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Titel<br />
D<br />
eutschland Anfang <strong>August</strong>, Nachrichten<br />
aus einem besorgten, fluchenden<br />
und ungewohnt matten<br />
Land:<br />
In Chemnitz verhängt die Wasserbehörde<br />
ein Schöpfverbot für die städtischen<br />
Gewässer, der Fluss Chemnitz ist an manchen<br />
Stellen nur noch 25 Zentimeter tief.<br />
Wer Wasser entnimmt, soll bis zu 50 000<br />
Euro Bußgeld zahlen.<br />
In Gotteszell in Niederbayern muss eine<br />
Regionalbahnstrecke gesperrt werden,<br />
weil sich die Gleise in der Hitze verzogen<br />
haben.<br />
Aus Bochum appelliert der Brauer Moritz<br />
Fiege an seine Kunden, das Leergut<br />
zurückzubringen. Den Abfüllern gingen<br />
Flaschen und Kästen aus.<br />
Im Berliner Zoo frieren Pfleger Fisch,<br />
Äpfel und Möhren ein, Kühlnahrung für<br />
die Eisbären. In Hamburg stellt Hagenbecks<br />
Tierpark Rasensprenger für seine<br />
Alpakas auf.<br />
Deutschland <strong>2018</strong>, ein Land unter der<br />
Trockenhaube. Ein flirrender Sommer, verstörend<br />
seltsam, verstörend großartig. Zur<br />
ewigen Sonne am Himmel, zur Dürre<br />
kommt die Unsicherheit: Ist das endlich<br />
mal wieder ein Sommer, der den Namen<br />
Sommer verdient? Oder stecken wir schon<br />
mitten im Klimawandel? Fühlt sich so unsere<br />
Zukunft an?<br />
Bei Kassel müssen auf der A7 zwei der<br />
drei Fahrspuren gesperrt werden, weil das<br />
Material in den Asphaltfugen schmilzt. In<br />
Achim bei Bremen stehlen Einbrecher bei<br />
einem Lieferservice für 170 Euro Speiseeis<br />
aus der Kühltruhe. In Hamburg bleiben einige<br />
Hallenbäder geschlossen, damit die<br />
Mitarbeiter in Freibädern eingesetzt werden<br />
können.<br />
Es jubeln: der Bundesverband der Deutschen<br />
Süßwarenindustrie (Eisverkauf plus<br />
11 Prozent gegenüber dem Vorjahr), die<br />
Bierbrauer, die Betreiber von Solaranlagen,<br />
die zeitweise mehr Strom produzieren<br />
als 20 Atomkraftwerke.<br />
Ein ganzes Land, eine Gesellschaft entschleunigt<br />
sich gerade – mediterrane Verhältnisse.<br />
Vieles, was wichtig war, rutscht<br />
nach hinten, Aufmerksamkeit bringen<br />
Wetternachrichten, Wettertipps, Wetterexperten.<br />
Viele Fragen, verblüffend wenig<br />
Antworten: <strong>Der</strong> Sommer ist so groß und<br />
unser Wissen über das Klima so überschaubar,<br />
noch immer.<br />
An der Warenterminbörse klettern unterdessen<br />
die <strong>No</strong>tierungen für Kartoffeln.<br />
Polizisten in Schleswig-Holstein müssen,<br />
zunächst bis zum 10. <strong>August</strong>, keine Dienstmützen<br />
mehr tragen. Es gibt weniger Mücken,<br />
wegen der Trockenheit, und weniger<br />
Unkraut, weil auch Unkraut Wasser<br />
braucht. Strom wird teurer, weil Kraftwerke<br />
darauf verzichten, das warme Kühlwasser<br />
in die aufgeheizten Flüsse zu leiten. Es<br />
ist, alles in allem, nicht zu fassen.<br />
Dürremonate pro Jahr<br />
Als die ARD in der vergangenen Woche<br />
einen Hitze-»Brennpunkt« sendet, gleich<br />
nach der »Tagesschau«, schalteten 4,35<br />
Millionen Menschen ein; die Trockenzeit<br />
macht viele zu Opfern und uns alle zu Zeitzeugen.<br />
Deutschland Anfang <strong>August</strong>, das ist ein<br />
Land, das vielerorts freiwillig langsamer<br />
wird und mancherorts (unfreiwillig) zum<br />
Stillstand kommt. Ein Land, das Zeit für<br />
Wesentliches bekommt: Zeit fürs Genießen,<br />
Zeit zum Nachdenken. Ist dieser ungewöhnliche<br />
Sommer ein Vorgeschmack<br />
auf das, was uns bevorsteht?<br />
Die Wissenschaft hat, wenig überraschend,<br />
keine eindeutige Antwort auf diese<br />
Fragen. Klima ist komplex, Klima ist etwas<br />
anderes als Wetter. Beim Klima vermischen<br />
sich Politik und Wissenschaft,<br />
gute Absichten und Panikmache. Wer will,<br />
sieht überall Muster, wo andere allenfalls<br />
Indizien beobachten.<br />
Wetter, das sagen Wetterexperten, hat<br />
ohnehin viel mit Psychologie zu tun. Frühere<br />
Jahrhundertsommer werden, ebenso<br />
wie frühere Katastrophenwinter, in der Erinnerung<br />
dramatisiert, verklärt oder einfach<br />
vergessen. Tatsächlich brachte der<br />
Sommer <strong>2018</strong> – entgegen der Wahrnehmung<br />
vieler Menschen – bisher keinen<br />
neuen Hitzerekord. Erst seit Mitte Juli<br />
kommt es vor, dass die Temperaturen in<br />
weiten Teilen Deutschlands oberhalb von<br />
30 Grad liegen.<br />
Wahr ist: Die Deutschen schwitzen.<br />
Wahr ist auch: Sie haben schon stärker geschwitzt.<br />
Im WM-Jahr 2006, als sich die<br />
Deutschen am »Sommermärchen« berauschten,<br />
war der Juli um zwei Grad wärmer<br />
als in diesem Jahr – damals klagten<br />
die Menschen nicht, sie feierten. Ob Temperaturen<br />
als belebend oder belastend<br />
empfunden werden, ist höchst subjektiv.<br />
»Irgendjemand beschwert sich immer«,<br />
sagt Jörg Kachelmann, Deutschlands bekanntester<br />
Meteorologe und Kolumnist<br />
auf SPIEGEL+. »Für die einen fängt der<br />
Sommer erst bei 35 Grad im Schatten an,<br />
für die anderen ist das dann schon Saharaglut.«<br />
Für Kachelmann »totaler Quatsch«.<br />
Typisch für einen deutschen Sommer sei<br />
seine Launenhaftigkeit, normal sei das<br />
Achterbahnwetter, das die Boulevardmedien<br />
regelmäßig verstört.<br />
Was den Sommer <strong>2018</strong> zu einer Ausnahmeerscheinung<br />
macht, ist seine ungewöhnliche<br />
Beständigkeit. Eine derart lang<br />
anhaltende Schönwetterperiode mit viel<br />
Sonnenschein und wenig Regen kommt<br />
im Schnitt höchstens alle zehn Jahre einmal<br />
vor. Und weil der Regen fehlt, ist nicht<br />
die Hitze das Problem, sondern die Dürre<br />
– vor allem im <strong>No</strong>rden und im Osten<br />
Deutschlands gab es mancherorts seit Mai<br />
so gut wie keine Niederschläge.<br />
Das kann am Klimawandel liegen, es<br />
muss aber nicht am Klimawandel liegen.<br />
Auch in früheren Jahren gab es schließlich<br />
extreme Dürren. 1992 etwa, als der Weizen<br />
auf den Feldern verdorrte, als Brunnen<br />
versiegten und Pfarrer im Gottesdienst<br />
um Regen beteten. Oder 1971, als<br />
an vielen Orten im Land Waldbrände loderten.<br />
Oder 1947, als sogar das Trinkwasser<br />
knapp wurde.<br />
Was sich sicher sagen lässt: Ursache dieses<br />
Sommers, der nicht enden will, ist eine<br />
sogenannte Omega-Lage. Meist schon im<br />
Frühjahr bildet sich dabei ein kräftiges<br />
Hochdruckgebiet, das zwischen Tiefdruckgebieten<br />
eingekeilt wird (das Gebilde heißt<br />
so, weil es dem griechischen Buchstaben<br />
1 Monat 2 3 4 5 6<br />
1971 bis 2000<br />
Quelle: L. Samaniego et al., Nature Climate Change, <strong>2018</strong><br />
bei einem Temperaturanstieg<br />
von 2 ° C<br />
längere Trockenperioden<br />
besonders<br />
im Mittelmeerraum –<br />
aber auch in<br />
Schweden und<br />
Finnland<br />
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