Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Je ambitionierter in der EU<br />
die durchschnittlichen CO 2 -<br />
Emis sionen von Pkw-Flotten<br />
festgesetzt werden, desto schneller<br />
müssen die Autobauer Elektrofahrzeuge<br />
bauen und desto<br />
schneller stirbt der Verbrennungsmotor<br />
aus. In diesen Wochen<br />
ringt die Bundesre gierung<br />
um eine gemeinsame Position,<br />
mit der sie beim Umweltministerrat<br />
im Oktober auftreten will.<br />
Anfang 2019 soll die EU-Verordnung<br />
stehen.<br />
Umweltministerin Schulze<br />
legte im Juni einen Vorschlag<br />
vor, der Gewerkschaften und<br />
Autobosse schockierte. Er ging<br />
über die von der EU-Kommission<br />
geforderten Ziele deutlich<br />
hinaus: Wenn es nach Schulze<br />
ginge, sollte der CO 2 -Ausstoß<br />
der Autos statt wie von Brüssel<br />
gefordert um 30 Prozent vielmehr<br />
um 50 Prozent im Vergleich<br />
zum Jahr 2021 sinken.<br />
»<strong>Der</strong> Verkehrssektor ist das Sorgenkind«,<br />
sagt Schulze angesichts<br />
der Klimabilanz der deutschen Pkw-<br />
Flotte.<br />
<strong>Der</strong> Widerstand der Konzerne ließ nicht<br />
lange auf sich warten. Er ging dieses Mal<br />
nicht wie gewohnt von den Berliner Lobbyistenbüros<br />
der Konzerne aus. Das Ansehen<br />
der Branche im Regierungsviertel<br />
ist derzeit zu schlecht. Stattdessen mussten<br />
die Gewerkschaftsleute ran. Zunächst lancierte<br />
die IG Metall eine Studie: Käme die<br />
Reduzierung um 50 Prozent, würde das<br />
die Branche mindestens 100 000 Arbeitsplätze<br />
kosten, lässt sich daraus lesen. Allerdings<br />
ist von der Studie nicht mehr als<br />
eine Kurzfassung bekannt, das eigentliche<br />
Gutachten wird zurückgehalten.<br />
Doch mit der Schreckenszahl von<br />
100 000 Arbeitsplätzen operierten die Betriebsräte<br />
auch bei der Ministerin. Das 50-<br />
Prozent-Ziel stelle »das Geschäftsmodell<br />
der ganzen Branche infrage«, sagten sie,<br />
und es sei »technisch nicht erreichbar«.<br />
Schulze, selber Mitglied der IG Bergbau,<br />
Chemie, Energie, gab sich verständnisvoll,<br />
so beschreiben es Teilnehmer des Gesprächs.<br />
Natürlich sei das ein Spagat: Einerseits<br />
müsse die Autoindustrie bei den<br />
CO 2 -Grenzwerten liefern, denn der Verkehrssektor<br />
habe bislang nichts zum Klimaschutz<br />
beigetragen. Andererseits dürfe<br />
man die Schlüsselindustrie natürlich auch<br />
nicht überlasten, so die Ministerin.<br />
Wenige Tage später war Schulze bei ihrem<br />
Ministerkollegen Scholz zum Gespräch,<br />
doch statt Unterstützung erhielt<br />
sie von ihrem Parteifreund Gegenwind.<br />
Scholz soll die Umweltministerin wegen<br />
ihrer harten Haltung bei den CO 2 -Grenzwerten<br />
gerügt haben. Offenbar hatte der<br />
DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong><br />
Ministeriumsdienstwagen in Berlin: »Wir konnten unser Glück kaum fassen«<br />
Besuch der Betriebsräte in seinem Haus<br />
Eindruck auf den Vizekanzler gemacht,<br />
der Zangengriff von Betriebsräten und Autokonzernen<br />
war erfolgreich. Die 50-Prozent-Forderung<br />
von Ministerin Schulze<br />
dürfte <strong>vom</strong> Tisch sein.<br />
Scholz weiß sich mit den Unionsministern<br />
Peter Altmaier, Wirtschaft, und Andreas<br />
Scheuer, Verkehr, gegen die Umweltministerin<br />
einig. Die beiden Unionsleute<br />
wollen bei den 30 Prozent bleiben, die die<br />
EU-Kommission vorgeschlagen hat. Schon<br />
dieses Ziel sei nur schwer zu erreichen, sagen<br />
sie. Schulze kann nun bestenfalls noch<br />
eine geringe Erhöhung auf 35 Prozent heraushandeln,<br />
wenn die Kollegen so nett<br />
sind, ihr den Gesichtsverlust zu ersparen.<br />
Kritik kommt von Klimaschützern.<br />
»Den Autokonzernen und Zulieferern geht<br />
es darum, dem traditionellen Verbrennungsmotor<br />
den Lebensabend in Europa<br />
künstlich zu verlängern«, so Christian<br />
Hochfeld, Direktor des Thinktanks Agora<br />
Verkehrswende. <strong>Der</strong> CO 2 -Grenzwert sei<br />
»das wirkmächtigste Instrument«, die Konzerne<br />
zur Elektromobilität zu zwingen.<br />
Das wüssten die Autobosse genau, deshalb<br />
wehrten sie die Regulierung ab. »Dabei<br />
schaden sie ihren Kunden und dem Automobilstandort<br />
Deutschland, wenn dieser<br />
nicht Leitmarkt für die Revolution in der<br />
Antriebstechnik wird«, so Hochfeld.<br />
Kommt die Reduzierung um nur 30 Prozent,<br />
würde das den Herstellern dagegen<br />
keine Sorgen bereiten. Das liegt unter anderem<br />
an einem Rechentrick, den die Konzerne<br />
bei der Umstellung von Testverfahren<br />
in das Regelwerk der EU hineingeschmuggelt<br />
haben. »Die neuen Grenzwerte<br />
schaffen wir locker«, sagt der Manager<br />
eines deutschen Luxuswagenherstellers<br />
hinter vorgehaltener Hand.<br />
Zusätzlich können die Konzerne bei<br />
weiteren lebensverlängernden Maßnahmen<br />
für den Verbrennungsmotor auf die<br />
Unterstützung der Bundesregierung zählen.<br />
Dazu gehört etwa, dass die Autokonzerne<br />
sich künftig den Betrieb eines Car -<br />
sharing-Unternehmens gutschreiben lassen<br />
können. Gleiches soll gelten, wenn sie<br />
Produktionskapazitäten für synthetischen<br />
Kraftstoff aufbauen.<br />
<strong>Der</strong> soll in Chemieanlagen entstehen,<br />
unter Einsatz von Elektrizität aus Windkraft<br />
oder Solaranlagen. Doch das Ver -<br />
fahren ist teuer und ineffizient, die Energiebilanz<br />
viel schlechter als bei der<br />
Elektro mobilität. »Mit den Synthetikkraftstoffen<br />
könnten die Konzerne auch am<br />
Ver brenner festhalten, der für den Kunden<br />
dann aber schon bald teurer wird als<br />
das Elektroauto«, sagt Agora-Direktor<br />
Hochfeld.<br />
Für die Rettungsaktion des Spritmotors<br />
haben die Autolobbyisten unlängst Bernhard<br />
Mattes, den Präsidenten des Verbands<br />
der Automobilindustrie, auf politische<br />
Mission geschickt. Sogar ins Entwicklungshilfeministerium<br />
führte sein Weg.<br />
Von dessen Chef Gerd Müller (CSU) wollte<br />
Mattes Unterstützung: für eine Pilot -<br />
anlage zur Herstellung von Synthetikkraftstoff<br />
in Marokko.<br />
Simon Hage, Gerald Traufetter<br />
‣ Lesen Sie auch auf Seite 70<br />
über die Dieselaffäre bei VW<br />
35<br />
STEPHANIE PILICK / DPA