Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Deutschland<br />
sei die Frage nach ihren Motiven nicht hinfällig:<br />
Ist sie so bedürftig und abhängig,<br />
dass sie den Mann nicht verlieren will und<br />
dafür das Kind opfert? Oder besteht die<br />
Lust in der Unterwerfung unter den<br />
Mann? Oder trifft ihre eigene Lust beim<br />
Partner auf etwas Passendes? »Eigene sadistische<br />
oder masochistische Interessen<br />
können sich mit pädosexuellen Interessen<br />
mischen«, sagt Briken. »Warum sollte das<br />
bei Frauen anders sein als bei Männern?«<br />
In Berlin stand vor Jahren ein Paar vor<br />
Gericht, die beiden hatten den siebenjährigen<br />
Sohn der Frau missbraucht. Die Anklageschrift<br />
las sich wie der Leistungskatalog<br />
eines Sado-Maso-Fetisch-Klubs, alles<br />
übertrugen die beiden bedenkenlos auf<br />
das Kind. Einem Gutachter gab die Frau<br />
Einblick: Unter Tränen sagte sie, sie frage<br />
sich, wie sie das habe tun können. Aber<br />
sie sei ihrem Freund hörig gewesen, ihr<br />
Sohn wiederum sei ihr ergeben gewesen<br />
und habe getan, was sie von ihm verlangte.<br />
Die Frau sah ihrem Freund beim Analverkehr<br />
mit dem Kind zu. Sie selbst brachte<br />
ihren Sohn mehrfach dazu, sie mit der<br />
Faust zu penetrieren. Das habe sie erregt,<br />
gestand sie. Und dass sie noch immer mit<br />
diesen Fantasien masturbiere.<br />
»Man kann durchaus Lust empfinden<br />
bei etwas, das man moralisch verurteilt<br />
und schrecklich findet«, sagt Briken. »Vielen<br />
pädophilen Menschen geht das ja so.«<br />
In all den Jahren, so erinnert er sich, seien<br />
nur sehr wenige Frauen zu ihm gekommen,<br />
die Rat suchten, weil sie sich sexuell<br />
für Kinder interessierten. »Sie wollten wissen:<br />
Ist das Pädophilie? Warum bin ich so?<br />
Wie soll ich damit leben? Was ist, wenn<br />
meine Freundinnen Kinder haben? Was<br />
ist mit meinem Familienwunsch?« Wenn<br />
so eine Frau den Weg in die Sexualambulanz<br />
finde, könne man davon ausgehen,<br />
dass sie kein Einzelfall ist, sagt Briken.<br />
In Deutschland sollen sich schätzungsweise<br />
250 000 Männer sexuell zu Kindern<br />
hingezogen fühlen. An sie richten sich die<br />
Kampagnen des bundesweiten Netzwerks<br />
»Kein Täter werden«, mehr als 9500 Personen<br />
fanden dort schon Rat und Hilfe.<br />
Für Frauen gibt es nichts Vergleichbares.<br />
Im Staufener Fall hat das Gericht den Heidelberger<br />
Psychiater Hartmut Pleines beauftragt,<br />
beide Angeklagten zu untersuchen:<br />
Sind sie schuldfähig? Wie hoch ist<br />
das Risiko, dass sie noch einmal derartige<br />
Taten begehen?<br />
Christian L. bezeichnet sich als »bisexuell«.<br />
Pleines hält ihn für pädophil. Dafür<br />
sprächen Fantasien, die er zu Papier brachte,<br />
Festplatten voll kinderpornografischem<br />
Material und die Zielstrebigkeit, mit der<br />
er Zugang zu Kindern suchte. Eine ver -<br />
büßte Strafe, Therapie, Führungsaufsicht,<br />
Furcht vor Entdeckung, nichts konnte ihn<br />
<strong>vom</strong> Missbrauch abhalten. Dazu die sadis-<br />
Sie habe nicht nach ihrem<br />
Sohn gefragt. Sondern<br />
wie sie an Geld für Tabak<br />
kommen könne.<br />
tisch anmutenden Sexpraktiken mit dem<br />
Jungen. Christian L. gab zu, dass sie ihn<br />
erregten. Ein Grund mehr, ihn für gefährlich<br />
zu halten. Das extrem hohe Rückfallrisiko<br />
spreche für Sicherungsverwahrung.<br />
Und Berrin T. – die Schattenfrau?<br />
Schwer, etwas über ihr sexuelles Erleben<br />
zu sagen, sie äußert sich nicht dazu.<br />
Aber eine Pädophilie schließt der Gutachter<br />
bei ihr aus. »Die hätte sich viel früher<br />
zeigen müssen.« Womöglich habe sie ein<br />
gewisses pädosexuelles Interesse – wie<br />
nicht wenige Menschen. Es habe bei Berrin<br />
T. »beträchtliche lustvolle Momente«<br />
gegeben. »Das sieht man in den Videos.«<br />
Aber nichts in ihrer Lebensgeschichte<br />
deute darauf hin, dass sie <strong>Der</strong>artiges tat,<br />
bevor sie Christian L. traf. Sie hatte sexuelle<br />
Beziehungen mit Männern, sei dafür<br />
auch mal im Swinger-Klub gewesen. »Vieles<br />
spricht dafür, dass sie das einfach mitgenommen<br />
hat, sei es, um die Beziehung<br />
zu erhalten, oder aus dem Wunsch heraus,<br />
das mal auszuprobieren.«<br />
<strong>Der</strong> Gutachter referiert eine Kindheit<br />
mit schwerem Start: Als sie drei Jahre alt<br />
ist, sterben nacheinander Berrin T.s Eltern.<br />
Sie kommt zur Großmutter, acht Jahre später<br />
stirbt auch diese. Fortan kümmert sich<br />
ihr zehn Jahre älterer Bruder. Berrin T.<br />
macht den Hauptschulabschluss. Nach einem<br />
freiwilligen sozialen Jahr arbeitet sie<br />
zeitweise im Pflegedienst. Mehrere Ehen<br />
gehen in die Brüche, aus der ersten stammt<br />
eine Tochter. Aus einer späteren geht der<br />
2008 geborene Sohn hervor. In den vergangenen<br />
Jahren lebte sie von Hartz IV.<br />
Berrin T. verfüge über eine eher niedrige<br />
Intelligenz, ein IQ von 67, aber das beeinträchtige<br />
sie kaum in ihrer Lebensführung:<br />
»Sie hat Partnerschaften aufgebaut,<br />
kann auf Zeiten beruflicher Anpassung zurückblicken,<br />
hat mit Sozialleistungsbehörden<br />
und Vermietern gestritten.« Nicht zuletzt<br />
habe sie »allen jugendamtlichen Interventionen<br />
getrotzt« und sei vor Gericht<br />
kompetent aufgetreten, als es darum ging,<br />
ihren Jungen wiederzubekommen.<br />
Auch sei sie kein besonders nachgiebiger<br />
Mensch: »Hörigkeit passt nicht auf<br />
sie.« <strong>Der</strong> Psychiater erinnert an die Aussage<br />
einer Richterin, im Verfahren gegen<br />
das Jugendamt habe Berrin T. »nicht gewirkt,<br />
als sei sie der Lautsprecher von<br />
Herrn L.«. Und Christian L. – gefragt, was<br />
er denn an Berrin T. gemocht habe –, fiel<br />
spontan ein, es habe ihn beeindruckt, dass<br />
sie sich nichts habe gefallen lassen.<br />
»In der Beziehung war Frau T. die<br />
Schwächere«, stellt Pleines fest, »und sie<br />
war bereit, im Sinne des Beziehungserhalts<br />
den Sohn zu opfern.« Aber nicht,<br />
weil sie von ihm so abhängig gewesen sei,<br />
sondern weil <strong>No</strong>rmen und Werte für sie<br />
keine Rolle spielten. Berrin T. zeige kaum<br />
Verantwortung, sei antriebsschwach, egozentrisch.<br />
»Situationen, die bei anderen<br />
Emotionen wachrufen, verhallen bei ihr.«<br />
Den Jungen habe sie wie ihren Besitz<br />
betrachtet. »Ihn hat sie im Gespräch kein<br />
einziges Mal erwähnt«, sagt der Gutachter.<br />
»Diese Gleichgültigkeit, Dickfelligkeit, Unberührbarkeit<br />
– so ist sie eben, aber das<br />
ist keine Krankheit, sondern eine Persönlichkeitsfehlentwicklung.«<br />
Die Staatsanwältin hatte zu Beginn des<br />
Verfahrens in den Raum gestellt, auch für<br />
Berrin T. komme die Sicherungsverwahrung<br />
infrage. <strong>Der</strong> Gutachter sieht es so:<br />
Was sie mit den Kindern tat, sei an die Begegnung<br />
mit Christian L. gekoppelt gewesen.<br />
Wenn sie eines fernen Tages das Gefängnis<br />
verlassen könne, werde das Rückfallrisiko<br />
gering sein.<br />
Berrin T. hört zu, zurückgelehnt hinter<br />
ihrem Verteidiger sieht man sie kaum. Am<br />
Ende von Pleines’ Vortrag neigt sie sich<br />
nach vorn und sucht den Blick von Christian<br />
L. Sie sieht nicht unzufrieden aus.<br />
Das Gericht muss nun entscheiden, was<br />
mit Berrin T. und Christian L. geschehen<br />
soll. Nach dem Vortrag des Gutachters<br />
wirkt Christian L. bedrückt. Seine Verteidigerin<br />
sagt, sich im Gericht noch einmal<br />
auf den Videos zu sehen, habe ihn härter<br />
getroffen als erwartet. Er wolle therapiert<br />
werden, er bitte selbst darum, dass gegen<br />
ihn Sicherungsverwahrung verhängt wird.<br />
Und Berrin T.? Zeigt keine Reue. Sie<br />
hätte zur Aufklärung beitragen können, ihrem<br />
Kind die Schuldgefühle nehmen, die<br />
es haben wird, weil die Mama nun im Gefängnis<br />
sitzt. Das hat sie nicht getan. Ein<br />
Kriminalbeamter hatte berichtet, anders<br />
als ihr Partner habe Berrin T. Taten nur<br />
zugegeben, wenn sie erkannte, dass die<br />
Beamten schon davon wussten. Nach ihrer<br />
Verhaftung habe sie nicht ein einziges Mal<br />
nach ihrem Sohn gefragt. Sondern wie sie<br />
an Geld für Tabak kommen könne.<br />
In ihrem Plädoyer hat Staatsanwältin<br />
Nikola <strong>No</strong>vak für Christian L. Sicherungsverwahrung<br />
gefordert, im Anschluss an<br />
dreizehneinhalb Jahre Gefängnis. Und für<br />
Berrin T.: vierzehneinhalb Jahre.<br />
Am kommenden Dienstag soll das Urteil<br />
fallen.<br />
Video<br />
Verstörende<br />
Recherche<br />
spiegel.de/sp<strong>32</strong><strong>2018</strong>sadistinnen<br />
oder in der App DER SPIEGEL<br />
45