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Reiseführer im Hinterzimmer: »Man bietet euch Aircondition, also kauft etwas«<br />
»Die Menschen kommen, weil wir hier<br />
keine Erdbeben haben, kaum Taifune<br />
und eine freundliche Beziehung zur Regierung«,<br />
sagt Ann Lin. »Chinas Regierung<br />
hat mit Kambodscha ein unverbrauchtes<br />
Land, in das sie ihre Bürger<br />
schickt. Das nutzen die Agenturen und<br />
drücken die Preise. Wir befinden uns im<br />
freien Fall!«<br />
Man wisse nicht, wie man bei 450 Dollar<br />
pro Reisenden noch schwarze Zahlen<br />
schreiben solle. »China schickt uns aber<br />
immer mehr Leute, weil es politisch an<br />
Einfluss gewinnen will«, sagt sie.<br />
Und so bilden die chinesischen Touristen<br />
unwissentlich eine Art Armee, die eine<br />
staatlich gewünschte Expansionspolitik<br />
mit durchsetzt; anders als bei Reisen nach<br />
Europa hat die touristische Eroberung<br />
Kambodschas auch ein politisches Ziel.<br />
Weltweit nutzen chinesische Firmen inzwischen<br />
das Seidenstraßen-Projekt, um<br />
nicht nur Häfen, Straßen und Kraftwerke<br />
zu bauen, sondern auch Vergnügungsorte<br />
für Touristen: eine Skihalle in Australien,<br />
ein mit hydraulischen Sitzen ausgestattetes<br />
Kino in Thailand, ein Spa in Tschechien.<br />
Fast überall will China so Freunde<br />
gewinnen.<br />
Am dritten Tag seiner Reise hat der Tourist<br />
Liu seinen Kopf auf einem Tisch voller<br />
Seidenbett wäsche abgelegt und schläft. Er<br />
sitzt auf einem Plastikschemel im Ver -<br />
kaufs raum 9 eines Shops an einer Ausfallstraße,<br />
in den sein Reiseführer ihn ge -<br />
bracht hat. Es ist der dritte Shopbesuch an<br />
diesem Tag. Um Liu herum sitzen 22 weitere<br />
Chinesen, einige sind eingenickt. Auf<br />
dem Gang drängen Dutzende Guides ihre<br />
Gruppen in frei werdende Verkaufsräume.<br />
<strong>Der</strong> Shop gehört Chhang Yong; die<br />
Agentur kann bei ihren Billigtouren nur<br />
dann etwas verdienen, wenn die Chinesen<br />
hier Bettwäsche kaufen.<br />
DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong><br />
20 Meter von Liu entfernt, in einem<br />
dunklen Hinterraum, sitzt Guide Dara Say<br />
neben einigen anderen Reiseleitern und<br />
starrt auf einen Bildschirm an der Wand.<br />
Nervös klopft er mit seinem Silberring auf<br />
den Tisch. Videokameras, die in den<br />
Verkaufsräumen hängen, übertragen das<br />
Geschehen dort live ins Hinterzimmer.<br />
Die Guides sehen genau, welcher Kunde<br />
etwas kauft.<br />
Says Gruppe aus Guangzhou hört sich<br />
seit 45 Minuten einen Vortrag über Seide<br />
an. Er kann auf dem Bildschirm sehen,<br />
dass die meisten abgeschaltet haben.<br />
»Jeder, der nicht genug kauft, bekommt<br />
eine Mahnung«, sagt Say und blickt auf<br />
die Namensliste seiner Gäste vor sich.<br />
Wenn jemand einen Kissenbezug kauft,<br />
setzt Say ein Häkchen auf der Liste.<br />
»Eine gute Gruppe sollte 30 000 bis<br />
50 000 Dollar in den Shops lassen«, sagt<br />
Say. »Ab dem dritten Shop mache ich<br />
Druck.« Entweder er sage den Gästen:<br />
»Ihr habt die Reise ausgesucht, und Shopping<br />
ist eingeschlossen.« Oder: »Man bietet<br />
euch einen Vortrag und Aircon dition<br />
an, also kauft bitte schön etwas.«<br />
»Einige schämen sich dann«, sagt Say<br />
froh. Bisher haben seine Touristen aus<br />
Guang zhou in Siem Reap erst 10 000 Dollar<br />
ausgegeben. »Nicht genug.« Nach 90<br />
Minuten verlässt Tourist Liu Jianxi den<br />
Seidenshop mit einem Kissenbezug in der<br />
Hand. Er schaut sich missmutig um, so hat<br />
er sich das nicht vorgestellt. Statt Kambodscha<br />
zu erleben, sitzt er in Shops. Er hat<br />
jetzt keine Lust mehr, über seine Abenteuer<br />
zu sprechen.<br />
Die Kambodschaner haben auch wenig<br />
von seinem Besuch. <strong>Der</strong> Seidenshop ist<br />
nur eine Station, bei der Lius Geld in einen<br />
Kreislauf fließt, von dem Einheimische oft<br />
ausgeschlossen bleiben. Etliche Geschäfte,<br />
Restaurants oder Hotels, in denen die<br />
KATRIN KUNTZ / DER SPIEGEL<br />
Gruppe absteigt, sind in chinesischer<br />
Hand. Die lokalen Produkte, die in den<br />
Geschäften als Erinnerungsstücke angepriesen<br />
werden, seien teilweise aus China<br />
importiert, erzählen Verkäufer.<br />
Was denken die Kambodschaner darüber?<br />
Spricht man mit Bewohnern Siem<br />
Reaps, winken viele ab. Niemand hier will<br />
die Chinesen kritisieren, solange man nur<br />
ein wenig von ihnen profitieren kann.<br />
Köche bieten jetzt chinesische Speisen<br />
an. Hotelbesitzer senken ihre Preise für<br />
Gruppen. Bettelnde Kinder lernen zwei,<br />
drei Wörter Chinesisch. Aus schüchternen<br />
Menschen, viele traumatisiert durch den<br />
Genozid in den Siebzigern, werden Unternehmer.<br />
Die kambodschanische Gesellschaft<br />
vollzieht den Schritt <strong>vom</strong> Bauernstaat<br />
zur Dienstleistungsgesellschaft mit<br />
immer höherer Geschwindigkeit.<br />
<strong>Der</strong> Gouverneur von Siem Reap, So<br />
Platong, ein höflicher Mann, der sich in<br />
seinem Büro vor einen Ventilator setzt, beobachtet<br />
die Entwicklung der Stadt seit<br />
30 Jahren. Vor 10 Jahren, sagt er, sei der<br />
Ort ein lausiges Kaff gewesen. Dann habe<br />
man den Wert von Angkor Wat entdeckt,<br />
und die Chinesen. Jetzt wolle man »so<br />
viele Touristen wie möglich« anziehen.<br />
»Kambodscha ist dabei ein souveräner<br />
Staat«, sagt der Gouverneur. Man führe<br />
eine Partnerschaft auf Augenhöhe.<br />
Das stimmt zwar nicht. Aber auch der<br />
Gouverneur ist in Goldgräberstimmung.<br />
Man habe einen »Code of Conduct« für<br />
die Tempelanlagen herausgebracht, mit Regeln<br />
für die Besucher, erzählt er beflissen.<br />
Die Chinesen würden von ihrer eigenen<br />
Regierung ermahnt, sich korrekt zu verhalten.<br />
Von chinesischen Geschäftsleuten, die<br />
sich über die weitgehende Regellosigkeit<br />
im Land freuen, hat er nichts gehört.<br />
Es wirkt, als könne die Sache mit dem<br />
Massentourismus schiefgehen, falls aus<br />
Versehen ein falsches Wort fällt. Versuche,<br />
den wild gewordenen Markt durch Auflagen<br />
einzufangen, gibt es kaum. Zu drängend<br />
ist der Wunsch, jetzt von Chinas<br />
Reichtum zu profitieren.<br />
An Tag fünf der Reise, der zugleich der<br />
letzte für Liu Jianxi aus Guangzhou sein<br />
wird, meldet sich der Reiseleiter per Telefon.<br />
Dara Say hat die Gruppe mit dem Bus<br />
nach Phnom Penh gebracht.<br />
Dort haben die Chinesen den Königspalast<br />
angesehen und ein Kasino besucht.<br />
Man darf jetzt nicht mehr mit ihnen sprechen,<br />
aber es habe ihnen in Kambodscha<br />
sehr gut gefallen, sagt der Guide. Trotzdem<br />
ist er unzufrieden.<br />
»Die Touristen aus Guangzhou haben<br />
nur 16 000 Dollar in den Shops ausgegeben.«<br />
Es sei eine eher schlechte Gruppe<br />
gewesen. Jetzt will der Guide sich ein paar<br />
Stunden ausruhen. Dann empfängt er<br />
neue Gäste. Katrin Kuntz<br />
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