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Wirtschaft<br />
Serie (V) Kaum etwas beschäftigt die Deutschen derzeit<br />
so sehr wie die Frage nach bezahlbarem Wohnraum.<br />
<strong>Der</strong> SPIEGEL widmet dem Thema deshalb eine<br />
Sommer serie: Wir fragen, wie die Wohnungsnot die Gesellschaft<br />
verändert, wie gute Wohnungsbaupolitik aus -<br />
sehen sollte und wer die entscheidenden Akteure sind.<br />
Revolte von Amts wegen<br />
Wohnen Bürgermeister und Stadträte in ganz Deutschland versuchen, den rasanten Miet -<br />
steigerungen Einhalt zu gebieten. Dabei greifen einige zu ungewöhnlichen Mitteln.<br />
72<br />
F<br />
lorian Schmidt, 42, öffnet in Jesuslatschen,<br />
grünen Shorts und T-<br />
Shirt die Bürotür, die rotblonden<br />
Haare sind verwuschelt. Dass das<br />
legere Outfit nicht unbedingt zum Amt eines<br />
Baustadtrats passt, scheint ihm herzlich<br />
egal zu sein. Ungerührt schlurft er später<br />
genau so zu einem Bürgertermin.<br />
Er sei »Aktivist und Projektemacher in<br />
der Politik«, sagt Schmidt über sich selbst.<br />
Seine Mission lautet: »Wir müssen die<br />
Stadt zurückkaufen.«<br />
Schmidts Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg<br />
könnte ein Eldorado für Immobilieninvestoren<br />
in Berlin sein: jung, hip, zentral.<br />
Und noch immer voll von heruntergekommenen<br />
Altbauten, die sich nach einer Sanierung<br />
zu Mondpreisen neu vermieten<br />
oder, noch besser, als Eigentumswohnungen<br />
verkaufen ließen.<br />
Wenn Schmidt nicht wäre.<br />
Er zwingt Immobilienkäufer zu weitgehenden<br />
Zugeständnissen an die Altmieter<br />
oder schnappt ihnen das Objekt vor der<br />
Nase weg, er verweigert die Genehmigung<br />
für Luxussanierungen, neue Balkone oder<br />
Aufzüge, wenn er sie für unnötig hält. Sein<br />
Bezirk sei »von Verdrängung der Mie -<br />
terinnen und Mieter betroffen«, schreibt<br />
er den düpierten Hausbesitzern dann<br />
schlicht, das gelte es zu verhindern.<br />
Damit ist der Grüne Schmidt einer von<br />
vielen Kommunalpolitikern, die vehement<br />
gegen steigende Mieten kämpfen. Deutschlandweit<br />
loten vor allem Gemeinden ihre<br />
Möglichkeiten aus, dem Wahnsinn auf dem<br />
Wohnungsmarkt Einhalt zu gebieten – mit<br />
teils drastischen Mitteln. »Das wird kein<br />
gutes Ende nehmen«, prophezeit Andreas<br />
Mattner, Präsident des Zentralen Immobilien<br />
Ausschusses (ZIA) düster. »Wir vertreiben<br />
Investoren aus Deutschland.«<br />
Vor allem Stadtrat Schmidt ist in den<br />
zwei Jahren seiner Amtszeit zum Branchenschreck<br />
geworden. Regelmäßig greift<br />
er zu brachialen Mitteln, die anderswo nur<br />
im <strong>No</strong>tfall angewendet werden: dem Vorkaufsrecht,<br />
das Kommunen bei einer Hausoder<br />
Grundstücksveräußerung unter bestimmten<br />
Voraussetzungen haben, etwa<br />
in einem städtischen Entwicklungs- oder<br />
Erhaltungsgebiet.<br />
13-mal hat Schmidt in den vergangenen<br />
zwei Jahren dafür gesorgt, dass Wohnhäuser<br />
auf diesem Wege nicht an den eigentlichen<br />
Interessenten verkauft wurden, sondern<br />
beispielsweise in den Besitz städtischer<br />
Wohnbaugesellschaften übergingen.<br />
17-mal hat er mit einem freundlichen Hinweis<br />
auf diese Möglichkeit Investoren weitreichende<br />
Zugeständnisse abgerungen. In<br />
sogenannten Abwendungsvereinbarungen<br />
verpflichteten diese sich etwa, auf Luxussanierungen<br />
zu verzichten und Mietwohnungen<br />
nicht in Eigentumswohnungen umzuwandeln.<br />
Das nämlich ist sonst der typische Lauf<br />
der Dinge, den der überteuerte Verkauf<br />
eines Mehrfamilienhauses in Großstädten<br />
in Gang setzt: <strong>Der</strong> Käufer modernisiert in<br />
großem Stil, legt dann die Kosten auf die<br />
Mieter um, was bis zu einem gewissen Prozentsatz<br />
erlaubt ist. Diese sogenannte Modernisierungsumlage<br />
kann ein Großteil der<br />
Altmieter oft gar nicht aufbringen, so wird<br />
es möglich, die Wohnungen teuer neu zu<br />
vermieten oder weiterzuverkaufen.<br />
Für viele Alteingesessene sind Politiker<br />
wie Schmidt deshalb die letzte Chance, in<br />
ihrem Kiez bleiben zu können, das gilt<br />
nicht nur für den Bezirk Friedrichshain-<br />
Kreuzberg. Im Nachbarkiez Neukölln<br />
etwa ist ein Altbau in der Sanderstraße<br />
nur eines von vielen Gebäuden, das für<br />
einen erschreckend hohen Preis gerade<br />
einen neuen Besitzer gefunden hat: Ein Investor<br />
will das 40-Fache dessen bezahlen,<br />
was die Wohnungen im Haus pro Jahr an<br />
Nettokaltmieten einbringen.<br />
Ökonomisch betrachtet bedeutet das,<br />
dass der Käufer die Einnahmen irgendwie<br />
steigern muss, wenn das Investment sinnvoll<br />
sein soll.<br />
Menschlich gesehen heißt es, dass Altmieter<br />
wie die 90-jährige Ingeborg Krause<br />
jetzt um ihr Zuhause fürchten, dabei lebt<br />
die Rentnerin bereits seit 1934 hier. Sie habe<br />
als Kind schon unter dem Flieder gespielt,<br />
der damals im Hof stand, sagt sie. »Ich<br />
möchte hier wohnen bleiben, bis ich rausgetragen<br />
werde.«<br />
Auch viele der übrigen Mieter im Haus<br />
können sich große Preissprünge bei den<br />
Wohnkosten kaum leisten. <strong>Der</strong>zeit verhandelt<br />
der Bezirk mit dem Investor deshalb<br />
über einen Abwendungsvertrag.<br />
Damit sich Menschen mit weniger Einkommen<br />
dauerhaft den Berliner Innenstadtbereich<br />
leisten können, hat Baustadtrat<br />
Schmidt große Träume. 50 Prozent aller<br />
Wohnungen seines Bezirks sollen in<br />
nicht allzu ferner Zukunft in öffentlicher<br />
Hand sein, ähnlich wie in der österreichischen<br />
Hauptstadt Wien. Für einen »systematischen«<br />
Ankauf will er eine »kreativ<br />
agierende Organisation« gründen, zum<br />
Beispiel eine »nachbarschaftliche Bodenstiftung«.<br />
Die soll sich nicht nur aus öffentlichen<br />
Geldern, sondern auch aus Spenden<br />
oder Genossenschaftsmitteln speisen.<br />
Können solche Ideen tatsächlich die Lösung<br />
für die Wohnmisere sein? »Wenn die<br />
Hälfte des Wohnungsmarktes reguliert ist,<br />
geht im unregulierten Teil umso mehr die<br />
Post ab«, argumentiert Claus Michelsen,<br />
Ökonom am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.<br />
Völlig verteufeln, wie es<br />
andere Ökonomen tun, will er Schmidts<br />
Vorgehen aber nicht. »Als Bezirk Gebäude<br />
aufzukaufen ist eine teure Geschichte,<br />
aber solche Instrumente zeigen auch, dass<br />
sich der Staat nicht alles gefallen lässt.«<br />
Unternehmer wie ZIA-Präsident Mattner<br />
geraten in Rage, wenn sie auf den<br />
streitbaren Stadtrat und seine Kollegen angesprochen<br />
werden. Die aktuelle Situation<br />
bringe »immer skurrilere Lösungswege<br />
hervor«, sagt Mattner. Die Preissteigerungen<br />
auf dem Wohnungsmarkt seien<br />
schlicht durch das knappe Angebot begründet<br />
– da könne nur die Privatwirtschaft<br />
helfen. Investoren aber würden zunehmend<br />
vergrault, »das Pendel schlägt<br />
komplett in die falsche Richtung aus«.<br />
Wenn man Mattners Logik folgen will, gilt<br />
das längst nicht nur für das rot-rot-grün regierte<br />
Berlin. Auch der CDU-Politiker Mar-<br />
DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong>