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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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Merkels<br />

Rettung<br />

Migration Beim Flüchtlingsgipfel<br />

in Brüssel entschied die<br />

Kanzlerin den Streit mit der CSU<br />

für sich. Die EU tut sich<br />

schwer, die Pläne umzusetzen.<br />

Deutschland<br />

E<br />

s war der Gipfel, der Angela Merkels<br />

Kanzlerschaft rettete, in einer Nachtsitzung<br />

einigten sich die Staats- und<br />

Regierungschefs der EU Ende Juni auf<br />

eine ganze Reihe von Vorhaben, um die<br />

Flüchtlingskrise endlich in den<br />

Griff zu bekommen. Für Merkel<br />

war der Deal, den vor allem<br />

Frankreichs Präsident Emma -<br />

nuel Macron und der neue italienische<br />

Regierungschef Giuseppe<br />

Conte aushandelten, besonders<br />

wichtig. Mit dieser sogenannten<br />

europäischen Lösung<br />

konnte sie den Streit mit der<br />

CSU um die Flüchtlingspolitik<br />

zu ihren Gunsten entscheiden.<br />

Einen Monat später gibt es<br />

allerdings so gut wie keine konkreten<br />

Fortschritte bei der Umsetzung<br />

der Vereinbarung. Am<br />

Montag trafen sich immerhin<br />

die Fachbeamten aus Brüssel<br />

mit Vertretern des Flüchtlingshilfswerks<br />

UNHCR und der<br />

Migrationsorganisation IOM<br />

erstmals in Genf. Zwar fehlte<br />

ein Vertreter Libyens, eines der<br />

am meisten betroffenen Länder,<br />

dafür aber war die Afrikanische<br />

Union vertreten. Doch außer<br />

einem ersten Abtasten kam dabei<br />

nichts heraus. »Alle sind<br />

sich einig, dass es noch viel Zeit<br />

braucht, um die Gipfelergebnisse<br />

mit konkretem Leben zu füllen«,<br />

sagt ein Diplomat.<br />

Es geht vor allem um zwei Einrichtungen,<br />

die die Staats- und Regierungschefs<br />

beim Gipfel zu später Stunde beschlossen<br />

hatten. Da sind zum einen Aufnahmezentren<br />

innerhalb der EU, zum anderen sogenannte<br />

regionale Ausschiffungsplattformen,<br />

ein Vorschlag von Ratspräsident Donald<br />

Tusk. Flüchtlinge, die im Mittelmeer<br />

aufgegriffen werden, sollen in solche Zentren<br />

in Drittstaaten, also in <strong>No</strong>rdafrika, gebracht<br />

werden. Ziel ist es, so das Geschäftsmodell<br />

der Schlepperbanden zu zerstören.<br />

Die EU-Kommission hat sich nun erstmals<br />

in zwei »<strong>No</strong>n-Papers« konkretere Gedanken<br />

dazu gemacht, wie diese Einrichtungen<br />

aussehen könnten. <strong>Der</strong> Terminus<br />

»Nicht-Papier« beschreibt dabei ein in -<br />

offizielles Arbeitspapier, das aus den normalen<br />

Akten herausgehalten wird, dafür<br />

aber umso deutlicher die wirkliche Haltung<br />

einer Behörde wiedergibt.<br />

Die Kommission stellt nun nicht nur<br />

klar, dass die EU weitgehend die Kosten<br />

für solche Einrichtungen übernehmen würde.<br />

Vor allem sieht sie die Ausschiffungsplattformen,<br />

anders als manche Mitgliedstaaten,<br />

keinesfalls nur als Ort, an den die<br />

Flüchtlinge möglichst schnell zurückgeschickt<br />

werden sollen. »Für diejenigen, die<br />

internationalen Schutz benötigen, müssen<br />

dauerhafte Lösungen gefunden werden«,<br />

heißt es stattdessen, »zum Beispiel die<br />

Möglichkeit des Resettlements.«<br />

Ähnlich wie dem Uno-Flüchtlingshilfswerk<br />

schwebt der Kommission vor, dass<br />

Regierungschefin Merkel beim EU-Gipfel im Juni: Kreative Buchführung<br />

ein Teil der Flüchtlinge, die Anspruch auf<br />

Asyl oder zumindest Schutz nach der Genfer<br />

Konvention haben könnten, aus diesen<br />

Einrichtungen in <strong>No</strong>rdafrika vor allem in<br />

Europa verteilt werden sollen. Unter dem<br />

gegenwärtigen zweijährigen Resettlement-<br />

Programm für Flüchtlinge, die in Lagern<br />

außerhalb Europas leben, haben 20 EU-<br />

Mitglieder zugesagt, etwa 50 000 Menschen<br />

aufzunehmen. Tatsächlich umgesiedelt<br />

wurden bis Ende Juni etwa 4300.<br />

Ein Teil der offenen Plätze, so schlägt<br />

die Kommission vor, könnte nun für die<br />

neuen Ausschiffungsplattformen genutzt<br />

werden. Mit kreativer Buchführung dieser<br />

Art hatte die Kommission Merkel bereits<br />

einmal beim Abschluss des EU-Türkei-<br />

Deals im März 2016 geholfen.<br />

<strong>Der</strong> Vorschlag ist heikel, denn er wirft<br />

jene Frage auf, die die Staats- und Regierungschefs<br />

in der Gipfelnacht vermieden<br />

hatten: das Problem der Verteilung von<br />

Flüchtlingen innerhalb der EU. Bislang<br />

scheitern alle Versuche einer umfassenden<br />

Reform der EU-Asylregeln, weil die Mitgliedstaaten<br />

in dieser Frage heillos zer -<br />

stritten sind.<br />

Vor allem osteuropäische Länder wie<br />

Ungarn weigern sich, Flüchtlinge auf -<br />

zunehmen. Daher war es auch wenig<br />

überraschend, dass bei einer ersten Diskussion<br />

der EU-Botschafter über die beiden<br />

<strong>No</strong>n-Papers vor zehn Tagen neben<br />

Dänemark vor allem die Osteuropäer<br />

Bedenken anmeldeten.<br />

Nicht viel mehr Klarheit<br />

gibt es bei der zweiten Idee<br />

der Staats- und Regierungschefs.<br />

Dabei geht es um kontrollierte<br />

Zentren innerhalb<br />

der EU, in die Flüchtlinge nach<br />

ihrer Anlandung in bislang<br />

zumeist italienischen Häfen<br />

gebracht werden können.<br />

Aus Sicht der Kommission<br />

könnte in diesen Zentren<br />

schnell geklärt werden, wer<br />

Anspruch auf Schutz in der<br />

EU hat und wer nicht. Vorbild<br />

dafür sind offenbar die sogenannten<br />

Hotspots, die vor<br />

dem Türkei-Deal im Frühjahr<br />

2016 vor allem auf den griechischen<br />

Inseln errichtet worden<br />

waren. Finanzielle An -<br />

reize für Aufnahmeländer soll<br />

es ebenfalls geben: 6000 Euro<br />

pro Flüchtling.<br />

Das Problem auch hier: Ähnlich<br />

wie bei den Ausschiffungsplattformen<br />

hat sich noch kein<br />

Land bereit erklärt, solche<br />

Zentren zu errichten. Diplomaten<br />

berichten, dass am ehesten<br />

die spanische Regierung<br />

einen gewissen Willen dazu<br />

erkennen lasse. Da Italien aus<br />

Seenot gerettete Migranten nicht mehr aufnehmen<br />

will, droht das Land zum Hauptanlaufort<br />

für Flüchtlinge auf der Mittelmeerroute<br />

zu werden (siehe Seite 78).<br />

Erschwerend kommt hinzu, dass UNHCR<br />

und IOM auf keinen Fall als Feigenblatt für<br />

eine zunehmend auf Abschottung abzielende<br />

Flüchtlingspolitik der EU herhalten<br />

wollen. In einem fünfseitigen Konzept -<br />

papier warnten die Uno-Einrichtungen<br />

daher unlängst, dass der »Respekt für die<br />

Sicherheit und Würde aller flüchtenden<br />

Menschen« jederzeit gewahrt sein müsste.<br />

Peter Müller<br />

GEERT VANDEN WIJNGAERT / AP<br />

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