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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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Deutschland<br />

sei die Frage nach ihren Motiven nicht hinfällig:<br />

Ist sie so bedürftig und abhängig,<br />

dass sie den Mann nicht verlieren will und<br />

dafür das Kind opfert? Oder besteht die<br />

Lust in der Unterwerfung unter den<br />

Mann? Oder trifft ihre eigene Lust beim<br />

Partner auf etwas Passendes? »Eigene sadistische<br />

oder masochistische Interessen<br />

können sich mit pädosexuellen Interessen<br />

mischen«, sagt Briken. »Warum sollte das<br />

bei Frauen anders sein als bei Männern?«<br />

In Berlin stand vor Jahren ein Paar vor<br />

Gericht, die beiden hatten den siebenjährigen<br />

Sohn der Frau missbraucht. Die Anklageschrift<br />

las sich wie der Leistungskatalog<br />

eines Sado-Maso-Fetisch-Klubs, alles<br />

übertrugen die beiden bedenkenlos auf<br />

das Kind. Einem Gutachter gab die Frau<br />

Einblick: Unter Tränen sagte sie, sie frage<br />

sich, wie sie das habe tun können. Aber<br />

sie sei ihrem Freund hörig gewesen, ihr<br />

Sohn wiederum sei ihr ergeben gewesen<br />

und habe getan, was sie von ihm verlangte.<br />

Die Frau sah ihrem Freund beim Analverkehr<br />

mit dem Kind zu. Sie selbst brachte<br />

ihren Sohn mehrfach dazu, sie mit der<br />

Faust zu penetrieren. Das habe sie erregt,<br />

gestand sie. Und dass sie noch immer mit<br />

diesen Fantasien masturbiere.<br />

»Man kann durchaus Lust empfinden<br />

bei etwas, das man moralisch verurteilt<br />

und schrecklich findet«, sagt Briken. »Vielen<br />

pädophilen Menschen geht das ja so.«<br />

In all den Jahren, so erinnert er sich, seien<br />

nur sehr wenige Frauen zu ihm gekommen,<br />

die Rat suchten, weil sie sich sexuell<br />

für Kinder interessierten. »Sie wollten wissen:<br />

Ist das Pädophilie? Warum bin ich so?<br />

Wie soll ich damit leben? Was ist, wenn<br />

meine Freundinnen Kinder haben? Was<br />

ist mit meinem Familienwunsch?« Wenn<br />

so eine Frau den Weg in die Sexualambulanz<br />

finde, könne man davon ausgehen,<br />

dass sie kein Einzelfall ist, sagt Briken.<br />

In Deutschland sollen sich schätzungsweise<br />

250 000 Männer sexuell zu Kindern<br />

hingezogen fühlen. An sie richten sich die<br />

Kampagnen des bundesweiten Netzwerks<br />

»Kein Täter werden«, mehr als 9500 Personen<br />

fanden dort schon Rat und Hilfe.<br />

Für Frauen gibt es nichts Vergleichbares.<br />

Im Staufener Fall hat das Gericht den Heidelberger<br />

Psychiater Hartmut Pleines beauftragt,<br />

beide Angeklagten zu untersuchen:<br />

Sind sie schuldfähig? Wie hoch ist<br />

das Risiko, dass sie noch einmal derartige<br />

Taten begehen?<br />

Christian L. bezeichnet sich als »bisexuell«.<br />

Pleines hält ihn für pädophil. Dafür<br />

sprächen Fantasien, die er zu Papier brachte,<br />

Festplatten voll kinderpornografischem<br />

Material und die Zielstrebigkeit, mit der<br />

er Zugang zu Kindern suchte. Eine ver -<br />

büßte Strafe, Therapie, Führungsaufsicht,<br />

Furcht vor Entdeckung, nichts konnte ihn<br />

<strong>vom</strong> Missbrauch abhalten. Dazu die sadis-<br />

Sie habe nicht nach ihrem<br />

Sohn gefragt. Sondern<br />

wie sie an Geld für Tabak<br />

kommen könne.<br />

tisch anmutenden Sexpraktiken mit dem<br />

Jungen. Christian L. gab zu, dass sie ihn<br />

erregten. Ein Grund mehr, ihn für gefährlich<br />

zu halten. Das extrem hohe Rückfallrisiko<br />

spreche für Sicherungsverwahrung.<br />

Und Berrin T. – die Schattenfrau?<br />

Schwer, etwas über ihr sexuelles Erleben<br />

zu sagen, sie äußert sich nicht dazu.<br />

Aber eine Pädophilie schließt der Gutachter<br />

bei ihr aus. »Die hätte sich viel früher<br />

zeigen müssen.« Womöglich habe sie ein<br />

gewisses pädosexuelles Interesse – wie<br />

nicht wenige Menschen. Es habe bei Berrin<br />

T. »beträchtliche lustvolle Momente«<br />

gegeben. »Das sieht man in den Videos.«<br />

Aber nichts in ihrer Lebensgeschichte<br />

deute darauf hin, dass sie <strong>Der</strong>artiges tat,<br />

bevor sie Christian L. traf. Sie hatte sexuelle<br />

Beziehungen mit Männern, sei dafür<br />

auch mal im Swinger-Klub gewesen. »Vieles<br />

spricht dafür, dass sie das einfach mitgenommen<br />

hat, sei es, um die Beziehung<br />

zu erhalten, oder aus dem Wunsch heraus,<br />

das mal auszuprobieren.«<br />

<strong>Der</strong> Gutachter referiert eine Kindheit<br />

mit schwerem Start: Als sie drei Jahre alt<br />

ist, sterben nacheinander Berrin T.s Eltern.<br />

Sie kommt zur Großmutter, acht Jahre später<br />

stirbt auch diese. Fortan kümmert sich<br />

ihr zehn Jahre älterer Bruder. Berrin T.<br />

macht den Hauptschulabschluss. Nach einem<br />

freiwilligen sozialen Jahr arbeitet sie<br />

zeitweise im Pflegedienst. Mehrere Ehen<br />

gehen in die Brüche, aus der ersten stammt<br />

eine Tochter. Aus einer späteren geht der<br />

2008 geborene Sohn hervor. In den vergangenen<br />

Jahren lebte sie von Hartz IV.<br />

Berrin T. verfüge über eine eher niedrige<br />

Intelligenz, ein IQ von 67, aber das beeinträchtige<br />

sie kaum in ihrer Lebensführung:<br />

»Sie hat Partnerschaften aufgebaut,<br />

kann auf Zeiten beruflicher Anpassung zurückblicken,<br />

hat mit Sozialleistungsbehörden<br />

und Vermietern gestritten.« Nicht zuletzt<br />

habe sie »allen jugendamtlichen Interventionen<br />

getrotzt« und sei vor Gericht<br />

kompetent aufgetreten, als es darum ging,<br />

ihren Jungen wiederzubekommen.<br />

Auch sei sie kein besonders nachgiebiger<br />

Mensch: »Hörigkeit passt nicht auf<br />

sie.« <strong>Der</strong> Psychiater erinnert an die Aussage<br />

einer Richterin, im Verfahren gegen<br />

das Jugendamt habe Berrin T. »nicht gewirkt,<br />

als sei sie der Lautsprecher von<br />

Herrn L.«. Und Christian L. – gefragt, was<br />

er denn an Berrin T. gemocht habe –, fiel<br />

spontan ein, es habe ihn beeindruckt, dass<br />

sie sich nichts habe gefallen lassen.<br />

»In der Beziehung war Frau T. die<br />

Schwächere«, stellt Pleines fest, »und sie<br />

war bereit, im Sinne des Beziehungserhalts<br />

den Sohn zu opfern.« Aber nicht,<br />

weil sie von ihm so abhängig gewesen sei,<br />

sondern weil <strong>No</strong>rmen und Werte für sie<br />

keine Rolle spielten. Berrin T. zeige kaum<br />

Verantwortung, sei antriebsschwach, egozentrisch.<br />

»Situationen, die bei anderen<br />

Emotionen wachrufen, verhallen bei ihr.«<br />

Den Jungen habe sie wie ihren Besitz<br />

betrachtet. »Ihn hat sie im Gespräch kein<br />

einziges Mal erwähnt«, sagt der Gutachter.<br />

»Diese Gleichgültigkeit, Dickfelligkeit, Unberührbarkeit<br />

– so ist sie eben, aber das<br />

ist keine Krankheit, sondern eine Persönlichkeitsfehlentwicklung.«<br />

Die Staatsanwältin hatte zu Beginn des<br />

Verfahrens in den Raum gestellt, auch für<br />

Berrin T. komme die Sicherungsverwahrung<br />

infrage. <strong>Der</strong> Gutachter sieht es so:<br />

Was sie mit den Kindern tat, sei an die Begegnung<br />

mit Christian L. gekoppelt gewesen.<br />

Wenn sie eines fernen Tages das Gefängnis<br />

verlassen könne, werde das Rückfallrisiko<br />

gering sein.<br />

Berrin T. hört zu, zurückgelehnt hinter<br />

ihrem Verteidiger sieht man sie kaum. Am<br />

Ende von Pleines’ Vortrag neigt sie sich<br />

nach vorn und sucht den Blick von Christian<br />

L. Sie sieht nicht unzufrieden aus.<br />

Das Gericht muss nun entscheiden, was<br />

mit Berrin T. und Christian L. geschehen<br />

soll. Nach dem Vortrag des Gutachters<br />

wirkt Christian L. bedrückt. Seine Verteidigerin<br />

sagt, sich im Gericht noch einmal<br />

auf den Videos zu sehen, habe ihn härter<br />

getroffen als erwartet. Er wolle therapiert<br />

werden, er bitte selbst darum, dass gegen<br />

ihn Sicherungsverwahrung verhängt wird.<br />

Und Berrin T.? Zeigt keine Reue. Sie<br />

hätte zur Aufklärung beitragen können, ihrem<br />

Kind die Schuldgefühle nehmen, die<br />

es haben wird, weil die Mama nun im Gefängnis<br />

sitzt. Das hat sie nicht getan. Ein<br />

Kriminalbeamter hatte berichtet, anders<br />

als ihr Partner habe Berrin T. Taten nur<br />

zugegeben, wenn sie erkannte, dass die<br />

Beamten schon davon wussten. Nach ihrer<br />

Verhaftung habe sie nicht ein einziges Mal<br />

nach ihrem Sohn gefragt. Sondern wie sie<br />

an Geld für Tabak kommen könne.<br />

In ihrem Plädoyer hat Staatsanwältin<br />

Nikola <strong>No</strong>vak für Christian L. Sicherungsverwahrung<br />

gefordert, im Anschluss an<br />

dreizehneinhalb Jahre Gefängnis. Und für<br />

Berrin T.: vierzehneinhalb Jahre.<br />

Am kommenden Dienstag soll das Urteil<br />

fallen.<br />

Video<br />

Verstörende<br />

Recherche<br />

spiegel.de/sp<strong>32</strong><strong>2018</strong>sadistinnen<br />

oder in der App DER SPIEGEL<br />

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