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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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Wissenschaft<br />

mit. Und sein Vater, der Soldatenkönig<br />

Friedrich Wilhelm I., verpflichtete Afri -<br />

kaner als musizierende Einheizer für die<br />

preußische Armee.<br />

Auch in anderen deutschen Landesteilen<br />

wurde durch die Rechtsprechung indirekt<br />

die Sklaverei anerkannt, obwohl es diese<br />

auf deutschem Boden offiziell nie gab. Im<br />

Streitfall des einstigen Sklaven Yonga gegen<br />

seinen früheren Herrn Franz Christian<br />

von Borries mussten die fürstlichen lippischen<br />

Räte mangels eigener juristischer<br />

Expertise ein Gutachten von Rechtsgelehrten<br />

der Universität Rinteln in der Grafschaft<br />

Schaumburg einholen. <strong>Der</strong>en Urteil<br />

war niederschmetternd für Yonga.<br />

Weder die Ankunft in einem Land, das<br />

die Sklaverei nicht kannte, noch die christliche<br />

Taufe Yongas wurden von den Koryphäen<br />

aus Rinteln als triftige Gründe gegen<br />

die Rechtmäßigkeit des Sklavenstatus anerkannt.<br />

Bestätigt wurde hingegen die Auffassung<br />

des Beklagten Borries, der argumentierte:<br />

»Er war und blieb aber bey alle<br />

dem Sclave und mein leibeigener<br />

Knecht auch bar erkauftes Eigen -<br />

thum. Und ich konnte zu den niedrigsten<br />

Diensten gemeiner christlicher<br />

Knechten ihn gebrauchen.«<br />

Auch wenn Yonga nach der Leidenszeit<br />

unter der Fuchtel des Geheimrats<br />

schließlich freikam: Sein<br />

Leben blieb umschattet. Er zeugte<br />

sieben Kinder mit seiner Ehefrau<br />

aus dem Lippischen, lebte mit dieser<br />

Großfamilie allerdings in bedrückender<br />

Armut. 1798 starb Yonga<br />

etwa 47-jährig wohl an Tuberkulose.<br />

Nach derzeitigem Forschungsstand<br />

ist er der einzige aus Afrika<br />

nach Deutschland Verschleppte,<br />

der auf rechtlichem Weg eine Entschädigung<br />

für sein Sklavendasein<br />

eingefordert hatte.<br />

Anders als etliche Leibeigene, die sich<br />

vor Gericht gegen ihr Joch auflehnten, tauchen<br />

Sklaven überhaupt vergleichsweise<br />

selten in den Prozessakten des damaligen<br />

Deutschen Reichs auf. Dafür gibt es Mallinckrodt<br />

zufolge einen Grund, der ein<br />

Schlaglicht auf die dramatischen Umstände<br />

der Versklavung wirft: Die Verschleppten<br />

waren zum Zeitpunkt ihrer Entführung<br />

häufig noch Kinder. In der neuen, fremden<br />

Umgebung waren ihre Besitzer die einzigen<br />

Bezugspersonen und dadurch sogar<br />

emotionale Stützen.<br />

Die neuen Herren begegneten ihrem<br />

menschlichen Besitz derweil in der Regel<br />

mit einer kruden Mischung aus Verachtung<br />

und einer befremdlichen Fürsorglichkeit.<br />

<strong>Der</strong> uckermärkische Adlige Joachim<br />

Erdmann von Arnim wollte etwa in seinem<br />

Kammermohren »einen wilden, ungesitteten<br />

und liederlichen Menschen« erkannt<br />

haben, den er mit Religionsunterricht<br />

zu disziplinieren versuchte.<br />

Armeemusiker Sabac el Cher*: Seltenes Happy End<br />

Auch der Kolonialoffizier der Britischen<br />

Ostindien-Kompanie, Carl von Imhoff,<br />

hatte seine beiden Kindersklaven taufen<br />

lassen. Als ihm jedoch Unterhalt und<br />

Erziehung für »meine Mohren« zu viel<br />

wurde, versuchte er händeringend, den<br />

lästig gewordenen Besitz zu verschenken.<br />

Als potenzielle neue Eigentümer hatte<br />

er wahlweise den Lyriker und Goethe-<br />

Freund Carl Ludwig von Knebel oder<br />

dessen Zögling, Friedrich Ferdinand Konstantin<br />

von Sachsen-Weimar-Eisenach,<br />

ausgemacht.<br />

»Mein kleiner Schwarzer wird das<br />

Glück haben, Ihnen diesen Brief zu bringen,<br />

und ich empfehle ihm Ihres guten Vorworts.<br />

Seine Durchlaucht der Herzog können<br />

mit ihm machen, was sie Lust haben,<br />

selbst behalten oder weiterschenken«,<br />

schrieb Imhoff in einem Brief an Knebel –<br />

ergänzt durch die Bitte, »daß seine Erziehung<br />

besorgt wird«.<br />

Manchen der geraubten jungen Afrikaner<br />

gelangen in der neuen Heimat allerdings<br />

verblüffende Karrieren. Anton Wilhelm<br />

Amo wurde um 1700 im heutigen<br />

Ghana geboren. Als etwa Vierjähriger<br />

wurde er nach Europa verschleppt, wo er<br />

an den Hof des Herzogs Anton Ulrich<br />

von Braunschweig-Wolfenbüttel geriet.<br />

Dort wurde er gefördert, machte Abitur,<br />

studierte und lernte neben Deutsch<br />

Latein, Griechisch, Hebräisch und Französisch.<br />

Amo studierte Jura und Philosophie<br />

und wurde der erste afrikanischstämmige<br />

Doktor der Philosophie in Europa. Als Dozent<br />

lehrte er an den Universitäten Wittenberg,<br />

Halle und Jena – ehe der Wunder -<br />

knabe 1739 plötzlich spurlos verschwand.<br />

Missgunst und Fremdenhass hatten ihn<br />

wohl zur Flucht getrieben. 1747 kehrte er<br />

nach über 40 Jahren wieder nach Ghana<br />

zurück, wo er fortan in ärmlichen Verhältnissen<br />

lebte.<br />

* Gemälde von Emil Doerstling, 1890.<br />

Als sprachbegabter Plauderer und<br />

talentierter Schachspieler erwies sich<br />

der um 1721 wohl in Nigeria geborene<br />

Angelo Soliman. Er war nach einer Odyssee<br />

durch diverse Fürstenhäuser in den<br />

Haushalt des Fürsten Joseph Wenzel<br />

von Liechtenstein gekommen. Er wurde<br />

in Wiens feinere Kreise aufgenommen,<br />

machte sich in der Freimaurerloge »Zur<br />

wahren Eintracht« mit Mozart bekannt<br />

und galt als geschätzter Gesprächspartner<br />

von Kaiser Joseph II. Eine geheime<br />

Heirat ließ ihn bei seinem Herrn in Ungnade<br />

fallen; den folgenden Rauswurf<br />

konnte Soliman durch Ersparnisse kompensieren.<br />

Seinem Tod 1796 folgte jedoch ein unwürdiges<br />

Schauspiel: Sein Leichnam wurde<br />

als Ausstellungsobjekt präpariert und<br />

im Wiener Hof-Naturalienkabinett ausgestellt.<br />

Mit Lendenschurz, Federkrone und<br />

Muschelketten bekleidet, inszenierten die<br />

Kuratoren der Sammlung den Geistesmenschen<br />

als edlen Wilden.<br />

Ein seltenes Happy End war hingegen<br />

<strong>August</strong> Sabac el Cher beschieden.<br />

Prinz Albrecht, der jüngste<br />

Bruder von König Friedrich Wilhelm<br />

IV., hatte den Jungen aus dem<br />

Sudan 1843 als Geschenk des ägyptischen<br />

Herrschers von einer Reise<br />

mit nach Preußen gebracht.<br />

Orientalisch gekleidet mit einem<br />

Fes auf dem Kopf, begleitete Sabac<br />

el Cher den Prinzen als persönlicher<br />

Diener auf Reisen. Schließlich<br />

stieg er sogar zum Aufseher über<br />

dessen Tafelsilber auf. Für seine<br />

Dienste wurde er mit einer goldenen<br />

Taschenuhr und sieben Orden<br />

belohnt. Sein Sohn Gustav diente<br />

der kaiserlichen Familie in Freiheit:<br />

1890 war er der einzige Afrodeutsche,<br />

der eine preußische Infan -<br />

terieuniform trug. Als Unteroffizier spielte<br />

er im Musikkorps des Füsilierregiments<br />

Nr. 35 »Prinz Heinrich von Preußen«.<br />

<strong>Der</strong> letzte Sklave wurde 1854 nach<br />

Deutschland gebracht: <strong>Der</strong> Brasilianer<br />

Friedrich Wilhelm Marcellino war mit seinem<br />

Herrn, einem deutschen Arzt mit Namen<br />

Ritter, nach Berlin gekommen – und<br />

zwar alles andere als freiwillig.<br />

Für seine Freilassung kämpfte Marcellino<br />

im vermeintlich fortschrittlichen<br />

Berlin jedoch vergebens. Die Besitzrechte<br />

seines Eigentümers wurden gerichtlich<br />

bestätigt – ein Vorgang, der Empörung<br />

unter den Geistesgrößen der Zeit her -<br />

vorrief. So machte sich der Naturfor -<br />

scher Alexander von Humboldt für eine<br />

Gesetzesänderung stark, die aber erst<br />

1857 kam.<br />

Fortan war der Zustand der Sklaverei<br />

mit Betreten des preußischen Bodens<br />

automatisch aufgehoben. Frank Thadeusz<br />

DEUTSCHES HISTORISCHES MUSEUM / BPK<br />

104 DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong>

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