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Weißer Hai vor südkalifornischer Küste<br />
Doppelt so viele Angriffe wie 2016<br />
Erst Rochen, und dann?<br />
Tiere <strong>Der</strong> Weiße Hai ist zurück. Vor Kalifornien nimmt<br />
der Bestand rasant zu. Intelligente Drohnen sollen nun helfen,<br />
Badegäste zu schützen.<br />
A<br />
n den Traumstränden im Süden Kaliforniens<br />
scheint sich ein Konflikt<br />
um Leben und Tod zusammenzubrauen.<br />
Seit Jahren tummeln sich im warmen<br />
Pazifikwasser immer mehr Surfer,<br />
Taucher und Schwimmer – und immer<br />
mehr Weiße Haie.<br />
Was kaum ein Tourist dort ahnt: Wenige<br />
Meter <strong>vom</strong> Ufer entfernt ziehen manchmal<br />
sogar Dutzende Jungtiere durch das<br />
Wasser. Sie sind zwei, drei Meter lang. In<br />
oft unmittelbarer Nähe zu Freizeitsportlern<br />
jagen sie nach Stachelrochen und anderen<br />
Fischen, für stattlichere Beute sind<br />
ihre Kiefer noch zu schwach.<br />
Was aber werden diese Kiefer vertilgen,<br />
wenn die Raubfische sich nach einigen Jahren<br />
mit Rochen nicht mehr begnügen?<br />
Das ist eine Frage, die Chris Lowe umtreibt,<br />
einen Haiforscher seit mehr als zwei<br />
Jahrzehnten. An der California State University<br />
in Long Beach bei Los Angeles leitet<br />
er das »Shark Lab« – und dort hat er es<br />
mit Problemen zu tun, die denen der deutschen<br />
Wolfsforscher nicht unähnlich sind.<br />
Einerseits freut sich Lowe, dass sich die<br />
Bestände an Weißen Haien dank vieler<br />
Einzelmaßnahmen zum Umwelt- und Naturschutz<br />
seit 1971 jetzt massiv erhöht haben.<br />
Er schätzt ihre Zahl auf weit über<br />
2000. Ihre robuste Verfassung spricht dafür,<br />
dass sich dieser Teil des Pazifik ökologisch<br />
sehr gut entwickelt hat. Aber andererseits<br />
fürchtet Lowe, dass seine besorgten<br />
Mitmenschen allzu geburtenstarke<br />
Jahrgänge unter Weißen Haien vielleicht<br />
irgendwann nicht mehr dulden werden.<br />
Die Hai-Nervosität in der Öffentlichkeit<br />
nimmt jedenfalls deutlich zu. Im Sommer<br />
2017 wurden in Kalifornien mehr Sichtungen<br />
Weißer Haie als je zuvor gemeldet. Es<br />
gab doppelt so viele Angriffe auf Menschen<br />
wie noch 2016. Alle acht Opfer haben<br />
überlebt, manche aber wurden schwer<br />
verletzt. Die letzte tödliche Attacke in dem<br />
Bundesstaat datiert von 2012. Damals war<br />
ein 39-jähriger Surfer nach nur einem Biss<br />
in Oberkörper und Brett ums Leben gekommen.<br />
Gerade hat Kaliforniens Gouverneur<br />
ein Gesetz unterzeichnet, das Lowe fast<br />
vier Millionen Dollar beschert. Mit diesem<br />
Geld soll der Forscher eine neue Grund -<br />
lage schaffen für eine friedliche Koexistenz<br />
zwischen Mensch und Riesenraubfisch.<br />
Unter anderem will Lowe an den Stränden<br />
eine massive technische Aufrüstung<br />
betreiben – mit intelligenten Drohnen in<br />
der Luft, Überwachungsrobotern unter<br />
Wasser und Hai-Apps auf den Handys der<br />
Lifeguards an Land. Sobald das System<br />
die Ankunft großer Haie meldet, sollen<br />
ganze Strände gesperrt werden können.<br />
Schon seit einiger Zeit nutzt Lowe handelsübliche<br />
Kameradrohnen, um Jung -<br />
fische in Küstennähe zu entdecken. Das<br />
funktioniert aber nur eingeschränkt.<br />
Schwimmt ein Hai in trübem Wasser tiefer<br />
MARK ROMANOV / FORREST GALANTE / CATERS NEWS<br />
als etwa einen Meter, erscheint er auf dem<br />
Bildschirm als unförmiger Schatten, der<br />
alles Mögliche sein könnte – ein Schwarm<br />
Heringe oder eben ein Sechs-Meter-Monstrum.<br />
Eine künstliche Intelligenz soll nun<br />
helfen, solche Bilder zuverlässig zu interpretieren.<br />
<strong>Der</strong> Haiforscher hat bisher über 100 der<br />
Raubfische mit Sendern bestückt und<br />
mehr als 200 Empfänger im Ozean de -<br />
poniert. Sie liefern ihm nach und nach<br />
ziemlich detaillierte Bewegungsprofile.<br />
Lowe konnte mit ihnen belegen, dass Weiße<br />
Haie manchmal bis zu 50 Tage lang vor<br />
nur einem Strand ausharren, ehe sie sich<br />
ein neues Jagdrevier suchen. Jetzt will er<br />
herausfinden, warum manche Strände zu<br />
»Hotspots« für Weiße Haie werden und<br />
andere nicht – und ob die Haie an diese<br />
Versammlungsorte zurückkehren, wenn<br />
sie erwachsen sind.<br />
Zur Klärung solcher Fragen hat Lowe<br />
einen autonomen Unterwasserroboter entwickelt,<br />
der ein wenig wie ein Torpedo<br />
aussieht. Dieser kann einem besenderten<br />
Weißen Hai in 500 Meter Abstand stundenlang<br />
durch das Wasser folgen. Er ist<br />
ausgestattet mit einem Videosystem und<br />
verschiedenen Sensoren, etwa für die Wassertemperatur,<br />
die Sauerstoffkonzentra -<br />
tion oder den Salzgehalt. Lowe will so<br />
Haie beschatten, sehen, was sie sehen, verstehen<br />
lernen, warum sie das tun, was sie<br />
gerade tun.<br />
Während Weiße Haie in der Populärkultur<br />
als Dämonen schlechthin gelten, wissen<br />
Forscher verblüffend wenig über sie.<br />
Das gilt für viele Aspekte ihres Verhaltens,<br />
aber auch für Grundlegendes: Bis heute<br />
ist zum Beispiel unbekannt, wo und wie<br />
die Tiere kopulieren und wo die Weibchen<br />
ihre Jungen gebären.<br />
Menschen, sagt Lowe, sollten sich vor<br />
Weißen Haien nicht länger so panisch<br />
fürchten. Sie seien eben nicht die blutrünstigen<br />
Killer, zu denen Hollywood sie gemacht<br />
hat. Jeder einzelne Strandtag in Kalifornien<br />
belege dies: Im Wasser kämen<br />
Zehntausende den Haien näher, als ihnen<br />
bewusst sei, und es passiere gar nichts.<br />
»Haie haben kein Interesse an Menschen«,<br />
sagt Lowe. Wenn sie zubissen, dann meist<br />
aus einem Irrtum heraus.<br />
Das ramponierte Image der Haie hofft<br />
der Forscher auch über eine Aufklärungskampagne<br />
zu verbessern. Seine Chancen<br />
beurteilt Lowe mit ein wenig Übermut so:<br />
»Wir können den Hai zum nächsten Wal<br />
machen – die Art von Tier, das alle lieben,<br />
das alle sehen wollen, das alle verstehen<br />
und das alle schützen möchten.«<br />
Marco Evers<br />
108 DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong>