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Wissenschaft<br />
mit. Und sein Vater, der Soldatenkönig<br />
Friedrich Wilhelm I., verpflichtete Afri -<br />
kaner als musizierende Einheizer für die<br />
preußische Armee.<br />
Auch in anderen deutschen Landesteilen<br />
wurde durch die Rechtsprechung indirekt<br />
die Sklaverei anerkannt, obwohl es diese<br />
auf deutschem Boden offiziell nie gab. Im<br />
Streitfall des einstigen Sklaven Yonga gegen<br />
seinen früheren Herrn Franz Christian<br />
von Borries mussten die fürstlichen lippischen<br />
Räte mangels eigener juristischer<br />
Expertise ein Gutachten von Rechtsgelehrten<br />
der Universität Rinteln in der Grafschaft<br />
Schaumburg einholen. <strong>Der</strong>en Urteil<br />
war niederschmetternd für Yonga.<br />
Weder die Ankunft in einem Land, das<br />
die Sklaverei nicht kannte, noch die christliche<br />
Taufe Yongas wurden von den Koryphäen<br />
aus Rinteln als triftige Gründe gegen<br />
die Rechtmäßigkeit des Sklavenstatus anerkannt.<br />
Bestätigt wurde hingegen die Auffassung<br />
des Beklagten Borries, der argumentierte:<br />
»Er war und blieb aber bey alle<br />
dem Sclave und mein leibeigener<br />
Knecht auch bar erkauftes Eigen -<br />
thum. Und ich konnte zu den niedrigsten<br />
Diensten gemeiner christlicher<br />
Knechten ihn gebrauchen.«<br />
Auch wenn Yonga nach der Leidenszeit<br />
unter der Fuchtel des Geheimrats<br />
schließlich freikam: Sein<br />
Leben blieb umschattet. Er zeugte<br />
sieben Kinder mit seiner Ehefrau<br />
aus dem Lippischen, lebte mit dieser<br />
Großfamilie allerdings in bedrückender<br />
Armut. 1798 starb Yonga<br />
etwa 47-jährig wohl an Tuberkulose.<br />
Nach derzeitigem Forschungsstand<br />
ist er der einzige aus Afrika<br />
nach Deutschland Verschleppte,<br />
der auf rechtlichem Weg eine Entschädigung<br />
für sein Sklavendasein<br />
eingefordert hatte.<br />
Anders als etliche Leibeigene, die sich<br />
vor Gericht gegen ihr Joch auflehnten, tauchen<br />
Sklaven überhaupt vergleichsweise<br />
selten in den Prozessakten des damaligen<br />
Deutschen Reichs auf. Dafür gibt es Mallinckrodt<br />
zufolge einen Grund, der ein<br />
Schlaglicht auf die dramatischen Umstände<br />
der Versklavung wirft: Die Verschleppten<br />
waren zum Zeitpunkt ihrer Entführung<br />
häufig noch Kinder. In der neuen, fremden<br />
Umgebung waren ihre Besitzer die einzigen<br />
Bezugspersonen und dadurch sogar<br />
emotionale Stützen.<br />
Die neuen Herren begegneten ihrem<br />
menschlichen Besitz derweil in der Regel<br />
mit einer kruden Mischung aus Verachtung<br />
und einer befremdlichen Fürsorglichkeit.<br />
<strong>Der</strong> uckermärkische Adlige Joachim<br />
Erdmann von Arnim wollte etwa in seinem<br />
Kammermohren »einen wilden, ungesitteten<br />
und liederlichen Menschen« erkannt<br />
haben, den er mit Religionsunterricht<br />
zu disziplinieren versuchte.<br />
Armeemusiker Sabac el Cher*: Seltenes Happy End<br />
Auch der Kolonialoffizier der Britischen<br />
Ostindien-Kompanie, Carl von Imhoff,<br />
hatte seine beiden Kindersklaven taufen<br />
lassen. Als ihm jedoch Unterhalt und<br />
Erziehung für »meine Mohren« zu viel<br />
wurde, versuchte er händeringend, den<br />
lästig gewordenen Besitz zu verschenken.<br />
Als potenzielle neue Eigentümer hatte<br />
er wahlweise den Lyriker und Goethe-<br />
Freund Carl Ludwig von Knebel oder<br />
dessen Zögling, Friedrich Ferdinand Konstantin<br />
von Sachsen-Weimar-Eisenach,<br />
ausgemacht.<br />
»Mein kleiner Schwarzer wird das<br />
Glück haben, Ihnen diesen Brief zu bringen,<br />
und ich empfehle ihm Ihres guten Vorworts.<br />
Seine Durchlaucht der Herzog können<br />
mit ihm machen, was sie Lust haben,<br />
selbst behalten oder weiterschenken«,<br />
schrieb Imhoff in einem Brief an Knebel –<br />
ergänzt durch die Bitte, »daß seine Erziehung<br />
besorgt wird«.<br />
Manchen der geraubten jungen Afrikaner<br />
gelangen in der neuen Heimat allerdings<br />
verblüffende Karrieren. Anton Wilhelm<br />
Amo wurde um 1700 im heutigen<br />
Ghana geboren. Als etwa Vierjähriger<br />
wurde er nach Europa verschleppt, wo er<br />
an den Hof des Herzogs Anton Ulrich<br />
von Braunschweig-Wolfenbüttel geriet.<br />
Dort wurde er gefördert, machte Abitur,<br />
studierte und lernte neben Deutsch<br />
Latein, Griechisch, Hebräisch und Französisch.<br />
Amo studierte Jura und Philosophie<br />
und wurde der erste afrikanischstämmige<br />
Doktor der Philosophie in Europa. Als Dozent<br />
lehrte er an den Universitäten Wittenberg,<br />
Halle und Jena – ehe der Wunder -<br />
knabe 1739 plötzlich spurlos verschwand.<br />
Missgunst und Fremdenhass hatten ihn<br />
wohl zur Flucht getrieben. 1747 kehrte er<br />
nach über 40 Jahren wieder nach Ghana<br />
zurück, wo er fortan in ärmlichen Verhältnissen<br />
lebte.<br />
* Gemälde von Emil Doerstling, 1890.<br />
Als sprachbegabter Plauderer und<br />
talentierter Schachspieler erwies sich<br />
der um 1721 wohl in Nigeria geborene<br />
Angelo Soliman. Er war nach einer Odyssee<br />
durch diverse Fürstenhäuser in den<br />
Haushalt des Fürsten Joseph Wenzel<br />
von Liechtenstein gekommen. Er wurde<br />
in Wiens feinere Kreise aufgenommen,<br />
machte sich in der Freimaurerloge »Zur<br />
wahren Eintracht« mit Mozart bekannt<br />
und galt als geschätzter Gesprächspartner<br />
von Kaiser Joseph II. Eine geheime<br />
Heirat ließ ihn bei seinem Herrn in Ungnade<br />
fallen; den folgenden Rauswurf<br />
konnte Soliman durch Ersparnisse kompensieren.<br />
Seinem Tod 1796 folgte jedoch ein unwürdiges<br />
Schauspiel: Sein Leichnam wurde<br />
als Ausstellungsobjekt präpariert und<br />
im Wiener Hof-Naturalienkabinett ausgestellt.<br />
Mit Lendenschurz, Federkrone und<br />
Muschelketten bekleidet, inszenierten die<br />
Kuratoren der Sammlung den Geistesmenschen<br />
als edlen Wilden.<br />
Ein seltenes Happy End war hingegen<br />
<strong>August</strong> Sabac el Cher beschieden.<br />
Prinz Albrecht, der jüngste<br />
Bruder von König Friedrich Wilhelm<br />
IV., hatte den Jungen aus dem<br />
Sudan 1843 als Geschenk des ägyptischen<br />
Herrschers von einer Reise<br />
mit nach Preußen gebracht.<br />
Orientalisch gekleidet mit einem<br />
Fes auf dem Kopf, begleitete Sabac<br />
el Cher den Prinzen als persönlicher<br />
Diener auf Reisen. Schließlich<br />
stieg er sogar zum Aufseher über<br />
dessen Tafelsilber auf. Für seine<br />
Dienste wurde er mit einer goldenen<br />
Taschenuhr und sieben Orden<br />
belohnt. Sein Sohn Gustav diente<br />
der kaiserlichen Familie in Freiheit:<br />
1890 war er der einzige Afrodeutsche,<br />
der eine preußische Infan -<br />
terieuniform trug. Als Unteroffizier spielte<br />
er im Musikkorps des Füsilierregiments<br />
Nr. 35 »Prinz Heinrich von Preußen«.<br />
<strong>Der</strong> letzte Sklave wurde 1854 nach<br />
Deutschland gebracht: <strong>Der</strong> Brasilianer<br />
Friedrich Wilhelm Marcellino war mit seinem<br />
Herrn, einem deutschen Arzt mit Namen<br />
Ritter, nach Berlin gekommen – und<br />
zwar alles andere als freiwillig.<br />
Für seine Freilassung kämpfte Marcellino<br />
im vermeintlich fortschrittlichen<br />
Berlin jedoch vergebens. Die Besitzrechte<br />
seines Eigentümers wurden gerichtlich<br />
bestätigt – ein Vorgang, der Empörung<br />
unter den Geistesgrößen der Zeit her -<br />
vorrief. So machte sich der Naturfor -<br />
scher Alexander von Humboldt für eine<br />
Gesetzesänderung stark, die aber erst<br />
1857 kam.<br />
Fortan war der Zustand der Sklaverei<br />
mit Betreten des preußischen Bodens<br />
automatisch aufgehoben. Frank Thadeusz<br />
DEUTSCHES HISTORISCHES MUSEUM / BPK<br />
104 DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong>