Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Merkels<br />
Rettung<br />
Migration Beim Flüchtlingsgipfel<br />
in Brüssel entschied die<br />
Kanzlerin den Streit mit der CSU<br />
für sich. Die EU tut sich<br />
schwer, die Pläne umzusetzen.<br />
Deutschland<br />
E<br />
s war der Gipfel, der Angela Merkels<br />
Kanzlerschaft rettete, in einer Nachtsitzung<br />
einigten sich die Staats- und<br />
Regierungschefs der EU Ende Juni auf<br />
eine ganze Reihe von Vorhaben, um die<br />
Flüchtlingskrise endlich in den<br />
Griff zu bekommen. Für Merkel<br />
war der Deal, den vor allem<br />
Frankreichs Präsident Emma -<br />
nuel Macron und der neue italienische<br />
Regierungschef Giuseppe<br />
Conte aushandelten, besonders<br />
wichtig. Mit dieser sogenannten<br />
europäischen Lösung<br />
konnte sie den Streit mit der<br />
CSU um die Flüchtlingspolitik<br />
zu ihren Gunsten entscheiden.<br />
Einen Monat später gibt es<br />
allerdings so gut wie keine konkreten<br />
Fortschritte bei der Umsetzung<br />
der Vereinbarung. Am<br />
Montag trafen sich immerhin<br />
die Fachbeamten aus Brüssel<br />
mit Vertretern des Flüchtlingshilfswerks<br />
UNHCR und der<br />
Migrationsorganisation IOM<br />
erstmals in Genf. Zwar fehlte<br />
ein Vertreter Libyens, eines der<br />
am meisten betroffenen Länder,<br />
dafür aber war die Afrikanische<br />
Union vertreten. Doch außer<br />
einem ersten Abtasten kam dabei<br />
nichts heraus. »Alle sind<br />
sich einig, dass es noch viel Zeit<br />
braucht, um die Gipfelergebnisse<br />
mit konkretem Leben zu füllen«,<br />
sagt ein Diplomat.<br />
Es geht vor allem um zwei Einrichtungen,<br />
die die Staats- und Regierungschefs<br />
beim Gipfel zu später Stunde beschlossen<br />
hatten. Da sind zum einen Aufnahmezentren<br />
innerhalb der EU, zum anderen sogenannte<br />
regionale Ausschiffungsplattformen,<br />
ein Vorschlag von Ratspräsident Donald<br />
Tusk. Flüchtlinge, die im Mittelmeer<br />
aufgegriffen werden, sollen in solche Zentren<br />
in Drittstaaten, also in <strong>No</strong>rdafrika, gebracht<br />
werden. Ziel ist es, so das Geschäftsmodell<br />
der Schlepperbanden zu zerstören.<br />
Die EU-Kommission hat sich nun erstmals<br />
in zwei »<strong>No</strong>n-Papers« konkretere Gedanken<br />
dazu gemacht, wie diese Einrichtungen<br />
aussehen könnten. <strong>Der</strong> Terminus<br />
»Nicht-Papier« beschreibt dabei ein in -<br />
offizielles Arbeitspapier, das aus den normalen<br />
Akten herausgehalten wird, dafür<br />
aber umso deutlicher die wirkliche Haltung<br />
einer Behörde wiedergibt.<br />
Die Kommission stellt nun nicht nur<br />
klar, dass die EU weitgehend die Kosten<br />
für solche Einrichtungen übernehmen würde.<br />
Vor allem sieht sie die Ausschiffungsplattformen,<br />
anders als manche Mitgliedstaaten,<br />
keinesfalls nur als Ort, an den die<br />
Flüchtlinge möglichst schnell zurückgeschickt<br />
werden sollen. »Für diejenigen, die<br />
internationalen Schutz benötigen, müssen<br />
dauerhafte Lösungen gefunden werden«,<br />
heißt es stattdessen, »zum Beispiel die<br />
Möglichkeit des Resettlements.«<br />
Ähnlich wie dem Uno-Flüchtlingshilfswerk<br />
schwebt der Kommission vor, dass<br />
Regierungschefin Merkel beim EU-Gipfel im Juni: Kreative Buchführung<br />
ein Teil der Flüchtlinge, die Anspruch auf<br />
Asyl oder zumindest Schutz nach der Genfer<br />
Konvention haben könnten, aus diesen<br />
Einrichtungen in <strong>No</strong>rdafrika vor allem in<br />
Europa verteilt werden sollen. Unter dem<br />
gegenwärtigen zweijährigen Resettlement-<br />
Programm für Flüchtlinge, die in Lagern<br />
außerhalb Europas leben, haben 20 EU-<br />
Mitglieder zugesagt, etwa 50 000 Menschen<br />
aufzunehmen. Tatsächlich umgesiedelt<br />
wurden bis Ende Juni etwa 4300.<br />
Ein Teil der offenen Plätze, so schlägt<br />
die Kommission vor, könnte nun für die<br />
neuen Ausschiffungsplattformen genutzt<br />
werden. Mit kreativer Buchführung dieser<br />
Art hatte die Kommission Merkel bereits<br />
einmal beim Abschluss des EU-Türkei-<br />
Deals im März 2016 geholfen.<br />
<strong>Der</strong> Vorschlag ist heikel, denn er wirft<br />
jene Frage auf, die die Staats- und Regierungschefs<br />
in der Gipfelnacht vermieden<br />
hatten: das Problem der Verteilung von<br />
Flüchtlingen innerhalb der EU. Bislang<br />
scheitern alle Versuche einer umfassenden<br />
Reform der EU-Asylregeln, weil die Mitgliedstaaten<br />
in dieser Frage heillos zer -<br />
stritten sind.<br />
Vor allem osteuropäische Länder wie<br />
Ungarn weigern sich, Flüchtlinge auf -<br />
zunehmen. Daher war es auch wenig<br />
überraschend, dass bei einer ersten Diskussion<br />
der EU-Botschafter über die beiden<br />
<strong>No</strong>n-Papers vor zehn Tagen neben<br />
Dänemark vor allem die Osteuropäer<br />
Bedenken anmeldeten.<br />
Nicht viel mehr Klarheit<br />
gibt es bei der zweiten Idee<br />
der Staats- und Regierungschefs.<br />
Dabei geht es um kontrollierte<br />
Zentren innerhalb<br />
der EU, in die Flüchtlinge nach<br />
ihrer Anlandung in bislang<br />
zumeist italienischen Häfen<br />
gebracht werden können.<br />
Aus Sicht der Kommission<br />
könnte in diesen Zentren<br />
schnell geklärt werden, wer<br />
Anspruch auf Schutz in der<br />
EU hat und wer nicht. Vorbild<br />
dafür sind offenbar die sogenannten<br />
Hotspots, die vor<br />
dem Türkei-Deal im Frühjahr<br />
2016 vor allem auf den griechischen<br />
Inseln errichtet worden<br />
waren. Finanzielle An -<br />
reize für Aufnahmeländer soll<br />
es ebenfalls geben: 6000 Euro<br />
pro Flüchtling.<br />
Das Problem auch hier: Ähnlich<br />
wie bei den Ausschiffungsplattformen<br />
hat sich noch kein<br />
Land bereit erklärt, solche<br />
Zentren zu errichten. Diplomaten<br />
berichten, dass am ehesten<br />
die spanische Regierung<br />
einen gewissen Willen dazu<br />
erkennen lasse. Da Italien aus<br />
Seenot gerettete Migranten nicht mehr aufnehmen<br />
will, droht das Land zum Hauptanlaufort<br />
für Flüchtlinge auf der Mittelmeerroute<br />
zu werden (siehe Seite 78).<br />
Erschwerend kommt hinzu, dass UNHCR<br />
und IOM auf keinen Fall als Feigenblatt für<br />
eine zunehmend auf Abschottung abzielende<br />
Flüchtlingspolitik der EU herhalten<br />
wollen. In einem fünfseitigen Konzept -<br />
papier warnten die Uno-Einrichtungen<br />
daher unlängst, dass der »Respekt für die<br />
Sicherheit und Würde aller flüchtenden<br />
Menschen« jederzeit gewahrt sein müsste.<br />
Peter Müller<br />
GEERT VANDEN WIJNGAERT / AP<br />
27