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lik ist es, Angst zu verbreiten. Durch Verhaftungen<br />
schüren sie diese Angst, mit Erfolg.<br />
Wir sehen keine Alternative, dabei<br />
waren die ersten Amtsmonate Rohanis<br />
positiv, vor allem für die Frauen. <strong>Der</strong> Ton<br />
wurde freundlicher, die Kontrolle über unser<br />
Privatleben gelockert. Es kamen auch<br />
wieder mehr Touristen nach Iran.<br />
Ich lebe in Schiras, einer historisch bedeutenden<br />
Stadt. Im Herbst und im Frühjahr<br />
hatte ich noch Arbeit, seither bin ich<br />
arbeitslos. Mein Bruder ist nach Teheran<br />
gezogen, um dort als Schauspieler und Grafiker<br />
zu arbeiten. Er hatte gehofft, dass das<br />
Leben in der Hauptstadt besser wäre. Doch<br />
die iranische Währung verlor so rapide an<br />
Wert, dass er bald die Miete für sein kleines<br />
Zimmer nicht mehr zahlen konnte.<br />
Ich mache den Staat und die Regierung<br />
für diese Situation verantwortlich. Außer<br />
ein paar Moscheen zu bauen, tut das<br />
Regime nichts für uns. Wie viele Jüngere<br />
lebe ich nicht religiös. Die meisten Lehrer,<br />
die uns in der Schule ein schlechtes<br />
Gewissen machten,<br />
weil unser fehlerhaftes<br />
Verhalten auf<br />
Erden im Jenseits<br />
bestraft würde, werden<br />
von uns nicht<br />
mehr ernst genommen.<br />
Mit diesem<br />
Archäologe<br />
Samadi<br />
religiösen Dogmatismus<br />
sollen wir<br />
nur manipuliert wer -<br />
den. Ich vertraue<br />
auch keinem der<br />
Politiker, weder der Regierung noch der<br />
Opposition.<br />
Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.<br />
Wir fürchten, dass es in Iran ähnlich werden<br />
könnte wie im Irak. Wir setzen auch<br />
keine großen Hoffnungen auf Europa, das<br />
am Nuklearabkommen festhalten will. Bei<br />
den Verhandlungen der Europäer mit dem<br />
Regime geht es immer nur um Profit, um<br />
Deals, nie um Menschenrechte. Unsere<br />
Proteste verhallen in der Welt. Wir fühlen<br />
uns alleingelassen.<br />
Faezeh Hashemi, 56, ist eine Reformpolitikerin,<br />
ehemalige Abgeordnete und Tochter<br />
des im vergangenen Jahr verstorbenen<br />
Akbar Hashemi Rafsandschani, eines der<br />
Gründerväter der Islamischen Republik.<br />
Bei jedem Protest geht es um einen Mangel.<br />
Wenn wir eine effiziente Verwaltung<br />
hätten, die die Rechte der Bevölkerung<br />
wahren und die Misswirtschaft korrigieren<br />
würde, könnten wir so manches Problem<br />
beheben. Unsere Bevölkerung steht abseits<br />
– es gibt ein Gefühl von »wir« und<br />
»die«, auch das ist ein Problem. Wo liegen<br />
unsere nationalen Interessen? Ist die Mehrheit<br />
des Volkes mit der Außenpolitik einverstanden,<br />
oder ist sie es nicht?<br />
Politikerin Hashemi<br />
Wenn wir ein mächtiges Land werden<br />
wollen, das respektiert wird und mitreden<br />
kann, auch international, dann brauchen<br />
wir zuallererst eine starke Wirtschaft.<br />
Mein Vater hat diesen Gedanken immer<br />
verfolgt. Für ihn stand nicht der Export<br />
unserer Revolution an erster Stelle. Er<br />
meinte, wir müssten zuerst unser Land in<br />
allen Bereichen entwickeln – Wirtschaft,<br />
Demokratie, Gerechtigkeit, Menschenrechte,<br />
die Abschaffung von Diskriminierung.<br />
Wenn wir das erreichen würden,<br />
dann würde unser Ansehen ganz von<br />
selbst wachsen.<br />
Präsident Rohani hat seine Möglichkeiten<br />
nicht genutzt. Er hat kein starkes Management<br />
an der Seite. In unserem Politikapparat<br />
rotiert nur eine Handvoll Akteure<br />
und beherrscht abwechselnd verschiedene<br />
Positionen. Das kann doch nicht sein. Junge<br />
motivierte Leute müssen einziehen können,<br />
Menschen von heute. Wir müssen alle Kapazitäten<br />
des Landes einsetzen. Präsident<br />
Rohani kann mit seinem derzeitigen Team<br />
die Probleme nicht beheben. Dazu kommt,<br />
dass vieles nicht in seiner Hand liegt. Ein<br />
Großteil der Macht liegt bei denen ganz<br />
oben. Manchmal stimmen sie mit Rohani<br />
überein, manchmal arbeiten sie gegen ihn.<br />
Unter diesen Bedingungen kann er nicht<br />
erfolgreich handeln.<br />
Ali Reza Sheikh Attar, 66, Geschäftsführer<br />
staatlicher Firmen und ehemaliger Botschafter<br />
in Berlin, verteidigt die Regierung.<br />
KAVEH KAZEMI / GETTY IMAGES<br />
Ex-Botschafter Sheikh Attar<br />
Über was genau möchte Trump mit uns reden?<br />
Wir Iraner sind immer offen für Gespräche.<br />
Aber bei Trump ist schwer zu glauben,<br />
dass er an Lösungen interessiert ist. Er<br />
will die Show. Wir können uns nicht auf<br />
ihn verlassen, so wie er sich beim Atomabkommen<br />
verhalten hat. Sein Angebot steht<br />
im Widerspruch zu dem, was sein Außenminister<br />
Mike Pompeo sagt, der Bedingungen<br />
stellt. Trump will den Druck auf Iran<br />
immer weiter erhöhen, er wartet darauf,<br />
dass Aufruhr entsteht und es zum Regimewechsel<br />
kommt. Tatsächlich gibt es im Moment<br />
Proteste und Streiks, aber nicht im<br />
behaupteten Ausmaß. Trump hat die falschen<br />
Quellen. Eine Hauptquelle für seine<br />
Analyse sind die sogenannten Volksmudschahidin<br />
mit Sitz in Paris, sie haben in<br />
der Vergangenheit viele terroristische Anschläge<br />
verübt. Sie kämpfen seit der Revolution<br />
gegen die Islamische Republik,<br />
und wir wissen, dass die Amerikaner ihnen<br />
Hunderttausende Dollar für Informationen<br />
und Analysen bezahlen.<br />
Iran lässt die Proteste im Land bewusst<br />
zu, damit das Volk ein Ventil hat. Das versteht<br />
Trump natürlich nicht. Er denkt, wir<br />
seien bereits am Abgrund. Trump will keinen<br />
Krieg, das ist ihm zu teuer, deshalb<br />
glaubt er, uns so in die Knie zwingen zu<br />
können. Das wird nicht funktionieren.<br />
Was haben die Sanktionen gebracht?<br />
Haben die Amerikaner bekommen, was<br />
sie wollten, einen Aufstand gegen die Regierung?<br />
Vor der Amtszeit von Präsident<br />
Rohani wurde die Anzahl der Zentrifugen<br />
ständig erweitert, die Anreicherung von<br />
Uran gesteigert. Erst US-Präsident Barack<br />
Obama gelang es, das zu stoppen.<br />
Ich saß daheim vor dem Fernseher, in<br />
meiner Wohnung in Saadat Abad, im<br />
<strong>No</strong>rdwesten von Teheran, als Trump seinen<br />
einseitigen Ausstieg aus dem Atomabkommen<br />
verkündete. Ehrlich gesagt, ich<br />
hatte nur darauf gewartet. Mit Hillary Clinton<br />
wäre es aber auch schwierig geworden.<br />
Sie hat eine tiefe Antipathie gegenüber<br />
Iran. Aber wir waren vorbereitet.<br />
Ich bin studierter Chemieingenieur. Die<br />
Firmen, die ich für den Staat leite, handeln<br />
mit Zement und Stahl. Wir haben frühzeitig<br />
Kontakte nach Malaysia, Indonesien,<br />
China aufgenommen. Unsere Verbindung<br />
nach Deutschland ist nie abgerissen, nur<br />
Geldtransfers sind schwierig. Geschäfte<br />
müssen wir oft über Drittländer abwickeln:<br />
Türkei, Vereinigte Arabische Emirate,<br />
Oman, Indien, China, Russland. Am Ende<br />
finden wir immer einen Weg. In Deutschland<br />
konzentrieren wir uns auf kleinere<br />
mittelständische Unternehmen. Auch Kenia,<br />
Uganda und Tansania haben Poten -<br />
zial. Im Stahlgeschäft kooperieren wir sogar<br />
mit Kuwait. Wir werden die neuen<br />
Sanktionen überleben.<br />
Shahed Saffari, 33, arbeitet für Galerien<br />
in Teheran und organisiert Kunstevents.<br />
Anfang des Sommers schaltete die Regierung<br />
den Strom täglich für zwei Stunden<br />
ab, um Energie zu sparen. Mitten in der<br />
Arbeit hatten die Menschen plötzlich kein<br />
SUSANNE KOELBL / DER SPIEGEL<br />
86 DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong>