergänzt: „Wer je dieseszusammengeschrumpfte Etwas betrachtet <strong>hat</strong>, wird dieses Jammerbildnie mehr vergessen.“ 173 Während sich der jugendliche Held völlig sicher<strong>ist</strong>, dass er das große Gebäude ganz allein in Brand gesetzt <strong>hat</strong>, <strong>ist</strong> sichder Rest der Welt sicher, dass das gar nicht möglich <strong>ist</strong>. „Gegen LubbesBehauptung, er sei der Alleintäter, steht die vereinte Front der Sachverständigen.Brandpolizei wie Gerichtschemiker stimmen darin überein,dass eine Mehrzahl von Tätern am Werke gewesen sein muss.Die Vielzahl der festgestellten Brandherde, besonders die schnelle Ausbreitungdes Feuers <strong>ist</strong> anders überhaupt nicht verständlich. Die Gutachterlachen, wenn Lubbe ihnen weismachen will, seine paar Kohlenzünderhätten den Reichstag in Brand gesteckt. Eine ganze Gruppe musssich betätigt haben, und diese Kolonne <strong>hat</strong> sich augenscheinlich einerbestimmten, leicht entzündbaren Flüssigkeit bedient.“ 174171 Gisevius I, S. 39172 Ebd., S. 40173 Gisevius I, S. 40174 Ebd., S. 36f.66
<strong>1933</strong>Als peinlich empfindet der Berufseinsteiger auch den Auftritt von ErnstTorgler: „Man muss sich immerhin <strong>vor</strong>stellen, dass er kein x-beliebiger,irgendwo aufgegriffener Kommun<strong>ist</strong> <strong>ist</strong>. Außer Thälmann <strong>ist</strong> er wohl derbekannteste Führer der deutschen kommun<strong>ist</strong>ischen Partei, auf derenStufenleiter er es bis zum Vorsitzenden der Reichstagsfraktion gebracht<strong>hat</strong>.“ Weiter schreibt der Beobachter: „Nein, dieser Mann <strong>ist</strong> kein Held.An seiner traurigen Haltung erwe<strong>ist</strong> sich überzeugend <strong>vor</strong> dem Tribunalder Geschichte, warum trotz 1918, trotz der großen Wirtschaftskrise von1930 bis <strong>1933</strong> die Roten nicht zum Zuge kamen. Wenn man bedenkt,welch ungeheure Machtquelle in der marx<strong>ist</strong>isch organisierten Arbeitermasseihrer politischen Auswertung harrte, und sich daran erinnert,dass sich aus dieser Menschenfülle nur eine Gruppe von sicherlich achtbaren,aber me<strong>ist</strong> unzulänglichen Funktionären herauslöste, dann erstversteht man das Scheitern der deutschen Arbeiterbewegung. DieserTorgler hockt auf der Anklagebank und meint, er müsse sich von demVorwurf der Brandstiftung reinwaschen. Ein blöder Zufall – oder war esdie Teufelei seiner politischen Gegner? - <strong>hat</strong> ihn noch einmal ins helleRampenlicht gestellt. Wenigen Desperados wurde solch ein Abgang vonder politischen Bühne geboten. Doch kein Volkstribun schmettert dieletzte Fanfare. Statt dessen bittet da jemand um einen Freispruch fürseine kleinbürgerliche Ex<strong>ist</strong>enz.“ 175Als Glanzpunkt des Prozesses <strong>vor</strong> dem Reichsgericht feiert Hans-BerndGisevius den Auftritt des bulgarischen Kommun<strong>ist</strong>en Georgi Dimitroff:„Ein Raunen geht durch den Saal, sobald er sich erhebt.“ 176 Als Anarch<strong>ist</strong>war Dimitroff in Bulgarien zu insgesamt 32 <strong>Jahr</strong>en schwerer Kerkerhaftverurteilt worden und <strong>ist</strong> über die Sowjetunion nach Deutschland geflüchtet.Zufällig gerät er in die Verhaftungswelle, die durch Berlin geht.Am 27. Februar hielt er sich aber in München auf und kann sich somitsicher sein, dass er nicht schuldig gesprochen werden kann. Grinsendkommentiert Gisevius, es sei „zwar keiner im ganzen Saal, der Dimitroffnicht einen Angriff gegen die bürgerliche Ordnung zutrauen würde, aberhinsichtlich des Reichstagsbrands <strong>ist</strong> ihm wirklich nichts anzuhaben.“Dr. Gisevius merkt an: „Nicht einen Augenblick vergisst Dimitroff, dasser politischer Angeklagter <strong>ist</strong>. Die Anklage der Brandstiftung als solchelässt ihn völlig kalt, wie ihn auch seine Vorstrafen nicht beschweren.175 Gisevius I, S. 44ff.176 Ebd., S. 4267
- Seite 1 und 2:
1933Das neue Jahr hat vor wenigen W
- Seite 3 und 4:
1933und siegestrunken stürmt er au
- Seite 5 und 6:
1933Weil am 30. Januar Hitler jetzt
- Seite 7 und 8:
1933der Gleichberechtigung des Reic
- Seite 9 und 10:
1933Die ersten Gehversuche der dipl
- Seite 11 und 12:
1933erste Mal auf Übersetzungsschw
- Seite 13 und 14:
1933Gefreite, wie der Reichspräsid
- Seite 15 und 16: 1933wehr identischer mit den Aufgab
- Seite 17 und 18: 1933mann Hans Speidel*, 35, der im
- Seite 19 und 20: 1933gut, dass er heute Abend gleich
- Seite 21 und 22: 1933tung der Bestimmungen von Versa
- Seite 23 und 24: 1933wie viele zu Hause sind oder be
- Seite 25 und 26: 1933Dr. Gerlich und Freiherrn v. Ar
- Seite 27 und 28: 1933vorgesehen, eine gerichtliche V
- Seite 29 und 30: 1933deutung 83 . Der Verfassungsrec
- Seite 31 und 32: 1933einem Paar war seit Augustin Do
- Seite 33 und 34: 1933in eine Zeitung reinkommt. Es i
- Seite 35 und 36: 1933sein, solange ihm nicht ein gle
- Seite 37 und 38: 1933ten einsperrten, habe ich gesch
- Seite 39 und 40: 1933der nächsten Straßenecke halt
- Seite 41 und 42: 1933Wenn Deutschland im revolution
- Seite 43 und 44: 1933die Gelegenheit für seinen eig
- Seite 45 und 46: 1933immer noch die schönste Freude
- Seite 47 und 48: 1933Uns’re Frauen gern mithalten,
- Seite 49 und 50: 1933wird euch nicht überwintern la
- Seite 51 und 52: 1933Untergliederungen beizutreten,
- Seite 53 und 54: 1933Höhen emporklettern, mit aller
- Seite 55 und 56: 1933nicht jeder einmal mit seiner P
- Seite 57 und 58: 1933Juli 1933 sein juristisches Ass
- Seite 59 und 60: 1933Ministers, des Reichsbankpräsi
- Seite 61 und 62: 1933und zu Moskau unterkühlt. Im S
- Seite 63 und 64: 1933land wieder in eine fast völli
- Seite 65: 1933Tage in vielen Auslandszeitunge
- Seite 69 und 70: 1933Der Uniformenfimmel des dicken
- Seite 71 und 72: 1933dem Leben trachtet, soll hinger
- Seite 73 und 74: 1933ist gut.“ 193 Berichten Deuts
- Seite 75 und 76: 1933können, ist bald peinlich ber
- Seite 77 und 78: 1933Der Diplomat Kordt verweist dar
- Seite 79 und 80: 1933hohe Regierungsstellen durch fa
- Seite 81 und 82: 1933überführten Holländer für e
- Seite 83: 1933bürger sich im ersten Revoluti