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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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Titel<br />

D<br />

eutschland Anfang <strong>August</strong>, Nachrichten<br />

aus einem besorgten, fluchenden<br />

und ungewohnt matten<br />

Land:<br />

In Chemnitz verhängt die Wasserbehörde<br />

ein Schöpfverbot für die städtischen<br />

Gewässer, der Fluss Chemnitz ist an manchen<br />

Stellen nur noch 25 Zentimeter tief.<br />

Wer Wasser entnimmt, soll bis zu 50 000<br />

Euro Bußgeld zahlen.<br />

In Gotteszell in Niederbayern muss eine<br />

Regionalbahnstrecke gesperrt werden,<br />

weil sich die Gleise in der Hitze verzogen<br />

haben.<br />

Aus Bochum appelliert der Brauer Moritz<br />

Fiege an seine Kunden, das Leergut<br />

zurückzubringen. Den Abfüllern gingen<br />

Flaschen und Kästen aus.<br />

Im Berliner Zoo frieren Pfleger Fisch,<br />

Äpfel und Möhren ein, Kühlnahrung für<br />

die Eisbären. In Hamburg stellt Hagenbecks<br />

Tierpark Rasensprenger für seine<br />

Alpakas auf.<br />

Deutschland <strong>2018</strong>, ein Land unter der<br />

Trockenhaube. Ein flirrender Sommer, verstörend<br />

seltsam, verstörend großartig. Zur<br />

ewigen Sonne am Himmel, zur Dürre<br />

kommt die Unsicherheit: Ist das endlich<br />

mal wieder ein Sommer, der den Namen<br />

Sommer verdient? Oder stecken wir schon<br />

mitten im Klimawandel? Fühlt sich so unsere<br />

Zukunft an?<br />

Bei Kassel müssen auf der A7 zwei der<br />

drei Fahrspuren gesperrt werden, weil das<br />

Material in den Asphaltfugen schmilzt. In<br />

Achim bei Bremen stehlen Einbrecher bei<br />

einem Lieferservice für 170 Euro Speiseeis<br />

aus der Kühltruhe. In Hamburg bleiben einige<br />

Hallenbäder geschlossen, damit die<br />

Mitarbeiter in Freibädern eingesetzt werden<br />

können.<br />

Es jubeln: der Bundesverband der Deutschen<br />

Süßwarenindustrie (Eisverkauf plus<br />

11 Prozent gegenüber dem Vorjahr), die<br />

Bierbrauer, die Betreiber von Solaranlagen,<br />

die zeitweise mehr Strom produzieren<br />

als 20 Atomkraftwerke.<br />

Ein ganzes Land, eine Gesellschaft entschleunigt<br />

sich gerade – mediterrane Verhältnisse.<br />

Vieles, was wichtig war, rutscht<br />

nach hinten, Aufmerksamkeit bringen<br />

Wetternachrichten, Wettertipps, Wetterexperten.<br />

Viele Fragen, verblüffend wenig<br />

Antworten: <strong>Der</strong> Sommer ist so groß und<br />

unser Wissen über das Klima so überschaubar,<br />

noch immer.<br />

An der Warenterminbörse klettern unterdessen<br />

die <strong>No</strong>tierungen für Kartoffeln.<br />

Polizisten in Schleswig-Holstein müssen,<br />

zunächst bis zum 10. <strong>August</strong>, keine Dienstmützen<br />

mehr tragen. Es gibt weniger Mücken,<br />

wegen der Trockenheit, und weniger<br />

Unkraut, weil auch Unkraut Wasser<br />

braucht. Strom wird teurer, weil Kraftwerke<br />

darauf verzichten, das warme Kühlwasser<br />

in die aufgeheizten Flüsse zu leiten. Es<br />

ist, alles in allem, nicht zu fassen.<br />

Dürremonate pro Jahr<br />

Als die ARD in der vergangenen Woche<br />

einen Hitze-»Brennpunkt« sendet, gleich<br />

nach der »Tagesschau«, schalteten 4,35<br />

Millionen Menschen ein; die Trockenzeit<br />

macht viele zu Opfern und uns alle zu Zeitzeugen.<br />

Deutschland Anfang <strong>August</strong>, das ist ein<br />

Land, das vielerorts freiwillig langsamer<br />

wird und mancherorts (unfreiwillig) zum<br />

Stillstand kommt. Ein Land, das Zeit für<br />

Wesentliches bekommt: Zeit fürs Genießen,<br />

Zeit zum Nachdenken. Ist dieser ungewöhnliche<br />

Sommer ein Vorgeschmack<br />

auf das, was uns bevorsteht?<br />

Die Wissenschaft hat, wenig überraschend,<br />

keine eindeutige Antwort auf diese<br />

Fragen. Klima ist komplex, Klima ist etwas<br />

anderes als Wetter. Beim Klima vermischen<br />

sich Politik und Wissenschaft,<br />

gute Absichten und Panikmache. Wer will,<br />

sieht überall Muster, wo andere allenfalls<br />

Indizien beobachten.<br />

Wetter, das sagen Wetterexperten, hat<br />

ohnehin viel mit Psychologie zu tun. Frühere<br />

Jahrhundertsommer werden, ebenso<br />

wie frühere Katastrophenwinter, in der Erinnerung<br />

dramatisiert, verklärt oder einfach<br />

vergessen. Tatsächlich brachte der<br />

Sommer <strong>2018</strong> – entgegen der Wahrnehmung<br />

vieler Menschen – bisher keinen<br />

neuen Hitzerekord. Erst seit Mitte Juli<br />

kommt es vor, dass die Temperaturen in<br />

weiten Teilen Deutschlands oberhalb von<br />

30 Grad liegen.<br />

Wahr ist: Die Deutschen schwitzen.<br />

Wahr ist auch: Sie haben schon stärker geschwitzt.<br />

Im WM-Jahr 2006, als sich die<br />

Deutschen am »Sommermärchen« berauschten,<br />

war der Juli um zwei Grad wärmer<br />

als in diesem Jahr – damals klagten<br />

die Menschen nicht, sie feierten. Ob Temperaturen<br />

als belebend oder belastend<br />

empfunden werden, ist höchst subjektiv.<br />

»Irgendjemand beschwert sich immer«,<br />

sagt Jörg Kachelmann, Deutschlands bekanntester<br />

Meteorologe und Kolumnist<br />

auf SPIEGEL+. »Für die einen fängt der<br />

Sommer erst bei 35 Grad im Schatten an,<br />

für die anderen ist das dann schon Saharaglut.«<br />

Für Kachelmann »totaler Quatsch«.<br />

Typisch für einen deutschen Sommer sei<br />

seine Launenhaftigkeit, normal sei das<br />

Achterbahnwetter, das die Boulevardmedien<br />

regelmäßig verstört.<br />

Was den Sommer <strong>2018</strong> zu einer Ausnahmeerscheinung<br />

macht, ist seine ungewöhnliche<br />

Beständigkeit. Eine derart lang<br />

anhaltende Schönwetterperiode mit viel<br />

Sonnenschein und wenig Regen kommt<br />

im Schnitt höchstens alle zehn Jahre einmal<br />

vor. Und weil der Regen fehlt, ist nicht<br />

die Hitze das Problem, sondern die Dürre<br />

– vor allem im <strong>No</strong>rden und im Osten<br />

Deutschlands gab es mancherorts seit Mai<br />

so gut wie keine Niederschläge.<br />

Das kann am Klimawandel liegen, es<br />

muss aber nicht am Klimawandel liegen.<br />

Auch in früheren Jahren gab es schließlich<br />

extreme Dürren. 1992 etwa, als der Weizen<br />

auf den Feldern verdorrte, als Brunnen<br />

versiegten und Pfarrer im Gottesdienst<br />

um Regen beteten. Oder 1971, als<br />

an vielen Orten im Land Waldbrände loderten.<br />

Oder 1947, als sogar das Trinkwasser<br />

knapp wurde.<br />

Was sich sicher sagen lässt: Ursache dieses<br />

Sommers, der nicht enden will, ist eine<br />

sogenannte Omega-Lage. Meist schon im<br />

Frühjahr bildet sich dabei ein kräftiges<br />

Hochdruckgebiet, das zwischen Tiefdruckgebieten<br />

eingekeilt wird (das Gebilde heißt<br />

so, weil es dem griechischen Buchstaben<br />

1 Monat 2 3 4 5 6<br />

1971 bis 2000<br />

Quelle: L. Samaniego et al., Nature Climate Change, <strong>2018</strong><br />

bei einem Temperaturanstieg<br />

von 2 ° C<br />

längere Trockenperioden<br />

besonders<br />

im Mittelmeerraum –<br />

aber auch in<br />

Schweden und<br />

Finnland<br />

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