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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong><br />

Ein so komplexer Betrug<br />

wäre nicht ohne Wissen<br />

der Spitzenmanager<br />

möglich gewesen.<br />

Dagegen war nichts einzuwenden. Allerdings<br />

tauchte in ergänzenden Unterlagen<br />

der Präsentation offenbar auch eine fragwürdige<br />

Software auf: Sie konnte anhand<br />

bestimmter Parameter wie der Drehzahl<br />

unterscheiden, ob das Auto im <strong>No</strong>rmal -<br />

betrieb war oder im »testrelevanten Bereich«<br />

– also ob die Fahrbedingungen auf<br />

eine mögliche Testsituation schließen ließen.<br />

Das Kritische dabei: <strong>Der</strong> Stickoxidausstoß<br />

variierte je nach Situation spürbar:<br />

Am saubersten waren die Fahrzeuge unter<br />

Testbedingungen.<br />

Hätten die Topmanager die fragwürdige<br />

Technik damals verhindern müssen?<br />

VW möchte keine Aussagen einzelner<br />

Zeugen kommentieren: »Die gesamthafte<br />

Einordnung der Aussagen und Geschehnisse<br />

ist Sache der zuständigen Gerichte<br />

und Behörden.« Das heikle Treffen an sich<br />

und Winterkorns Teilnahme bestreitet niemand.<br />

Aber es gibt unterschiedliche Aussagen<br />

über den Verlauf: Einige Teilnehmer<br />

behaupten, die Software sei gar nicht besprochen<br />

worden. Man habe sich lediglich<br />

auf eine bessere, teurere Technologie verständigt.<br />

Wie glaubhaft ist das? Die beiden<br />

Ingenieure wollen laut ihrer Aussage bei<br />

der Staatsanwaltschaft auf die Softwarefunktion<br />

detailliert eingegangen sein.<br />

Wollte Winterkorn womöglich gar<br />

nichts wissen? Oder hielten die Vorstände<br />

den Eingriff in die Abgasreinigung für unproblematisch?<br />

Wenn aber die Topmanager Bescheid<br />

wussten, zu welchen Tricks die Motorsteuerung<br />

grundsätzlich imstande war, dann ließe<br />

sich VWs Verteidigungslinie schwerlich<br />

halten. Was auch für den zweiten Vorwurf<br />

gilt, das Unternehmen hätte die Aktionäre<br />

zu spät über drohende Geldstrafen wegen<br />

des Betrugs informiert. Bisher beteuerten<br />

die beschuldigten Manager und VW stets,<br />

sie seien am 18. September 2015 aus allen<br />

Wolken gefallen, als die US-Umweltbehörde<br />

EPA öffentlich den Vorwurf des Betrugs<br />

erhob und eine Milliardenstrafe androhte.<br />

Die Ermittlungsakten zeigen jedoch,<br />

dass etliche Führungskräfte ausgesagt haben,<br />

das drohende Unheil bereits lange zuvor<br />

erkannt und ihre Chefs schon Monate<br />

vor Bekanntwerden der Affäre vor drohenden<br />

Strafen gewarnt zu haben, teils<br />

mündlich, teils durch E-Mails.<br />

Wie die Aussagen zu bewerten sind, das<br />

prüfen nun die Ermittler. Sie befassen sich<br />

zudem mit der Frage, ob Winterkorn in<br />

dem Wissen, dass er für die Folgen der<br />

Diesel-Affäre <strong>vom</strong> VW-Konzern haftbar<br />

gemacht werden könnte, womöglich gezielt<br />

Vermögen auf die Seite geschafft hat.<br />

Die Staatsanwaltschaft München I hatte<br />

Anfang 2017 aufgrund einer Geldwäscheanzeige<br />

Ermittlungen gegen Winterkorn eingeleitet.<br />

Er soll zudem ein unzulässiges<br />

Steuer sparmodell genutzt haben. <strong>Der</strong> Hintergrund:<br />

Winterkorn hatte mehrere Millionen<br />

Euro auf ein Konto bei der Schweizer<br />

Bank Vontobel transferiert, das seiner Frau<br />

zugerechnet wird. Die Münchner Staats -<br />

anwälte gaben das Verfahren nach Braunschweig<br />

ab, weil sie einen Zusammenhang<br />

zu dem dortigen Dieselverfahren sahen.<br />

Ob die Ermittler zu dem Schluss kommen,<br />

Winterkorn habe auf illegale Weise Geld in<br />

Sicherheit bringen wollen, hängt <strong>vom</strong> Ausgang<br />

der Ermittlungen insgesamt ab.<br />

Winterkorn weist den Vorwurf zurück.<br />

Sein Anwalt Felix Dörr und er wehren sich<br />

zudem vehement gegen den Vorwurf der<br />

Steuerhinterziehung und die Verbreitung<br />

von ordnerweise Informationen über Winterkorns<br />

private Vermögensverhältnisse.<br />

Den Vorwurf der Steuerhinterziehung<br />

prüfen nun die Finanzbehörden. Allerdings<br />

hat Winterkorn offenbar bislang für<br />

die relevanten Jahre 2016 und 2017 noch<br />

gar keine Steuererklärung abgegeben, weshalb<br />

sich die Vorwürfe rasch als bedeutungslose<br />

Episode erweisen könnten.<br />

Bei den Kernvorwürfen in Sachen Diesel<br />

sieht das allerdings anders aus, auch<br />

bei den VW-Töchtern Porsche und Audi.<br />

<strong>Der</strong> Sportwagenhersteller aus Zuffenhausen<br />

musste auf Anordnung des Kraftfahrt-Bundesamtes<br />

(KBA) inzwischen nahezu<br />

seine gesamte Dieselflotte zur Nachrüstung<br />

in die Werkstätten beordern. Angefangen<br />

<strong>vom</strong> Cayenne über den Macan<br />

bis hin zum Panamera waren selbst neue<br />

Autos der Schadstoffklasse Euro 6 mit verbotener<br />

Software ausgestattet.<br />

Lange Zeit schob Porsche die Schuld<br />

ausschließlich auf die von Audi gelieferten<br />

Motoren. Doch mit jeder Vernehmung<br />

wurden die Staatsanwälte skeptischer, ob<br />

Porsche-Manager nicht doch frühzeitig<br />

über die illegalen Funktionen Bescheid<br />

wussten. Es gab Hausdurchsuchungen,<br />

und gegen einige Spitzenmanager wurden<br />

Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts<br />

des Betruges eingeleitet. Porsche will sich<br />

nicht äußern, die Manager haben die Anschuldigungen<br />

bislang zurückgewiesen.<br />

Bei Audi sieht es nicht viel besser aus.<br />

Bislang musste Ingolstadt Modelle aus fast<br />

jeder Reihe zurückrufen, in den nächsten<br />

Tagen folgt der letzte Akt in dem unwürdigen<br />

Spiel: Da wird der amtliche Rückruf<br />

für den Audi A6 3.0 Liter in der Version<br />

mit hochgezüchteten Biturbo-Motoren erfolgen.<br />

Es handelt sich dabei um ein Modell<br />

mit einem besonders hochgezüchteten Dieselmotor,<br />

der laut KBA mindestens eine illegale<br />

Abschalteinrichtung in seiner Software<br />

enthält. Audi äußerte sich zu dem<br />

neuerlichen Rückruf nicht und erklärte lediglich,<br />

man kooperiere in der Sache intensiv<br />

mit den Behörden.<br />

Die Staatsanwaltschaft München II hat<br />

sich bei Audi inzwischen bis in die oberste<br />

Führungsetage gearbeitet. Seit gut sechs<br />

Wochen sitzt Audi-Chef Rupert Stadler in<br />

Augsburg in Untersuchungshaft. Eine Anklage<br />

gegen ihn und rund ein Dutzend ehemalige<br />

Topmanager, Motorenentwickler<br />

und Mitarbeiter des Konzerns ist kaum abzuwenden,<br />

heißt es in Justizkreisen.<br />

Bis spätestens Ende des Jahres will die<br />

Staatsanwaltschaft offenbar einen Ermittlungskomplex<br />

rund um den Betrug mit<br />

Fahrzeugen in den USA mit ersten Anklagen<br />

abschließen. <strong>Der</strong> zweite Part könnte<br />

kurze Zeit später folgen, glauben Verteidiger<br />

zu wissen. In diesem Komplex geht<br />

es um Betrug mit etwa 200 000 in der EU<br />

verkauften Dieselfahrzeugen mit manipulierter<br />

Software und um mittelbare Falschbeurkundung<br />

bei der Zulassung.<br />

Dass alle Manager die Vorwürfe bislang<br />

von sich gewiesen haben, beeindruckt die<br />

Ermittler nicht sonderlich. Sie scheinen<br />

überzeugt, dass ein so komplexer und weitreichender<br />

Betrug nicht ohne das Wissen<br />

und vielleicht sogar die Anordnung der<br />

Spitzenmanager möglich gewesen wäre.<br />

Weil es offenbar nicht das eine, zwingende<br />

Beweisdokument für diese These gibt,<br />

gleichen die Ermittlungen einem mühsamen<br />

Puzzlespiel, in dem Durchsuchungen,<br />

Analysen, Vernehmungen nun langsam ein<br />

klareres Bild liefern: Die Programmierung<br />

von Betrugsfunktionen soll möglicherweise<br />

bis in das Jahr 2005 zurückreichen, lange<br />

vor 2015 soll die Audi-Führung auf problematische<br />

Eingriffe in die Abgasreinigung<br />

hingewiesen worden sein.<br />

Außerdem legen Papiere und Einlassungen<br />

nahe, dass Audi-Chef Stadler mitgeholfen<br />

haben könnte, Informationen über<br />

Eingriffe in die Abgasreinigung vor den<br />

US-Behörden zu verschleiern.<br />

Audi hat sich wegen der laufenden Ermittlungen<br />

bisher nicht zu diesen Vorgängen<br />

geäußert, die beschuldigten Manager<br />

haben die Vorwürfe stets bestritten.<br />

Die Audi-Spitze wird sich daher ähnlich<br />

wie Volkswagen auf ein Bußgeld einstellen<br />

müssen. Die Wolfsburger mussten vor wenigen<br />

Wochen rund eine Milliarde Euro<br />

an das Land Niedersachsen überweisen.<br />

So hoch dürfte der Betrag bei Audi nicht<br />

ausfallen. Immerhin sind bei Audi nicht<br />

wie bei VW elf Millionen Fahrzeuge, sondern<br />

nur 200 000 betroffen. Dafür reichen<br />

die mutmaßlichen Vergehen bis in die letzten<br />

Monate. Und die betroffenen Modelle<br />

wie der Q5, Q7 oder A8 sind deutlich teurer<br />

als Golf und Co.<br />

Frank Dohmen, Simon Hage,<br />

Martin Hesse, Gerald Traufetter<br />

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