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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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Wirtschaft<br />

Verkalkuliert<br />

Luftfahrt Vor einem Jahr ging Air Berlin pleite. Konkurrent Lufthansa soll die Insolvenz aus<br />

Eigeninteresse aktiv befördert haben. Recherchen belegen das Gegenteil: Demnach<br />

kämpfte Konzernchef Carsten Spohr sogar um die Rettung der Fluglinie – allerdings vergebens.<br />

DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong><br />

D<br />

en 11. <strong>August</strong> 2017 hat Carsten<br />

Spohr, 51, noch in Erinnerung –<br />

allerdings nicht in besonders guter.<br />

<strong>Der</strong> Lufthansa-Chef war am<br />

Freitagnachmittag von Frankfurt nach<br />

München geflogen, um das Wochenende<br />

daheim mit seiner Frau und seinen zwei<br />

Töchtern zu verbringen.<br />

Das Wetter versprach kühl zu bleiben,<br />

aber das machte nichts. Schließlich musste<br />

Spohr ohnehin dauernd telefonieren. Aber<br />

das ahnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.<br />

<strong>Der</strong> erste Anruf kam nach Schilderung<br />

von Vertrauten abends gegen<br />

halb neun. Da war Spohr erst<br />

kurze Zeit zu Hause. Ein früherer<br />

Kollege war dran, Thomas Winkelmann,<br />

seit Kurzem Chef des<br />

fi nanziell angeschlagenen Wett -<br />

bewerbers Air Berlin. Sein Unternehmen<br />

sei pleite, teilte er dem<br />

verdutzten Spohr mit. <strong>Der</strong> Großaktionär,<br />

die arabische Fluglinie Etihad,<br />

habe den Geldhahn zugedreht.<br />

Nun bleibe nur noch der<br />

Gang zum Konkursrichter. Er hoffe<br />

aber, die Flugzeuge zumindest<br />

vorüber gehend weiterfliegen lassen<br />

zu können.<br />

Spohr war geschockt. Dass der<br />

Konkurrent klamm war, wusste<br />

man in der Branche seit Langem.<br />

Doch am Ende hatten Etihad und<br />

die Regierung in Abu Dhabi immer<br />

wieder Geld zugeschossen. Erst<br />

Anfang Mai war Spohr zusammen<br />

mit der Bundeskanzlerin in dem Emirat<br />

gewesen. Da hatten die Scheichs noch beteuert,<br />

Air Berlin für mindestens anderthalb<br />

Jahre weiter zu unterstützen.<br />

Für Spohr begann »eines der intensivsten<br />

Wochenenden, die ich je erlebt habe«,<br />

wie er später den Lufthansa-Mitarbeitern<br />

schrieb. Allein am Samstag hing er drei<br />

Stunden mit zeitweise bis zu acht Gesprächspartnern<br />

am Handy. Am Sonntag<br />

sogar noch länger.<br />

Was damals in zahllosen Krisengesprächen<br />

zwischen dem Lufthansa-Chef, Winkelmann,<br />

Politikern und Vertretern des<br />

Luftfahrt-Bundesamts besprochen wurde,<br />

dürfte in die Luftfahrtgeschichte eingehen.<br />

Immerhin war es neben Alitalia der einzige<br />

Fall der Nachkriegszeit, in dem es in<br />

Europa gelang, eine Fluglinie trotz Insolvenz<br />

vorerst weiterzuführen.<br />

Ein Verdienst vor allem der Bundes -<br />

regierung, die Druck machte. Sie stützte<br />

Air Berlin mit einem Übergangskredit in<br />

Höhe von 150 Millionen Euro, um zu verhindern,<br />

dass Zigtausende Urlauber fern<br />

der Heimat stranden und die Bundestagswahl<br />

verpassen würden. So steht es im Beihilfebeschluss<br />

der EU-Kommission für das<br />

Darlehen.<br />

Lufthansa-Chef Spohr<br />

Mit acht Gesprächspartnern am Handy<br />

Seither ist ein Jahr vergangen, und es<br />

ist Zeit für eine Zwischenbilanz. Sie fällt<br />

glimpflich aus. So schlimm, wie zunächst<br />

angenommen, ist es nicht gekommen.<br />

Den Air-Berlin-Angestellten drohe<br />

Lohndumping und Massenarbeitslosigkeit,<br />

hatten die Gewerkschaften gewarnt. Inzwischen<br />

haben rund 85 Prozent der einst<br />

8000 Air-Berlin-Mitarbeiter wieder einen<br />

Job, wenn auch meist zu schlechteren Konditionen.<br />

Auch die befürchtete Preisexplosion auf<br />

innerdeutschen und europäischen Strecken<br />

blieb bis auf einige Exzesse im Herbst<br />

2017 aus. Nach neuesten Zahlen sind die<br />

Ticketpreise im Schnitt sogar gesunken.<br />

Eine Ausnahme bilden nur Monopolstrecken,<br />

die exklusiv von einer einzigen Airline<br />

bedient werden. Aber das war auch<br />

schon vor der Air-Berlin-Pleite so.<br />

<strong>Der</strong> Wettbewerb um die Gunst der Kunden<br />

ist inzwischen sogar so hart, dass den<br />

Fluglinien die Maschinen ausgehen. Die<br />

Folgen müssen die Passagiere ausbaden –<br />

in Form massenhaft verspäteter oder gestrichener<br />

Flüge (SPIEGEL 30/<strong>2018</strong>).<br />

Ein Gerücht allerdings hält sich hartnäckig,<br />

und es ist auch mit Fakten und Argumenten<br />

nicht aus der Welt zu schaffen. Die<br />

Air-Berlin-Pleite sei ein »abgekartetes<br />

Spiel« gewesen, lautet es.<br />

Demnach soll die Lufthansa den<br />

kleineren Konkurrenten gezielt in<br />

die Insolvenz getrieben haben, um<br />

sich Flugzeuge, Start- und Landerechte<br />

sowie ausgewähltes Personal<br />

einverleiben zu können. So habe<br />

man die eigene Vormachtstellung<br />

ausbauen wollen.<br />

Die Hauptrollen in dem Verschwörungsplot<br />

spielen Spohr und<br />

sein ehemaliger Mitstreiter Winkelmann.<br />

<strong>Der</strong> Lufthansa-Boss, so die<br />

Legende, habe den Vertrauten bei<br />

Air Berlin als Strohmann platziert,<br />

damit der die notleidende Firma<br />

filetiere und die Einzelteile in die<br />

Fänge des Kranichs bugsiere. Die<br />

Geschichte klingt plausibel, hat aber<br />

einen Nachteil: Sie stimmt nicht.<br />

<strong>Der</strong> SPIEGEL hat in den vergangenen<br />

Monaten vertrauliche Akten<br />

gesichtet und mit einem guten Dutzend<br />

Insidern, Politikern wie Branchenkennern,<br />

gesprochen. Die meisten von ihnen<br />

haben auf Anonymität bestanden, weil sie<br />

aus vertraulichen Gesprächen berichteten<br />

oder öffentlich bislang nicht bekannte Hintergrundinformationen<br />

preisgaben.<br />

Dabei entstand ein anderes Bild. Danach<br />

hat die Lufthansa keineswegs auf die<br />

Pleite von Air Berlin hingearbeitet, sondern<br />

im Gegenteil bis zum letzten Moment<br />

versucht, diese zu verhindern. Konzernchef<br />

Spohr ließ sich sogar auf den damaligen<br />

Etihad-Chef James Hogan ein, um die<br />

Nummer zwei im deutschen Luftverkehr<br />

vor der Insolvenz zu retten. Dabei hatten<br />

er und seine Berater arabische Airlines in<br />

ihrem Expansionsdrang noch kurz zuvor<br />

KRISZTIAN BOCSI / BLOOMBERG / GETTY IMAGES<br />

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