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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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Ausland<br />

STEFAN KLEINOWITZ / DER SPIEGEL<br />

Taxi mit Bild des neuen Regierungschefs Abiy: Neugeborene werden nach ihm benannt<br />

Ein afrikanisches Märchen<br />

Äthiopien Erst seit vier Monaten ist Premier Abiy Ahmed im Amt, aber schon jetzt wird der Mann,<br />

der sein Land in Rekordgeschwindigkeit verändert, verehrt wie ein Heiliger.<br />

E<br />

rst dachte Luwam Gebreyesus an<br />

eine Erscheinung. Sie konnte nicht<br />

glauben, dass ihre Mutter tatsächlich<br />

auf sie zukam. Auch die Mutter<br />

schien kurz zu zweifeln. War es wirklich<br />

wahr, was da am Samstag vor zwei<br />

Wochen am Flughafen der äthiopischen<br />

Hauptstadt Addis Abeba geschah? Lelem,<br />

die Mutter, ging unsicher <strong>vom</strong> Ausgang<br />

des Terminals auf ihre Tochter zu. Im<br />

nächsten Moment fielen sich beide in die<br />

Arme, hielten sich fest umklammert, weinten<br />

minutenlag.<br />

Drei Jahre lang hatten sie sich nicht<br />

mehr gesehen und gesprochen. Die<br />

Mutter lebt in Eritrea, die Tochter in<br />

Äthiopien, rund 700 Kilometer Luft -<br />

linie voneinander entfernt, getrennt<br />

durch die schier unüberwindliche Grenze<br />

90<br />

zwischen zwei zu Tode verfeindeten<br />

Staaten.<br />

Mutter Lelem, 45, hält vier rote Rosen<br />

in der Hand, die ihr die Tochter gegeben<br />

hat. Sie wischt sich die Tränen aus den Augen.<br />

Morgen wird sie auch ihren nach<br />

Äthiopien geflohenen Vater treffen, zum<br />

ersten Mal nach 27 Jahren.<br />

Sie sagt: »Gott segne Abiy, er hat unsere<br />

Familie wiedervereinigt.«<br />

Abiy Ahmed ist der neue äthiopische<br />

Premierminister, den seine Landsleute<br />

schon jetzt verehren wie einen lange ersehnten<br />

Heilsbringer, denn ihm ist etwas<br />

schier Unmögliches gelungen. Er hat Frieden<br />

mit dem Nachbarland Eritrea geschlossen<br />

und den gegenseitigen Hass überwunden,<br />

der die beiden hochgerüsteten Staaten<br />

seit dem Krieg um einen staubigen<br />

Landstrich trennte, bei dem zwischen 1998<br />

und 2000 nahezu 100 000 Menschen getötet<br />

wurden.<br />

»Ich war 18, als ich zweien meiner älteren<br />

Geschwister folgte und vor dem Militärdienst<br />

hierher nach Äthiopien geflohen<br />

bin«, sagt Luwam. <strong>Der</strong> zeitlich unbegrenzte<br />

Dienst in Eritrea treibt seit Jahren Zehntausende<br />

junge Frauen und Männer aus<br />

dem diktatorisch regierten Land, das oft<br />

»<strong>No</strong>rdkorea Afrikas« genannt wird. »Jetzt<br />

komme ich mir vor wie in einem Märchen.«<br />

Ein Märchen, das sie Abiy Ahmed zu<br />

verdanken hat. Er ist erst seit vier Monaten<br />

im Amt, aber in dieser kurzen Zeit<br />

reichte er nicht nur dem eritreischen Gewaltherrscher<br />

Isaias Afwerki die Hand zur<br />

Versöhnung, sondern stellte auch sein eigenes<br />

Land auf den Kopf. Abiy hob den

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