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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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Reiseführer im Hinterzimmer: »Man bietet euch Aircondition, also kauft etwas«<br />

»Die Menschen kommen, weil wir hier<br />

keine Erdbeben haben, kaum Taifune<br />

und eine freundliche Beziehung zur Regierung«,<br />

sagt Ann Lin. »Chinas Regierung<br />

hat mit Kambodscha ein unverbrauchtes<br />

Land, in das sie ihre Bürger<br />

schickt. Das nutzen die Agenturen und<br />

drücken die Preise. Wir befinden uns im<br />

freien Fall!«<br />

Man wisse nicht, wie man bei 450 Dollar<br />

pro Reisenden noch schwarze Zahlen<br />

schreiben solle. »China schickt uns aber<br />

immer mehr Leute, weil es politisch an<br />

Einfluss gewinnen will«, sagt sie.<br />

Und so bilden die chinesischen Touristen<br />

unwissentlich eine Art Armee, die eine<br />

staatlich gewünschte Expansionspolitik<br />

mit durchsetzt; anders als bei Reisen nach<br />

Europa hat die touristische Eroberung<br />

Kambodschas auch ein politisches Ziel.<br />

Weltweit nutzen chinesische Firmen inzwischen<br />

das Seidenstraßen-Projekt, um<br />

nicht nur Häfen, Straßen und Kraftwerke<br />

zu bauen, sondern auch Vergnügungsorte<br />

für Touristen: eine Skihalle in Australien,<br />

ein mit hydraulischen Sitzen ausgestattetes<br />

Kino in Thailand, ein Spa in Tschechien.<br />

Fast überall will China so Freunde<br />

gewinnen.<br />

Am dritten Tag seiner Reise hat der Tourist<br />

Liu seinen Kopf auf einem Tisch voller<br />

Seidenbett wäsche abgelegt und schläft. Er<br />

sitzt auf einem Plastikschemel im Ver -<br />

kaufs raum 9 eines Shops an einer Ausfallstraße,<br />

in den sein Reiseführer ihn ge -<br />

bracht hat. Es ist der dritte Shopbesuch an<br />

diesem Tag. Um Liu herum sitzen 22 weitere<br />

Chinesen, einige sind eingenickt. Auf<br />

dem Gang drängen Dutzende Guides ihre<br />

Gruppen in frei werdende Verkaufsräume.<br />

<strong>Der</strong> Shop gehört Chhang Yong; die<br />

Agentur kann bei ihren Billigtouren nur<br />

dann etwas verdienen, wenn die Chinesen<br />

hier Bettwäsche kaufen.<br />

DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong><br />

20 Meter von Liu entfernt, in einem<br />

dunklen Hinterraum, sitzt Guide Dara Say<br />

neben einigen anderen Reiseleitern und<br />

starrt auf einen Bildschirm an der Wand.<br />

Nervös klopft er mit seinem Silberring auf<br />

den Tisch. Videokameras, die in den<br />

Verkaufsräumen hängen, übertragen das<br />

Geschehen dort live ins Hinterzimmer.<br />

Die Guides sehen genau, welcher Kunde<br />

etwas kauft.<br />

Says Gruppe aus Guangzhou hört sich<br />

seit 45 Minuten einen Vortrag über Seide<br />

an. Er kann auf dem Bildschirm sehen,<br />

dass die meisten abgeschaltet haben.<br />

»Jeder, der nicht genug kauft, bekommt<br />

eine Mahnung«, sagt Say und blickt auf<br />

die Namensliste seiner Gäste vor sich.<br />

Wenn jemand einen Kissenbezug kauft,<br />

setzt Say ein Häkchen auf der Liste.<br />

»Eine gute Gruppe sollte 30 000 bis<br />

50 000 Dollar in den Shops lassen«, sagt<br />

Say. »Ab dem dritten Shop mache ich<br />

Druck.« Entweder er sage den Gästen:<br />

»Ihr habt die Reise ausgesucht, und Shopping<br />

ist eingeschlossen.« Oder: »Man bietet<br />

euch einen Vortrag und Aircon dition<br />

an, also kauft bitte schön etwas.«<br />

»Einige schämen sich dann«, sagt Say<br />

froh. Bisher haben seine Touristen aus<br />

Guang zhou in Siem Reap erst 10 000 Dollar<br />

ausgegeben. »Nicht genug.« Nach 90<br />

Minuten verlässt Tourist Liu Jianxi den<br />

Seidenshop mit einem Kissenbezug in der<br />

Hand. Er schaut sich missmutig um, so hat<br />

er sich das nicht vorgestellt. Statt Kambodscha<br />

zu erleben, sitzt er in Shops. Er hat<br />

jetzt keine Lust mehr, über seine Abenteuer<br />

zu sprechen.<br />

Die Kambodschaner haben auch wenig<br />

von seinem Besuch. <strong>Der</strong> Seidenshop ist<br />

nur eine Station, bei der Lius Geld in einen<br />

Kreislauf fließt, von dem Einheimische oft<br />

ausgeschlossen bleiben. Etliche Geschäfte,<br />

Restaurants oder Hotels, in denen die<br />

KATRIN KUNTZ / DER SPIEGEL<br />

Gruppe absteigt, sind in chinesischer<br />

Hand. Die lokalen Produkte, die in den<br />

Geschäften als Erinnerungsstücke angepriesen<br />

werden, seien teilweise aus China<br />

importiert, erzählen Verkäufer.<br />

Was denken die Kambodschaner darüber?<br />

Spricht man mit Bewohnern Siem<br />

Reaps, winken viele ab. Niemand hier will<br />

die Chinesen kritisieren, solange man nur<br />

ein wenig von ihnen profitieren kann.<br />

Köche bieten jetzt chinesische Speisen<br />

an. Hotelbesitzer senken ihre Preise für<br />

Gruppen. Bettelnde Kinder lernen zwei,<br />

drei Wörter Chinesisch. Aus schüchternen<br />

Menschen, viele traumatisiert durch den<br />

Genozid in den Siebzigern, werden Unternehmer.<br />

Die kambodschanische Gesellschaft<br />

vollzieht den Schritt <strong>vom</strong> Bauernstaat<br />

zur Dienstleistungsgesellschaft mit<br />

immer höherer Geschwindigkeit.<br />

<strong>Der</strong> Gouverneur von Siem Reap, So<br />

Platong, ein höflicher Mann, der sich in<br />

seinem Büro vor einen Ventilator setzt, beobachtet<br />

die Entwicklung der Stadt seit<br />

30 Jahren. Vor 10 Jahren, sagt er, sei der<br />

Ort ein lausiges Kaff gewesen. Dann habe<br />

man den Wert von Angkor Wat entdeckt,<br />

und die Chinesen. Jetzt wolle man »so<br />

viele Touristen wie möglich« anziehen.<br />

»Kambodscha ist dabei ein souveräner<br />

Staat«, sagt der Gouverneur. Man führe<br />

eine Partnerschaft auf Augenhöhe.<br />

Das stimmt zwar nicht. Aber auch der<br />

Gouverneur ist in Goldgräberstimmung.<br />

Man habe einen »Code of Conduct« für<br />

die Tempelanlagen herausgebracht, mit Regeln<br />

für die Besucher, erzählt er beflissen.<br />

Die Chinesen würden von ihrer eigenen<br />

Regierung ermahnt, sich korrekt zu verhalten.<br />

Von chinesischen Geschäftsleuten, die<br />

sich über die weitgehende Regellosigkeit<br />

im Land freuen, hat er nichts gehört.<br />

Es wirkt, als könne die Sache mit dem<br />

Massentourismus schiefgehen, falls aus<br />

Versehen ein falsches Wort fällt. Versuche,<br />

den wild gewordenen Markt durch Auflagen<br />

einzufangen, gibt es kaum. Zu drängend<br />

ist der Wunsch, jetzt von Chinas<br />

Reichtum zu profitieren.<br />

An Tag fünf der Reise, der zugleich der<br />

letzte für Liu Jianxi aus Guangzhou sein<br />

wird, meldet sich der Reiseleiter per Telefon.<br />

Dara Say hat die Gruppe mit dem Bus<br />

nach Phnom Penh gebracht.<br />

Dort haben die Chinesen den Königspalast<br />

angesehen und ein Kasino besucht.<br />

Man darf jetzt nicht mehr mit ihnen sprechen,<br />

aber es habe ihnen in Kambodscha<br />

sehr gut gefallen, sagt der Guide. Trotzdem<br />

ist er unzufrieden.<br />

»Die Touristen aus Guangzhou haben<br />

nur 16 000 Dollar in den Shops ausgegeben.«<br />

Es sei eine eher schlechte Gruppe<br />

gewesen. Jetzt will der Guide sich ein paar<br />

Stunden ausruhen. Dann empfängt er<br />

neue Gäste. Katrin Kuntz<br />

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