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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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lik ist es, Angst zu verbreiten. Durch Verhaftungen<br />

schüren sie diese Angst, mit Erfolg.<br />

Wir sehen keine Alternative, dabei<br />

waren die ersten Amtsmonate Rohanis<br />

positiv, vor allem für die Frauen. <strong>Der</strong> Ton<br />

wurde freundlicher, die Kontrolle über unser<br />

Privatleben gelockert. Es kamen auch<br />

wieder mehr Touristen nach Iran.<br />

Ich lebe in Schiras, einer historisch bedeutenden<br />

Stadt. Im Herbst und im Frühjahr<br />

hatte ich noch Arbeit, seither bin ich<br />

arbeitslos. Mein Bruder ist nach Teheran<br />

gezogen, um dort als Schauspieler und Grafiker<br />

zu arbeiten. Er hatte gehofft, dass das<br />

Leben in der Hauptstadt besser wäre. Doch<br />

die iranische Währung verlor so rapide an<br />

Wert, dass er bald die Miete für sein kleines<br />

Zimmer nicht mehr zahlen konnte.<br />

Ich mache den Staat und die Regierung<br />

für diese Situation verantwortlich. Außer<br />

ein paar Moscheen zu bauen, tut das<br />

Regime nichts für uns. Wie viele Jüngere<br />

lebe ich nicht religiös. Die meisten Lehrer,<br />

die uns in der Schule ein schlechtes<br />

Gewissen machten,<br />

weil unser fehlerhaftes<br />

Verhalten auf<br />

Erden im Jenseits<br />

bestraft würde, werden<br />

von uns nicht<br />

mehr ernst genommen.<br />

Mit diesem<br />

Archäologe<br />

Samadi<br />

religiösen Dogmatismus<br />

sollen wir<br />

nur manipuliert wer -<br />

den. Ich vertraue<br />

auch keinem der<br />

Politiker, weder der Regierung noch der<br />

Opposition.<br />

Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.<br />

Wir fürchten, dass es in Iran ähnlich werden<br />

könnte wie im Irak. Wir setzen auch<br />

keine großen Hoffnungen auf Europa, das<br />

am Nuklearabkommen festhalten will. Bei<br />

den Verhandlungen der Europäer mit dem<br />

Regime geht es immer nur um Profit, um<br />

Deals, nie um Menschenrechte. Unsere<br />

Proteste verhallen in der Welt. Wir fühlen<br />

uns alleingelassen.<br />

Faezeh Hashemi, 56, ist eine Reformpolitikerin,<br />

ehemalige Abgeordnete und Tochter<br />

des im vergangenen Jahr verstorbenen<br />

Akbar Hashemi Rafsandschani, eines der<br />

Gründerväter der Islamischen Republik.<br />

Bei jedem Protest geht es um einen Mangel.<br />

Wenn wir eine effiziente Verwaltung<br />

hätten, die die Rechte der Bevölkerung<br />

wahren und die Misswirtschaft korrigieren<br />

würde, könnten wir so manches Problem<br />

beheben. Unsere Bevölkerung steht abseits<br />

– es gibt ein Gefühl von »wir« und<br />

»die«, auch das ist ein Problem. Wo liegen<br />

unsere nationalen Interessen? Ist die Mehrheit<br />

des Volkes mit der Außenpolitik einverstanden,<br />

oder ist sie es nicht?<br />

Politikerin Hashemi<br />

Wenn wir ein mächtiges Land werden<br />

wollen, das respektiert wird und mitreden<br />

kann, auch international, dann brauchen<br />

wir zuallererst eine starke Wirtschaft.<br />

Mein Vater hat diesen Gedanken immer<br />

verfolgt. Für ihn stand nicht der Export<br />

unserer Revolution an erster Stelle. Er<br />

meinte, wir müssten zuerst unser Land in<br />

allen Bereichen entwickeln – Wirtschaft,<br />

Demokratie, Gerechtigkeit, Menschenrechte,<br />

die Abschaffung von Diskriminierung.<br />

Wenn wir das erreichen würden,<br />

dann würde unser Ansehen ganz von<br />

selbst wachsen.<br />

Präsident Rohani hat seine Möglichkeiten<br />

nicht genutzt. Er hat kein starkes Management<br />

an der Seite. In unserem Politikapparat<br />

rotiert nur eine Handvoll Akteure<br />

und beherrscht abwechselnd verschiedene<br />

Positionen. Das kann doch nicht sein. Junge<br />

motivierte Leute müssen einziehen können,<br />

Menschen von heute. Wir müssen alle Kapazitäten<br />

des Landes einsetzen. Präsident<br />

Rohani kann mit seinem derzeitigen Team<br />

die Probleme nicht beheben. Dazu kommt,<br />

dass vieles nicht in seiner Hand liegt. Ein<br />

Großteil der Macht liegt bei denen ganz<br />

oben. Manchmal stimmen sie mit Rohani<br />

überein, manchmal arbeiten sie gegen ihn.<br />

Unter diesen Bedingungen kann er nicht<br />

erfolgreich handeln.<br />

Ali Reza Sheikh Attar, 66, Geschäftsführer<br />

staatlicher Firmen und ehemaliger Botschafter<br />

in Berlin, verteidigt die Regierung.<br />

KAVEH KAZEMI / GETTY IMAGES<br />

Ex-Botschafter Sheikh Attar<br />

Über was genau möchte Trump mit uns reden?<br />

Wir Iraner sind immer offen für Gespräche.<br />

Aber bei Trump ist schwer zu glauben,<br />

dass er an Lösungen interessiert ist. Er<br />

will die Show. Wir können uns nicht auf<br />

ihn verlassen, so wie er sich beim Atomabkommen<br />

verhalten hat. Sein Angebot steht<br />

im Widerspruch zu dem, was sein Außenminister<br />

Mike Pompeo sagt, der Bedingungen<br />

stellt. Trump will den Druck auf Iran<br />

immer weiter erhöhen, er wartet darauf,<br />

dass Aufruhr entsteht und es zum Regimewechsel<br />

kommt. Tatsächlich gibt es im Moment<br />

Proteste und Streiks, aber nicht im<br />

behaupteten Ausmaß. Trump hat die falschen<br />

Quellen. Eine Hauptquelle für seine<br />

Analyse sind die sogenannten Volksmudschahidin<br />

mit Sitz in Paris, sie haben in<br />

der Vergangenheit viele terroristische Anschläge<br />

verübt. Sie kämpfen seit der Revolution<br />

gegen die Islamische Republik,<br />

und wir wissen, dass die Amerikaner ihnen<br />

Hunderttausende Dollar für Informationen<br />

und Analysen bezahlen.<br />

Iran lässt die Proteste im Land bewusst<br />

zu, damit das Volk ein Ventil hat. Das versteht<br />

Trump natürlich nicht. Er denkt, wir<br />

seien bereits am Abgrund. Trump will keinen<br />

Krieg, das ist ihm zu teuer, deshalb<br />

glaubt er, uns so in die Knie zwingen zu<br />

können. Das wird nicht funktionieren.<br />

Was haben die Sanktionen gebracht?<br />

Haben die Amerikaner bekommen, was<br />

sie wollten, einen Aufstand gegen die Regierung?<br />

Vor der Amtszeit von Präsident<br />

Rohani wurde die Anzahl der Zentrifugen<br />

ständig erweitert, die Anreicherung von<br />

Uran gesteigert. Erst US-Präsident Barack<br />

Obama gelang es, das zu stoppen.<br />

Ich saß daheim vor dem Fernseher, in<br />

meiner Wohnung in Saadat Abad, im<br />

<strong>No</strong>rdwesten von Teheran, als Trump seinen<br />

einseitigen Ausstieg aus dem Atomabkommen<br />

verkündete. Ehrlich gesagt, ich<br />

hatte nur darauf gewartet. Mit Hillary Clinton<br />

wäre es aber auch schwierig geworden.<br />

Sie hat eine tiefe Antipathie gegenüber<br />

Iran. Aber wir waren vorbereitet.<br />

Ich bin studierter Chemieingenieur. Die<br />

Firmen, die ich für den Staat leite, handeln<br />

mit Zement und Stahl. Wir haben frühzeitig<br />

Kontakte nach Malaysia, Indonesien,<br />

China aufgenommen. Unsere Verbindung<br />

nach Deutschland ist nie abgerissen, nur<br />

Geldtransfers sind schwierig. Geschäfte<br />

müssen wir oft über Drittländer abwickeln:<br />

Türkei, Vereinigte Arabische Emirate,<br />

Oman, Indien, China, Russland. Am Ende<br />

finden wir immer einen Weg. In Deutschland<br />

konzentrieren wir uns auf kleinere<br />

mittelständische Unternehmen. Auch Kenia,<br />

Uganda und Tansania haben Poten -<br />

zial. Im Stahlgeschäft kooperieren wir sogar<br />

mit Kuwait. Wir werden die neuen<br />

Sanktionen überleben.<br />

Shahed Saffari, 33, arbeitet für Galerien<br />

in Teheran und organisiert Kunstevents.<br />

Anfang des Sommers schaltete die Regierung<br />

den Strom täglich für zwei Stunden<br />

ab, um Energie zu sparen. Mitten in der<br />

Arbeit hatten die Menschen plötzlich kein<br />

SUSANNE KOELBL / DER SPIEGEL<br />

86 DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong>

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