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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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Weißer Hai vor südkalifornischer Küste<br />

Doppelt so viele Angriffe wie 2016<br />

Erst Rochen, und dann?<br />

Tiere <strong>Der</strong> Weiße Hai ist zurück. Vor Kalifornien nimmt<br />

der Bestand rasant zu. Intelligente Drohnen sollen nun helfen,<br />

Badegäste zu schützen.<br />

A<br />

n den Traumstränden im Süden Kaliforniens<br />

scheint sich ein Konflikt<br />

um Leben und Tod zusammenzubrauen.<br />

Seit Jahren tummeln sich im warmen<br />

Pazifikwasser immer mehr Surfer,<br />

Taucher und Schwimmer – und immer<br />

mehr Weiße Haie.<br />

Was kaum ein Tourist dort ahnt: Wenige<br />

Meter <strong>vom</strong> Ufer entfernt ziehen manchmal<br />

sogar Dutzende Jungtiere durch das<br />

Wasser. Sie sind zwei, drei Meter lang. In<br />

oft unmittelbarer Nähe zu Freizeitsportlern<br />

jagen sie nach Stachelrochen und anderen<br />

Fischen, für stattlichere Beute sind<br />

ihre Kiefer noch zu schwach.<br />

Was aber werden diese Kiefer vertilgen,<br />

wenn die Raubfische sich nach einigen Jahren<br />

mit Rochen nicht mehr begnügen?<br />

Das ist eine Frage, die Chris Lowe umtreibt,<br />

einen Haiforscher seit mehr als zwei<br />

Jahrzehnten. An der California State University<br />

in Long Beach bei Los Angeles leitet<br />

er das »Shark Lab« – und dort hat er es<br />

mit Problemen zu tun, die denen der deutschen<br />

Wolfsforscher nicht unähnlich sind.<br />

Einerseits freut sich Lowe, dass sich die<br />

Bestände an Weißen Haien dank vieler<br />

Einzelmaßnahmen zum Umwelt- und Naturschutz<br />

seit 1971 jetzt massiv erhöht haben.<br />

Er schätzt ihre Zahl auf weit über<br />

2000. Ihre robuste Verfassung spricht dafür,<br />

dass sich dieser Teil des Pazifik ökologisch<br />

sehr gut entwickelt hat. Aber andererseits<br />

fürchtet Lowe, dass seine besorgten<br />

Mitmenschen allzu geburtenstarke<br />

Jahrgänge unter Weißen Haien vielleicht<br />

irgendwann nicht mehr dulden werden.<br />

Die Hai-Nervosität in der Öffentlichkeit<br />

nimmt jedenfalls deutlich zu. Im Sommer<br />

2017 wurden in Kalifornien mehr Sichtungen<br />

Weißer Haie als je zuvor gemeldet. Es<br />

gab doppelt so viele Angriffe auf Menschen<br />

wie noch 2016. Alle acht Opfer haben<br />

überlebt, manche aber wurden schwer<br />

verletzt. Die letzte tödliche Attacke in dem<br />

Bundesstaat datiert von 2012. Damals war<br />

ein 39-jähriger Surfer nach nur einem Biss<br />

in Oberkörper und Brett ums Leben gekommen.<br />

Gerade hat Kaliforniens Gouverneur<br />

ein Gesetz unterzeichnet, das Lowe fast<br />

vier Millionen Dollar beschert. Mit diesem<br />

Geld soll der Forscher eine neue Grund -<br />

lage schaffen für eine friedliche Koexistenz<br />

zwischen Mensch und Riesenraubfisch.<br />

Unter anderem will Lowe an den Stränden<br />

eine massive technische Aufrüstung<br />

betreiben – mit intelligenten Drohnen in<br />

der Luft, Überwachungsrobotern unter<br />

Wasser und Hai-Apps auf den Handys der<br />

Lifeguards an Land. Sobald das System<br />

die Ankunft großer Haie meldet, sollen<br />

ganze Strände gesperrt werden können.<br />

Schon seit einiger Zeit nutzt Lowe handelsübliche<br />

Kameradrohnen, um Jung -<br />

fische in Küstennähe zu entdecken. Das<br />

funktioniert aber nur eingeschränkt.<br />

Schwimmt ein Hai in trübem Wasser tiefer<br />

MARK ROMANOV / FORREST GALANTE / CATERS NEWS<br />

als etwa einen Meter, erscheint er auf dem<br />

Bildschirm als unförmiger Schatten, der<br />

alles Mögliche sein könnte – ein Schwarm<br />

Heringe oder eben ein Sechs-Meter-Monstrum.<br />

Eine künstliche Intelligenz soll nun<br />

helfen, solche Bilder zuverlässig zu interpretieren.<br />

<strong>Der</strong> Haiforscher hat bisher über 100 der<br />

Raubfische mit Sendern bestückt und<br />

mehr als 200 Empfänger im Ozean de -<br />

poniert. Sie liefern ihm nach und nach<br />

ziemlich detaillierte Bewegungsprofile.<br />

Lowe konnte mit ihnen belegen, dass Weiße<br />

Haie manchmal bis zu 50 Tage lang vor<br />

nur einem Strand ausharren, ehe sie sich<br />

ein neues Jagdrevier suchen. Jetzt will er<br />

herausfinden, warum manche Strände zu<br />

»Hotspots« für Weiße Haie werden und<br />

andere nicht – und ob die Haie an diese<br />

Versammlungsorte zurückkehren, wenn<br />

sie erwachsen sind.<br />

Zur Klärung solcher Fragen hat Lowe<br />

einen autonomen Unterwasserroboter entwickelt,<br />

der ein wenig wie ein Torpedo<br />

aussieht. Dieser kann einem besenderten<br />

Weißen Hai in 500 Meter Abstand stundenlang<br />

durch das Wasser folgen. Er ist<br />

ausgestattet mit einem Videosystem und<br />

verschiedenen Sensoren, etwa für die Wassertemperatur,<br />

die Sauerstoffkonzentra -<br />

tion oder den Salzgehalt. Lowe will so<br />

Haie beschatten, sehen, was sie sehen, verstehen<br />

lernen, warum sie das tun, was sie<br />

gerade tun.<br />

Während Weiße Haie in der Populärkultur<br />

als Dämonen schlechthin gelten, wissen<br />

Forscher verblüffend wenig über sie.<br />

Das gilt für viele Aspekte ihres Verhaltens,<br />

aber auch für Grundlegendes: Bis heute<br />

ist zum Beispiel unbekannt, wo und wie<br />

die Tiere kopulieren und wo die Weibchen<br />

ihre Jungen gebären.<br />

Menschen, sagt Lowe, sollten sich vor<br />

Weißen Haien nicht länger so panisch<br />

fürchten. Sie seien eben nicht die blutrünstigen<br />

Killer, zu denen Hollywood sie gemacht<br />

hat. Jeder einzelne Strandtag in Kalifornien<br />

belege dies: Im Wasser kämen<br />

Zehntausende den Haien näher, als ihnen<br />

bewusst sei, und es passiere gar nichts.<br />

»Haie haben kein Interesse an Menschen«,<br />

sagt Lowe. Wenn sie zubissen, dann meist<br />

aus einem Irrtum heraus.<br />

Das ramponierte Image der Haie hofft<br />

der Forscher auch über eine Aufklärungskampagne<br />

zu verbessern. Seine Chancen<br />

beurteilt Lowe mit ein wenig Übermut so:<br />

»Wir können den Hai zum nächsten Wal<br />

machen – die Art von Tier, das alle lieben,<br />

das alle sehen wollen, das alle verstehen<br />

und das alle schützen möchten.«<br />

Marco Evers<br />

108 DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong>

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