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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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Je ambitionierter in der EU<br />

die durchschnittlichen CO 2 -<br />

Emis sionen von Pkw-Flotten<br />

festgesetzt werden, desto schneller<br />

müssen die Autobauer Elektrofahrzeuge<br />

bauen und desto<br />

schneller stirbt der Verbrennungsmotor<br />

aus. In diesen Wochen<br />

ringt die Bundesre gierung<br />

um eine gemeinsame Position,<br />

mit der sie beim Umweltministerrat<br />

im Oktober auftreten will.<br />

Anfang 2019 soll die EU-Verordnung<br />

stehen.<br />

Umweltministerin Schulze<br />

legte im Juni einen Vorschlag<br />

vor, der Gewerkschaften und<br />

Autobosse schockierte. Er ging<br />

über die von der EU-Kommission<br />

geforderten Ziele deutlich<br />

hinaus: Wenn es nach Schulze<br />

ginge, sollte der CO 2 -Ausstoß<br />

der Autos statt wie von Brüssel<br />

gefordert um 30 Prozent vielmehr<br />

um 50 Prozent im Vergleich<br />

zum Jahr 2021 sinken.<br />

»<strong>Der</strong> Verkehrssektor ist das Sorgenkind«,<br />

sagt Schulze angesichts<br />

der Klimabilanz der deutschen Pkw-<br />

Flotte.<br />

<strong>Der</strong> Widerstand der Konzerne ließ nicht<br />

lange auf sich warten. Er ging dieses Mal<br />

nicht wie gewohnt von den Berliner Lobbyistenbüros<br />

der Konzerne aus. Das Ansehen<br />

der Branche im Regierungsviertel<br />

ist derzeit zu schlecht. Stattdessen mussten<br />

die Gewerkschaftsleute ran. Zunächst lancierte<br />

die IG Metall eine Studie: Käme die<br />

Reduzierung um 50 Prozent, würde das<br />

die Branche mindestens 100 000 Arbeitsplätze<br />

kosten, lässt sich daraus lesen. Allerdings<br />

ist von der Studie nicht mehr als<br />

eine Kurzfassung bekannt, das eigentliche<br />

Gutachten wird zurückgehalten.<br />

Doch mit der Schreckenszahl von<br />

100 000 Arbeitsplätzen operierten die Betriebsräte<br />

auch bei der Ministerin. Das 50-<br />

Prozent-Ziel stelle »das Geschäftsmodell<br />

der ganzen Branche infrage«, sagten sie,<br />

und es sei »technisch nicht erreichbar«.<br />

Schulze, selber Mitglied der IG Bergbau,<br />

Chemie, Energie, gab sich verständnisvoll,<br />

so beschreiben es Teilnehmer des Gesprächs.<br />

Natürlich sei das ein Spagat: Einerseits<br />

müsse die Autoindustrie bei den<br />

CO 2 -Grenzwerten liefern, denn der Verkehrssektor<br />

habe bislang nichts zum Klimaschutz<br />

beigetragen. Andererseits dürfe<br />

man die Schlüsselindustrie natürlich auch<br />

nicht überlasten, so die Ministerin.<br />

Wenige Tage später war Schulze bei ihrem<br />

Ministerkollegen Scholz zum Gespräch,<br />

doch statt Unterstützung erhielt<br />

sie von ihrem Parteifreund Gegenwind.<br />

Scholz soll die Umweltministerin wegen<br />

ihrer harten Haltung bei den CO 2 -Grenzwerten<br />

gerügt haben. Offenbar hatte der<br />

DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong><br />

Ministeriumsdienstwagen in Berlin: »Wir konnten unser Glück kaum fassen«<br />

Besuch der Betriebsräte in seinem Haus<br />

Eindruck auf den Vizekanzler gemacht,<br />

der Zangengriff von Betriebsräten und Autokonzernen<br />

war erfolgreich. Die 50-Prozent-Forderung<br />

von Ministerin Schulze<br />

dürfte <strong>vom</strong> Tisch sein.<br />

Scholz weiß sich mit den Unionsministern<br />

Peter Altmaier, Wirtschaft, und Andreas<br />

Scheuer, Verkehr, gegen die Umweltministerin<br />

einig. Die beiden Unionsleute<br />

wollen bei den 30 Prozent bleiben, die die<br />

EU-Kommission vorgeschlagen hat. Schon<br />

dieses Ziel sei nur schwer zu erreichen, sagen<br />

sie. Schulze kann nun bestenfalls noch<br />

eine geringe Erhöhung auf 35 Prozent heraushandeln,<br />

wenn die Kollegen so nett<br />

sind, ihr den Gesichtsverlust zu ersparen.<br />

Kritik kommt von Klimaschützern.<br />

»Den Autokonzernen und Zulieferern geht<br />

es darum, dem traditionellen Verbrennungsmotor<br />

den Lebensabend in Europa<br />

künstlich zu verlängern«, so Christian<br />

Hochfeld, Direktor des Thinktanks Agora<br />

Verkehrswende. <strong>Der</strong> CO 2 -Grenzwert sei<br />

»das wirkmächtigste Instrument«, die Konzerne<br />

zur Elektromobilität zu zwingen.<br />

Das wüssten die Autobosse genau, deshalb<br />

wehrten sie die Regulierung ab. »Dabei<br />

schaden sie ihren Kunden und dem Automobilstandort<br />

Deutschland, wenn dieser<br />

nicht Leitmarkt für die Revolution in der<br />

Antriebstechnik wird«, so Hochfeld.<br />

Kommt die Reduzierung um nur 30 Prozent,<br />

würde das den Herstellern dagegen<br />

keine Sorgen bereiten. Das liegt unter anderem<br />

an einem Rechentrick, den die Konzerne<br />

bei der Umstellung von Testverfahren<br />

in das Regelwerk der EU hineingeschmuggelt<br />

haben. »Die neuen Grenzwerte<br />

schaffen wir locker«, sagt der Manager<br />

eines deutschen Luxuswagenherstellers<br />

hinter vorgehaltener Hand.<br />

Zusätzlich können die Konzerne bei<br />

weiteren lebensverlängernden Maßnahmen<br />

für den Verbrennungsmotor auf die<br />

Unterstützung der Bundesregierung zählen.<br />

Dazu gehört etwa, dass die Autokonzerne<br />

sich künftig den Betrieb eines Car -<br />

sharing-Unternehmens gutschreiben lassen<br />

können. Gleiches soll gelten, wenn sie<br />

Produktionskapazitäten für synthetischen<br />

Kraftstoff aufbauen.<br />

<strong>Der</strong> soll in Chemieanlagen entstehen,<br />

unter Einsatz von Elektrizität aus Windkraft<br />

oder Solaranlagen. Doch das Ver -<br />

fahren ist teuer und ineffizient, die Energiebilanz<br />

viel schlechter als bei der<br />

Elektro mobilität. »Mit den Synthetikkraftstoffen<br />

könnten die Konzerne auch am<br />

Ver brenner festhalten, der für den Kunden<br />

dann aber schon bald teurer wird als<br />

das Elektroauto«, sagt Agora-Direktor<br />

Hochfeld.<br />

Für die Rettungsaktion des Spritmotors<br />

haben die Autolobbyisten unlängst Bernhard<br />

Mattes, den Präsidenten des Verbands<br />

der Automobilindustrie, auf politische<br />

Mission geschickt. Sogar ins Entwicklungshilfeministerium<br />

führte sein Weg.<br />

Von dessen Chef Gerd Müller (CSU) wollte<br />

Mattes Unterstützung: für eine Pilot -<br />

anlage zur Herstellung von Synthetikkraftstoff<br />

in Marokko.<br />

Simon Hage, Gerald Traufetter<br />

‣ Lesen Sie auch auf Seite 70<br />

über die Dieselaffäre bei VW<br />

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STEPHANIE PILICK / DPA

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