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eine Anspielung auf die in den vergangenen<br />
Jahren von Flüchtlingen angesteuerte<br />
Insel in der Straße von Sizilien.<br />
Es liegt aber nicht an Spanien, sondern<br />
vor allem an Marokko, dass immer mehr<br />
Migranten über die westliche Mittelmeerroute<br />
Europa erreichen. Spanische Seenotretter<br />
beobachteten schon im Juni, wie<br />
Menschen auf instabilen Schlauchbooten<br />
sogar tagsüber ungehindert in See stechen<br />
konnten – von Stränden nahe Tanger aus,<br />
aber auch aus Buchten im Osten bei Nador.<br />
Mehr als drei Dutzend Afrikaner segelten<br />
sogar auf einem Dinghi durch die Meer -<br />
enge zu einem Strand im spanischen<br />
Tarifa. Am vorvergangenen<br />
Donnerstag gelang es<br />
rund 600 Migranten, in der Exklave<br />
Ceuta den Grenzzaun zu<br />
überwinden.<br />
Daten der EU-Grenzschutzagentur<br />
Frontex legen nahe,<br />
dass die Schleusermafia die<br />
Nachlässigkeit der marokkanischen<br />
Sicherheitskräfte ausnutzt.<br />
Offenbar versucht Marokko,<br />
der EU Zugeständnisse<br />
abzupressen, indem Spanien<br />
durch kaum kontrollierte Zuwanderung<br />
unter Druck gesetzt<br />
wird. Schon vor dem<br />
Regierungswechsel in Spanien<br />
fühlten sich Marokkos Regierende<br />
schlecht behandelt. Während<br />
der Türkei von der EU<br />
sechs Milliarden Euro zugesagt<br />
wurden, hat Marokko für die<br />
Eindämmung der Flüchtlingsströme<br />
in den vergangenen<br />
zehn Jahren nur hundert Millionen<br />
Euro erhalten. Seit Jahresbeginn<br />
wartet man außerdem<br />
auf Gelder, um die Grenzsicherung<br />
zu verstärken. Jetzt<br />
hat Kommissionspräsident<br />
Jean-Claude Juncker eine baldige<br />
Überweisung zugesichert,<br />
der EU-Flüchtlingskommissar<br />
wollte in die Region reisen.<br />
Marokko ist von einem Transitland<br />
für Migranten zu einem<br />
Einwanderungsland geworden<br />
und hat 52 000 Menschen ein<br />
Bleiberecht zugesprochen – trotz hoher<br />
Arbeitslosigkeit vor allem bei der eigenen<br />
Jugend. Zunehmend besteigen nun aber<br />
auch, oft ungehindert von den Gendarmen,<br />
Marokkaner selbst die »pateras«,<br />
Holzboote, um eine bessere Zukunft in<br />
Europa zu suchen.<br />
Sie wissen: Ihre Chance auf Asyl, etwa<br />
in Deutschland, ist sehr gering. Was bleibt,<br />
ist allenfalls die Hoffnung, nicht allzu<br />
schnell abgeschoben zu werden. Flucht<br />
ohne Perspektive aber ist eine Belastung<br />
für alle Beteiligten. Wie den Andrang aus<br />
<strong>No</strong>rdafrika und aus Subsahara bewältigen?<br />
Mit sogenannten Ausschiffungsplattformen<br />
auf nicht europäischem Boden, wo<br />
dann über den Anspruch der Asylbewerber<br />
entschieden würde, ohne dass sie je<br />
einen Fuß auf den alten Kontinent gesetzt<br />
hätten? Eine Art Pilotprojekt dieses Typs<br />
entsteht gerade, betrieben <strong>vom</strong> Uno-<br />
Flüchtlingshilfwerk UNHCR, aber großteils<br />
finanziert von der EU. Und zwar an<br />
einer der großen Ausfallstraßen der libyschen<br />
Millionenmetropole Tripolis.<br />
Hinter dem dunkel verglasten Amtssitz<br />
des Regierungschefs Fayez Sarraj verputzen<br />
Bauarbeiter derzeit die Fassade eines<br />
Zurückgebrachte Migranten in Tripolis: Einzig lukrative Geldquelle<br />
Innenminister Salvini an der Adria: »Küsschen nach Mallorca«<br />
vierstöckigen Gebäudes, das inoffiziell vor<br />
Kurzem als Emergency Transit Center eröffnet<br />
wurde – als <strong>No</strong>tfall-Übergangseinrichtung.<br />
Bis zu tausend in Libyen Gestrandete<br />
sollen hier Unterschlupf finden. Von<br />
hier aus will man sie in ein Übergangszentrum<br />
der Vereinten Nationen in Niger ausfliegen<br />
und später, je nach Aufnahmebereitschaft,<br />
auf Drittländer weiterverteilen.<br />
Im Moment werden nur die am meisten<br />
gefährdeten Migranten mit der größten<br />
Chance auf Asyl in den Lagern der libyschen<br />
Milizen ausgewählt und hierhergebracht;<br />
das UNHCR möchte das Modell<br />
HANI AMARA / REUTERS<br />
BS / BESTIMAGE<br />
später auf das ganze Land ausweiten. Die<br />
Idee ähnelt den von der EU geforderten<br />
»Asylzentren« in <strong>No</strong>rdafrika. Diese haben<br />
bisher alle dafür infrage kommenden Staaten<br />
abgelehnt.<br />
Durch die italienische Hardlinerpolitik<br />
und die Kooperation mit den libyschen Milizen<br />
ist die Zahl der Migranten, die aus<br />
Libyen nach Italien kommen, zwar stark<br />
geschrumpft. Doch Libyen bleibt für die<br />
Migration aus Afrika nach Europa ein<br />
Schlüsselland – weil es hier nach wie vor<br />
keinen funktionierenden Staat gibt, nur<br />
rivalisierende Milizen, und weil Migration<br />
die einzig lukrative Einnahmequelle<br />
ist.<br />
Laut der libyschen Anti-<br />
Migrations-Behörde sind in diesem<br />
Jahr schon mehr als 10 000<br />
Menschen auf der Flucht festgenommen<br />
worden; die meisten<br />
landen in Internierungslagern,<br />
die von Milizen kon -<br />
trolliert werden und in denen<br />
Folter, Unterernährung und<br />
Zwangsarbeit zum Alltag gehören.<br />
Die Bewaffneten verhaften<br />
Dunkelhäutige auf den Straßen;<br />
aus den Lagern können diese<br />
sich dann für 1500 libysche Dinar,<br />
umgerechnet 300 Euro,<br />
freikaufen.<br />
Am Straßenrand in Katrun,<br />
tausend Kilometer südlich von<br />
Tripolis, steht Issa Hassan, ein<br />
35 Jahre alter Wüstenbewohner<br />
<strong>vom</strong> Volk der Tubu. »Warum<br />
macht Europa die Grenze nicht<br />
dort dicht, wo es noch geht?«,<br />
fragt Hassan. Täglich sieht er<br />
die Toyotas aus Agadez im<br />
<strong>No</strong>rden Nigers vorbeiziehen,<br />
die auf der Ladefläche bis zu<br />
drei Dutzend Menschen nach<br />
Libyen transportieren. Hier in<br />
Katrun, wo die Fahrzeuge nach<br />
der Saharadurchquerung aus -<br />
gewechselt werden, tut sich<br />
eines der zentralen nordafri -<br />
kanischen Einfallstore in Richtung<br />
Europa auf.<br />
Hassan, der Politologe werden<br />
wollte, ehe der Aufstand<br />
gegen Muammar al-Gaddafi aus ihm<br />
einen Milizionär machte, kann nicht<br />
verstehen, warum die Europäer Milliarden<br />
Euro zur Bekämpfung der Zuwanderung<br />
verschwenden, wo doch das Problem<br />
so einfach zu lösen wäre: »Mit 500<br />
Mann und ein wenig Luftunterstützung<br />
könntet ihr hier die fünf befahrbaren<br />
Zugänge in die libysche Sahara kontrollieren<br />
– so wie es schon zu Gaddafis Zeiten<br />
war«, sagt Hassan.<br />
Fiona Ehlers, Mirco Keilberth,<br />
Steffen Lüdke, Walter Mayr, Helene Zuber<br />
80 DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong>