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Containerterminal Bremerhaven, Angeklagter B. (vorn r.)<br />
Die Masche funktioniert nur, wenn Hafenarbeiter mitmachen<br />
so die Ermittlungen, habe die Schiffe<br />
und Container, mit denen der<br />
Stoff kam, genau gekannt. Er habe<br />
laut Anklage »eine führende Rolle<br />
bei der Beschaffung des Kokains in<br />
Südamerika« gespielt, sagt Landgerichtssprecher<br />
Thorsten Prange.<br />
Schon seit September vergangenen<br />
Jahres steht der angebliche<br />
Drahtzieher mit weiteren Männern<br />
vor Gericht. Es ist ein umfangreicher<br />
Prozess, Termine sind bis ins<br />
nächste Jahr angesetzt. Dieser Aufwand<br />
passt auf den ersten Blick<br />
nicht zu dem Angeklagten, einem<br />
kleinen Mann, der mitunter im Trainingsanzug<br />
aus der Untersuchungshaft<br />
vorgeführt wird. Aber er kann<br />
sich teure Anwälte leisten, manche<br />
Zuschauer küssen im Prozess seine<br />
Hände.<br />
Wenn eine Kokainlieferung anstand,<br />
so Ermittler, hätten sich die<br />
Helfer des »Schneiders« in bestimmten<br />
Kneipen in der Rickmersstraße<br />
mit Hafenarbeitern getroffen. Man<br />
zog sich laut Anklage in Nebenzimmer<br />
zurück, denn nun war Insiderwissen<br />
gefragt. Hafenarbeiter konnten<br />
herausfinden, wo welcher Container<br />
gelagert werden sollte. Allein<br />
können Schmuggler wenig ausrichten,<br />
denn man braucht einen der<br />
hochbeinigen Hubwagen (»Van-Carrier«),<br />
um bestimmte Container an<br />
dunklen Ecken abzustellen, eben -<br />
erdig am besten.<br />
Dort können Hafenarbeiter Taschen<br />
voller Kokain ohne Aufsehen<br />
herausholen. Mit den Dienstwagen<br />
der Terminalbetreiber Eu -<br />
rogate oder NTB können Ange -<br />
stellte sich auf dem Gelände unauffällig<br />
be wegen und entweder die Taschen<br />
über den Zaun werfen oder sie in ihrem<br />
Privatwagen aus dem Containerbereich<br />
bringen.<br />
Rund 15 000 Euro hätten die Leute des<br />
»Schneiders« den Hafenarbeitern für jede<br />
solcher Aktionen gezahlt, glauben die Zollfahnder.<br />
Zwei Jahre lang waren sie dem<br />
mutmaßlichen Organisator auf der Spur.<br />
In dieser Zeit, schätzen die Ermittler, habe<br />
die Gruppe um den »Schneider« mehr als<br />
zwei Tonnen Kokain aus dem Hafen gebracht,<br />
Marktwert: rund 60 Millionen<br />
Euro. Weiterverkauft wurde das Pulver<br />
laut Anklage nur kiloweise gegen Bargeld.<br />
Viel abgenommen hätten demnach ein<br />
Libanesen-Clan in Bremen sowie ein Taxifahrer<br />
aus Hamburg, der den Stoff in<br />
ganz Europa verteilt habe und ebenfalls<br />
vor Gericht steht.<br />
Kofferweise soll laut Anklage Bargeld<br />
in die Türkei transportiert worden sein, wo<br />
der »Schneider« angeblich mehrere Hotels<br />
betreibe. Außerdem besitze er, so die Fahnder,<br />
rund 20 Immobilien in Bremerhaven,<br />
Bremen, Duisburg und Osnabrück.<br />
Doch im entscheidenden Punkt kamen<br />
die Ermittlungen nicht voran: Sie konnten<br />
nicht beweisen, dass der »Schneider« den<br />
Kokshandel steuerte. Wichtige Dinge besprach<br />
Muhiddin B. mit anderen nur persönlich.<br />
Wenn er doch mal telefonierte,<br />
dann meist mit Prepaid-Handys, die nicht<br />
auf seinen Namen zugelassen waren. Und<br />
auch die benutzte er jeweils nur einmal.<br />
Observationsteams entwischte er, indem<br />
er in falscher Richtung durch Einbahnstraßen<br />
fuhr – wer ihm gefolgt wäre, wäre sofort<br />
aufgefallen.<br />
Dann machte der »Schneider« allerdings<br />
einen Fehler. Als Mauro F., ein Kältetechniker<br />
mit Zufahrtserlaubnis für die<br />
Terminals, dem »Schneider« seine Dienste<br />
anbot, besprachen sich die beiden laut Anklage<br />
kurz am Telefon.<br />
Ein paar Wochen später erhielten die<br />
Zollfahnder eine Nachricht aus den Niederlanden:<br />
Auf dem Frachter »<strong>No</strong>ra Mærsk«<br />
SABINE VIELMO / PLAINPICTURE<br />
STEFFEN KOLLER<br />
mit Ziel Bremerhaven war Kokain<br />
gefunden worden. Die Lieferanten<br />
hatten das Koks in der<br />
Kühlanlage eines Containers versteckt;<br />
die Sache war aufgeflogen,<br />
weil der Stoff die Kühlung<br />
blockiert hatte.<br />
<strong>No</strong>ch in der Nacht fuhren die<br />
deutschen Fahnder nach Rotterdam,<br />
wo der Frachter festgemacht<br />
hatte. Sie tauschten das Kokain<br />
gegen ein harmloses Pulver aus<br />
und versteckten Ortungssender<br />
in den Paketen. Und während<br />
das Schiff Kurs auf Bremerhaven<br />
nahm, wurden die Telefonate<br />
zwischen den Verdächtigen hektischer.<br />
Es war Sonntag, der 5. März<br />
2017, als einige Verdächtige in<br />
Bremerhaven, die nie einer ge -<br />
regelten Tätigkeit nachgingen,<br />
plötzlich per Handy davon sprachen,<br />
dass sie am nächsten Tag<br />
arbeiten müssten. Sie bräuchten<br />
Arbeitskleidung: Jacken in Signalfarben,<br />
die auf den Terminals<br />
vorgeschrieben sind.<br />
Als die »<strong>No</strong>ra Mærsk« in Bremerhaven<br />
festmachte, übermittelten<br />
Hafenarbeiter den Tätern,<br />
dass der Container als einer der<br />
letzten von Bord gehen werde.<br />
Dienstagmorgen um vier Uhr<br />
stand der Container an der verabredeten<br />
Stelle. <strong>Der</strong> Portugiese<br />
Mauro F. fuhr mit Komplizen<br />
aufs Kaigelände und holte den<br />
Stoff. Sie luden die Pakete ins<br />
Auto und passierten die Kontrolle<br />
am Terminal.<br />
In einer Kleingartenanlage<br />
sollte die Droge übergeben werden.<br />
Und dort griffen die Zollfahnder zu.<br />
Mauro F. und zwei Mittäter wurden festgenommen.<br />
Beim »Schneider« fanden die Ermittler<br />
mit einem Durchsuchungsbeschluss kurze<br />
Zeit später 15 Kilogramm Kokain und einen<br />
Revolver samt Munition, er selbst befand<br />
sich gerade in der Wohnung seiner<br />
Zweitfrau.<br />
Seit dem Frühjahr haben die Fahnder<br />
allerdings ein Problem: Obwohl der angebliche<br />
Oberschmuggler nun schon lange<br />
in Untersuchungshaft sitzt, entdeckte<br />
der Zoll in Bremerhaven erneut Taschen<br />
mit mehr als 117 Kilogramm Kokain in einem<br />
Container aus Brasilien. Vor gut einer<br />
Woche fanden Zöllner zudem 15 Taschen<br />
mit Kokain in der Elbmündung, insge -<br />
samt mehr als 300 Kilogramm. »Das Netzwerk<br />
ist nicht zerschlagen«, befürchtet Bremerhavens<br />
Kripochef Jörg Seedorf. »Das<br />
Geschäft geht weiter, wir wissen aber nicht,<br />
wie.« Andreas Ulrich<br />
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