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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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Wirtschaft<br />

Serie (V) Kaum etwas beschäftigt die Deutschen derzeit<br />

so sehr wie die Frage nach bezahlbarem Wohnraum.<br />

<strong>Der</strong> SPIEGEL widmet dem Thema deshalb eine<br />

Sommer serie: Wir fragen, wie die Wohnungsnot die Gesellschaft<br />

verändert, wie gute Wohnungsbaupolitik aus -<br />

sehen sollte und wer die entscheidenden Akteure sind.<br />

Revolte von Amts wegen<br />

Wohnen Bürgermeister und Stadträte in ganz Deutschland versuchen, den rasanten Miet -<br />

steigerungen Einhalt zu gebieten. Dabei greifen einige zu ungewöhnlichen Mitteln.<br />

72<br />

F<br />

lorian Schmidt, 42, öffnet in Jesuslatschen,<br />

grünen Shorts und T-<br />

Shirt die Bürotür, die rotblonden<br />

Haare sind verwuschelt. Dass das<br />

legere Outfit nicht unbedingt zum Amt eines<br />

Baustadtrats passt, scheint ihm herzlich<br />

egal zu sein. Ungerührt schlurft er später<br />

genau so zu einem Bürgertermin.<br />

Er sei »Aktivist und Projektemacher in<br />

der Politik«, sagt Schmidt über sich selbst.<br />

Seine Mission lautet: »Wir müssen die<br />

Stadt zurückkaufen.«<br />

Schmidts Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg<br />

könnte ein Eldorado für Immobilieninvestoren<br />

in Berlin sein: jung, hip, zentral.<br />

Und noch immer voll von heruntergekommenen<br />

Altbauten, die sich nach einer Sanierung<br />

zu Mondpreisen neu vermieten<br />

oder, noch besser, als Eigentumswohnungen<br />

verkaufen ließen.<br />

Wenn Schmidt nicht wäre.<br />

Er zwingt Immobilienkäufer zu weitgehenden<br />

Zugeständnissen an die Altmieter<br />

oder schnappt ihnen das Objekt vor der<br />

Nase weg, er verweigert die Genehmigung<br />

für Luxussanierungen, neue Balkone oder<br />

Aufzüge, wenn er sie für unnötig hält. Sein<br />

Bezirk sei »von Verdrängung der Mie -<br />

terinnen und Mieter betroffen«, schreibt<br />

er den düpierten Hausbesitzern dann<br />

schlicht, das gelte es zu verhindern.<br />

Damit ist der Grüne Schmidt einer von<br />

vielen Kommunalpolitikern, die vehement<br />

gegen steigende Mieten kämpfen. Deutschlandweit<br />

loten vor allem Gemeinden ihre<br />

Möglichkeiten aus, dem Wahnsinn auf dem<br />

Wohnungsmarkt Einhalt zu gebieten – mit<br />

teils drastischen Mitteln. »Das wird kein<br />

gutes Ende nehmen«, prophezeit Andreas<br />

Mattner, Präsident des Zentralen Immobilien<br />

Ausschusses (ZIA) düster. »Wir vertreiben<br />

Investoren aus Deutschland.«<br />

Vor allem Stadtrat Schmidt ist in den<br />

zwei Jahren seiner Amtszeit zum Branchenschreck<br />

geworden. Regelmäßig greift<br />

er zu brachialen Mitteln, die anderswo nur<br />

im <strong>No</strong>tfall angewendet werden: dem Vorkaufsrecht,<br />

das Kommunen bei einer Hausoder<br />

Grundstücksveräußerung unter bestimmten<br />

Voraussetzungen haben, etwa<br />

in einem städtischen Entwicklungs- oder<br />

Erhaltungsgebiet.<br />

13-mal hat Schmidt in den vergangenen<br />

zwei Jahren dafür gesorgt, dass Wohnhäuser<br />

auf diesem Wege nicht an den eigentlichen<br />

Interessenten verkauft wurden, sondern<br />

beispielsweise in den Besitz städtischer<br />

Wohnbaugesellschaften übergingen.<br />

17-mal hat er mit einem freundlichen Hinweis<br />

auf diese Möglichkeit Investoren weitreichende<br />

Zugeständnisse abgerungen. In<br />

sogenannten Abwendungsvereinbarungen<br />

verpflichteten diese sich etwa, auf Luxussanierungen<br />

zu verzichten und Mietwohnungen<br />

nicht in Eigentumswohnungen umzuwandeln.<br />

Das nämlich ist sonst der typische Lauf<br />

der Dinge, den der überteuerte Verkauf<br />

eines Mehrfamilienhauses in Großstädten<br />

in Gang setzt: <strong>Der</strong> Käufer modernisiert in<br />

großem Stil, legt dann die Kosten auf die<br />

Mieter um, was bis zu einem gewissen Prozentsatz<br />

erlaubt ist. Diese sogenannte Modernisierungsumlage<br />

kann ein Großteil der<br />

Altmieter oft gar nicht aufbringen, so wird<br />

es möglich, die Wohnungen teuer neu zu<br />

vermieten oder weiterzuverkaufen.<br />

Für viele Alteingesessene sind Politiker<br />

wie Schmidt deshalb die letzte Chance, in<br />

ihrem Kiez bleiben zu können, das gilt<br />

nicht nur für den Bezirk Friedrichshain-<br />

Kreuzberg. Im Nachbarkiez Neukölln<br />

etwa ist ein Altbau in der Sanderstraße<br />

nur eines von vielen Gebäuden, das für<br />

einen erschreckend hohen Preis gerade<br />

einen neuen Besitzer gefunden hat: Ein Investor<br />

will das 40-Fache dessen bezahlen,<br />

was die Wohnungen im Haus pro Jahr an<br />

Nettokaltmieten einbringen.<br />

Ökonomisch betrachtet bedeutet das,<br />

dass der Käufer die Einnahmen irgendwie<br />

steigern muss, wenn das Investment sinnvoll<br />

sein soll.<br />

Menschlich gesehen heißt es, dass Altmieter<br />

wie die 90-jährige Ingeborg Krause<br />

jetzt um ihr Zuhause fürchten, dabei lebt<br />

die Rentnerin bereits seit 1934 hier. Sie habe<br />

als Kind schon unter dem Flieder gespielt,<br />

der damals im Hof stand, sagt sie. »Ich<br />

möchte hier wohnen bleiben, bis ich rausgetragen<br />

werde.«<br />

Auch viele der übrigen Mieter im Haus<br />

können sich große Preissprünge bei den<br />

Wohnkosten kaum leisten. <strong>Der</strong>zeit verhandelt<br />

der Bezirk mit dem Investor deshalb<br />

über einen Abwendungsvertrag.<br />

Damit sich Menschen mit weniger Einkommen<br />

dauerhaft den Berliner Innenstadtbereich<br />

leisten können, hat Baustadtrat<br />

Schmidt große Träume. 50 Prozent aller<br />

Wohnungen seines Bezirks sollen in<br />

nicht allzu ferner Zukunft in öffentlicher<br />

Hand sein, ähnlich wie in der österreichischen<br />

Hauptstadt Wien. Für einen »systematischen«<br />

Ankauf will er eine »kreativ<br />

agierende Organisation« gründen, zum<br />

Beispiel eine »nachbarschaftliche Bodenstiftung«.<br />

Die soll sich nicht nur aus öffentlichen<br />

Geldern, sondern auch aus Spenden<br />

oder Genossenschaftsmitteln speisen.<br />

Können solche Ideen tatsächlich die Lösung<br />

für die Wohnmisere sein? »Wenn die<br />

Hälfte des Wohnungsmarktes reguliert ist,<br />

geht im unregulierten Teil umso mehr die<br />

Post ab«, argumentiert Claus Michelsen,<br />

Ökonom am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.<br />

Völlig verteufeln, wie es<br />

andere Ökonomen tun, will er Schmidts<br />

Vorgehen aber nicht. »Als Bezirk Gebäude<br />

aufzukaufen ist eine teure Geschichte,<br />

aber solche Instrumente zeigen auch, dass<br />

sich der Staat nicht alles gefallen lässt.«<br />

Unternehmer wie ZIA-Präsident Mattner<br />

geraten in Rage, wenn sie auf den<br />

streitbaren Stadtrat und seine Kollegen angesprochen<br />

werden. Die aktuelle Situation<br />

bringe »immer skurrilere Lösungswege<br />

hervor«, sagt Mattner. Die Preissteigerungen<br />

auf dem Wohnungsmarkt seien<br />

schlicht durch das knappe Angebot begründet<br />

– da könne nur die Privatwirtschaft<br />

helfen. Investoren aber würden zunehmend<br />

vergrault, »das Pendel schlägt<br />

komplett in die falsche Richtung aus«.<br />

Wenn man Mattners Logik folgen will, gilt<br />

das längst nicht nur für das rot-rot-grün regierte<br />

Berlin. Auch der CDU-Politiker Mar-<br />

DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong>

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