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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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»Mammutaufgabe«, wie der Kunsthistoriker<br />

Christian Fuhrmeister <strong>vom</strong> Münchner<br />

Zentralinstitut für Kunstgeschichte sagt.<br />

Zu den ersten Historikern, die sich nun<br />

auf die Suche nach dem Raubgut der M-<br />

Aktion machen, zählen Christina Hemken<br />

und Karl-Heinz Ziessow. Die beiden Wissenschaftler<br />

haben erstmals die Bestände<br />

des 1934 gegründeten Museumsdorfs Cloppenburg<br />

geprüft*. Sie untersuchten mehr<br />

als 9000 Objekte, darunter kupfernes Kaminbesteck,<br />

Kommoden, Standuhren und<br />

Haushaltskeramiken. Die Herkunft zahlreicher<br />

Stücke sei als »bedenklich« zu bewerten,<br />

urteilen die Historiker, vieles müsse<br />

sogar definitiv als »unrechtmäßig entzogenes<br />

Kulturgut« eingestuft werden.<br />

Im Zuge ihres Projekts haben Hemken<br />

und Ziessow gemeinsam mit ihrer Kollegin<br />

Margarete Rosenbohm-Plate die Spuren<br />

der M-Aktion im Weser-Emsland verfolgt.<br />

Von den 586 Kahnlieferungen aus den<br />

Niederlanden kamen allein 334 in den<br />

»Gau« hinter der Grenze. Außerdem rollten<br />

5884 voll beladene Waggons in die Region.<br />

Damals, im Sommer 1943, sprach sich<br />

die Ankunft des mit Kostbarkeiten bepackten<br />

Schiffs in Bensersiel schnell herum.<br />

<strong>Der</strong> ganze Ort war auf den Beinen. Die<br />

Bauern aus der Umgebung standen mit<br />

ihren Fuhrwerken Schlange auf der Hauptstraße<br />

der 300-Seelen-Gemeinde.<br />

Mitten im Krieg war die Versorgungs -<br />

lage schlecht. Viele Menschen freuten sich<br />

über die Chance, »Hollandmöbel«, wie<br />

man damals sagte, zu Schleuderpreisen zu<br />

erstehen. Dabei war allen klar, woher die<br />

Sachen stammten.<br />

Die Großeltern des 1944 in Bensersiel<br />

geborenen Wilfried Wabra erwarben hier<br />

Wohnungsinventar, darunter eine Anrichte,<br />

einen Sessel und eine Uhr. <strong>Der</strong> pensionierte<br />

Seemann erinnert sich noch gut an<br />

seine Kindheit, als seine Oma jeden Tag<br />

in ihrem »Judenstuhl« saß, einem besonders<br />

wertvollen Möbelstück, bezogen mit<br />

Während der NS-Zeit beschlagnahmtes Geschirr in Cloppenburg<br />

»Unrechtmäßig entzogenes Kulturgut«<br />

Seide und mit Schnitzereien an Arm- und<br />

Rückenlehne. Auch die »Judenuhr« sei<br />

wunderschön gewesen, aus dunklem Holz,<br />

das Ziffernblatt bläulich grün mit goldenen<br />

Ornamenten, sagt Wabra. In der kargen<br />

Behausung hinterm Deich fielen die Möbel<br />

sofort ins Auge.<br />

Eigentlich sollte das Raubgut den Opfern<br />

des alliierten Luftkriegs zugutekommen.<br />

Doch am Ende profitierten alle Deutschen.<br />

Im zum Teil von Bombenangriffen<br />

verschonten Weser-Emsland wurden etwa<br />

7000 Möbelbasare in Gastwirtschaften<br />

und Scheunen, Jugendheimen und Markthallen<br />

abgehalten. Das »Delmenhorster<br />

Kreisblatt« etwa annoncierte im April<br />

1943 den Verkauf von 30 Klavieren. In<br />

Wilhelmshaven wurden damals sieben<br />

Monate lang jeden Tag »gebrauchte Möbel<br />

und Haushaltsgeräte« feilgeboten.<br />

<strong>Der</strong> Oldenburger Robert Berges, 86, erinnert<br />

sich noch heute an jenen Nachmittag<br />

im Sommer 1943, an dem er heimlich<br />

in der städtischen Markthalle spielte. Am<br />

Anfang sei es ziemlich aufregend gewesen,<br />

unglaublich viele Möbel hätten dort gestanden,<br />

erzählt der pensionierte Zahnarzt.<br />

Er sei damals elf Jahre alt gewesen<br />

und habe ehrfürchtig einige der Stücke mit<br />

der Hand berührt: »Die Möbel waren aus<br />

einem feinen dunklen Holz, das ich vorher<br />

nie gesehen hatte.« Doch dann machte der<br />

Junge eine Schublade auf und erschrak:<br />

Darin lag eine Zahnprothese.<br />

Die M-Aktion war eine Idee des NS-<br />

Chefideologen Alfred Rosenberg. Im Dezember<br />

1941 hatte er Adolf Hitler den Vorschlag<br />

unterbreitet, das Wohnungsinventar<br />

»der geflohenen und noch abreisenden<br />

Juden« in Frankreich und den Beneluxstaaten<br />

zu konfiszieren.<br />

Hitler stimmte dem Plan zu. Die Organisation<br />

der M-Aktion wurde von der von<br />

Rosenberg geleiteten Dienststelle Westen<br />

übernommen: »Erfassungsbeamte« nebst<br />

Übersetzern schwärmten aus, um die Wohnungen<br />

deportierter Juden zu inspizieren.<br />

Das Mobiliar verzeichneten sie in einem<br />

vorgedruckten Formblatt, dem »Wohnungsbefund«.<br />

Die NS-Führung mahnte 1943, für die<br />

Inventarisierung seien nur »energische<br />

und selbstbewusste Männer« geeignet. Unbedingt<br />

notwendig sei »charakterliche Sauberkeit«,<br />

damit die Nachbarn der Deportierten<br />

keinen schlechten Eindruck bekämen.<br />

Die Dolmetscher wurden angehalten,<br />

sich ordentlich zu rasieren.<br />

Umzugsunternehmen aus den besetzten<br />

Ländern brachten den Hausrat zunächst<br />

in örtliche Sammelmagazine. Dort sortierten<br />

einheimische Arbeitskräfte das Mobi-<br />

* Die Ergebnisse der Recherchen von Christina Hemken<br />

und Karl-Heinz Ziessow erscheinen im September<br />

unter dem Titel »Im Schatten des totalen Krieges.<br />

Raubgut – Kriegsgefangenschaft – Zwangsarbeit« im<br />

Verlag Museumsdorf Cloppenburg.<br />

Fotos: Florian Manz / DER SPIEGEL<br />

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