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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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eine Anspielung auf die in den vergangenen<br />

Jahren von Flüchtlingen angesteuerte<br />

Insel in der Straße von Sizilien.<br />

Es liegt aber nicht an Spanien, sondern<br />

vor allem an Marokko, dass immer mehr<br />

Migranten über die westliche Mittelmeerroute<br />

Europa erreichen. Spanische Seenotretter<br />

beobachteten schon im Juni, wie<br />

Menschen auf instabilen Schlauchbooten<br />

sogar tagsüber ungehindert in See stechen<br />

konnten – von Stränden nahe Tanger aus,<br />

aber auch aus Buchten im Osten bei Nador.<br />

Mehr als drei Dutzend Afrikaner segelten<br />

sogar auf einem Dinghi durch die Meer -<br />

enge zu einem Strand im spanischen<br />

Tarifa. Am vorvergangenen<br />

Donnerstag gelang es<br />

rund 600 Migranten, in der Exklave<br />

Ceuta den Grenzzaun zu<br />

überwinden.<br />

Daten der EU-Grenzschutzagentur<br />

Frontex legen nahe,<br />

dass die Schleusermafia die<br />

Nachlässigkeit der marokkanischen<br />

Sicherheitskräfte ausnutzt.<br />

Offenbar versucht Marokko,<br />

der EU Zugeständnisse<br />

abzupressen, indem Spanien<br />

durch kaum kontrollierte Zuwanderung<br />

unter Druck gesetzt<br />

wird. Schon vor dem<br />

Regierungswechsel in Spanien<br />

fühlten sich Marokkos Regierende<br />

schlecht behandelt. Während<br />

der Türkei von der EU<br />

sechs Milliarden Euro zugesagt<br />

wurden, hat Marokko für die<br />

Eindämmung der Flüchtlingsströme<br />

in den vergangenen<br />

zehn Jahren nur hundert Millionen<br />

Euro erhalten. Seit Jahresbeginn<br />

wartet man außerdem<br />

auf Gelder, um die Grenzsicherung<br />

zu verstärken. Jetzt<br />

hat Kommissionspräsident<br />

Jean-Claude Juncker eine baldige<br />

Überweisung zugesichert,<br />

der EU-Flüchtlingskommissar<br />

wollte in die Region reisen.<br />

Marokko ist von einem Transitland<br />

für Migranten zu einem<br />

Einwanderungsland geworden<br />

und hat 52 000 Menschen ein<br />

Bleiberecht zugesprochen – trotz hoher<br />

Arbeitslosigkeit vor allem bei der eigenen<br />

Jugend. Zunehmend besteigen nun aber<br />

auch, oft ungehindert von den Gendarmen,<br />

Marokkaner selbst die »pateras«,<br />

Holzboote, um eine bessere Zukunft in<br />

Europa zu suchen.<br />

Sie wissen: Ihre Chance auf Asyl, etwa<br />

in Deutschland, ist sehr gering. Was bleibt,<br />

ist allenfalls die Hoffnung, nicht allzu<br />

schnell abgeschoben zu werden. Flucht<br />

ohne Perspektive aber ist eine Belastung<br />

für alle Beteiligten. Wie den Andrang aus<br />

<strong>No</strong>rdafrika und aus Subsahara bewältigen?<br />

Mit sogenannten Ausschiffungsplattformen<br />

auf nicht europäischem Boden, wo<br />

dann über den Anspruch der Asylbewerber<br />

entschieden würde, ohne dass sie je<br />

einen Fuß auf den alten Kontinent gesetzt<br />

hätten? Eine Art Pilotprojekt dieses Typs<br />

entsteht gerade, betrieben <strong>vom</strong> Uno-<br />

Flüchtlingshilfwerk UNHCR, aber großteils<br />

finanziert von der EU. Und zwar an<br />

einer der großen Ausfallstraßen der libyschen<br />

Millionenmetropole Tripolis.<br />

Hinter dem dunkel verglasten Amtssitz<br />

des Regierungschefs Fayez Sarraj verputzen<br />

Bauarbeiter derzeit die Fassade eines<br />

Zurückgebrachte Migranten in Tripolis: Einzig lukrative Geldquelle<br />

Innenminister Salvini an der Adria: »Küsschen nach Mallorca«<br />

vierstöckigen Gebäudes, das inoffiziell vor<br />

Kurzem als Emergency Transit Center eröffnet<br />

wurde – als <strong>No</strong>tfall-Übergangseinrichtung.<br />

Bis zu tausend in Libyen Gestrandete<br />

sollen hier Unterschlupf finden. Von<br />

hier aus will man sie in ein Übergangszentrum<br />

der Vereinten Nationen in Niger ausfliegen<br />

und später, je nach Aufnahmebereitschaft,<br />

auf Drittländer weiterverteilen.<br />

Im Moment werden nur die am meisten<br />

gefährdeten Migranten mit der größten<br />

Chance auf Asyl in den Lagern der libyschen<br />

Milizen ausgewählt und hierhergebracht;<br />

das UNHCR möchte das Modell<br />

HANI AMARA / REUTERS<br />

BS / BESTIMAGE<br />

später auf das ganze Land ausweiten. Die<br />

Idee ähnelt den von der EU geforderten<br />

»Asylzentren« in <strong>No</strong>rdafrika. Diese haben<br />

bisher alle dafür infrage kommenden Staaten<br />

abgelehnt.<br />

Durch die italienische Hardlinerpolitik<br />

und die Kooperation mit den libyschen Milizen<br />

ist die Zahl der Migranten, die aus<br />

Libyen nach Italien kommen, zwar stark<br />

geschrumpft. Doch Libyen bleibt für die<br />

Migration aus Afrika nach Europa ein<br />

Schlüsselland – weil es hier nach wie vor<br />

keinen funktionierenden Staat gibt, nur<br />

rivalisierende Milizen, und weil Migration<br />

die einzig lukrative Einnahmequelle<br />

ist.<br />

Laut der libyschen Anti-<br />

Migrations-Behörde sind in diesem<br />

Jahr schon mehr als 10 000<br />

Menschen auf der Flucht festgenommen<br />

worden; die meisten<br />

landen in Internierungslagern,<br />

die von Milizen kon -<br />

trolliert werden und in denen<br />

Folter, Unterernährung und<br />

Zwangsarbeit zum Alltag gehören.<br />

Die Bewaffneten verhaften<br />

Dunkelhäutige auf den Straßen;<br />

aus den Lagern können diese<br />

sich dann für 1500 libysche Dinar,<br />

umgerechnet 300 Euro,<br />

freikaufen.<br />

Am Straßenrand in Katrun,<br />

tausend Kilometer südlich von<br />

Tripolis, steht Issa Hassan, ein<br />

35 Jahre alter Wüstenbewohner<br />

<strong>vom</strong> Volk der Tubu. »Warum<br />

macht Europa die Grenze nicht<br />

dort dicht, wo es noch geht?«,<br />

fragt Hassan. Täglich sieht er<br />

die Toyotas aus Agadez im<br />

<strong>No</strong>rden Nigers vorbeiziehen,<br />

die auf der Ladefläche bis zu<br />

drei Dutzend Menschen nach<br />

Libyen transportieren. Hier in<br />

Katrun, wo die Fahrzeuge nach<br />

der Saharadurchquerung aus -<br />

gewechselt werden, tut sich<br />

eines der zentralen nordafri -<br />

kanischen Einfallstore in Richtung<br />

Europa auf.<br />

Hassan, der Politologe werden<br />

wollte, ehe der Aufstand<br />

gegen Muammar al-Gaddafi aus ihm<br />

einen Milizionär machte, kann nicht<br />

verstehen, warum die Europäer Milliarden<br />

Euro zur Bekämpfung der Zuwanderung<br />

verschwenden, wo doch das Problem<br />

so einfach zu lösen wäre: »Mit 500<br />

Mann und ein wenig Luftunterstützung<br />

könntet ihr hier die fünf befahrbaren<br />

Zugänge in die libysche Sahara kontrollieren<br />

– so wie es schon zu Gaddafis Zeiten<br />

war«, sagt Hassan.<br />

Fiona Ehlers, Mirco Keilberth,<br />

Steffen Lüdke, Walter Mayr, Helene Zuber<br />

80 DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong>

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