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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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Containerterminal Bremerhaven, Angeklagter B. (vorn r.)<br />

Die Masche funktioniert nur, wenn Hafenarbeiter mitmachen<br />

so die Ermittlungen, habe die Schiffe<br />

und Container, mit denen der<br />

Stoff kam, genau gekannt. Er habe<br />

laut Anklage »eine führende Rolle<br />

bei der Beschaffung des Kokains in<br />

Südamerika« gespielt, sagt Landgerichtssprecher<br />

Thorsten Prange.<br />

Schon seit September vergangenen<br />

Jahres steht der angebliche<br />

Drahtzieher mit weiteren Männern<br />

vor Gericht. Es ist ein umfangreicher<br />

Prozess, Termine sind bis ins<br />

nächste Jahr angesetzt. Dieser Aufwand<br />

passt auf den ersten Blick<br />

nicht zu dem Angeklagten, einem<br />

kleinen Mann, der mitunter im Trainingsanzug<br />

aus der Untersuchungshaft<br />

vorgeführt wird. Aber er kann<br />

sich teure Anwälte leisten, manche<br />

Zuschauer küssen im Prozess seine<br />

Hände.<br />

Wenn eine Kokainlieferung anstand,<br />

so Ermittler, hätten sich die<br />

Helfer des »Schneiders« in bestimmten<br />

Kneipen in der Rickmersstraße<br />

mit Hafenarbeitern getroffen. Man<br />

zog sich laut Anklage in Nebenzimmer<br />

zurück, denn nun war Insiderwissen<br />

gefragt. Hafenarbeiter konnten<br />

herausfinden, wo welcher Container<br />

gelagert werden sollte. Allein<br />

können Schmuggler wenig ausrichten,<br />

denn man braucht einen der<br />

hochbeinigen Hubwagen (»Van-Carrier«),<br />

um bestimmte Container an<br />

dunklen Ecken abzustellen, eben -<br />

erdig am besten.<br />

Dort können Hafenarbeiter Taschen<br />

voller Kokain ohne Aufsehen<br />

herausholen. Mit den Dienstwagen<br />

der Terminalbetreiber Eu -<br />

rogate oder NTB können Ange -<br />

stellte sich auf dem Gelände unauffällig<br />

be wegen und entweder die Taschen<br />

über den Zaun werfen oder sie in ihrem<br />

Privatwagen aus dem Containerbereich<br />

bringen.<br />

Rund 15 000 Euro hätten die Leute des<br />

»Schneiders« den Hafenarbeitern für jede<br />

solcher Aktionen gezahlt, glauben die Zollfahnder.<br />

Zwei Jahre lang waren sie dem<br />

mutmaßlichen Organisator auf der Spur.<br />

In dieser Zeit, schätzen die Ermittler, habe<br />

die Gruppe um den »Schneider« mehr als<br />

zwei Tonnen Kokain aus dem Hafen gebracht,<br />

Marktwert: rund 60 Millionen<br />

Euro. Weiterverkauft wurde das Pulver<br />

laut Anklage nur kiloweise gegen Bargeld.<br />

Viel abgenommen hätten demnach ein<br />

Libanesen-Clan in Bremen sowie ein Taxifahrer<br />

aus Hamburg, der den Stoff in<br />

ganz Europa verteilt habe und ebenfalls<br />

vor Gericht steht.<br />

Kofferweise soll laut Anklage Bargeld<br />

in die Türkei transportiert worden sein, wo<br />

der »Schneider« angeblich mehrere Hotels<br />

betreibe. Außerdem besitze er, so die Fahnder,<br />

rund 20 Immobilien in Bremerhaven,<br />

Bremen, Duisburg und Osnabrück.<br />

Doch im entscheidenden Punkt kamen<br />

die Ermittlungen nicht voran: Sie konnten<br />

nicht beweisen, dass der »Schneider« den<br />

Kokshandel steuerte. Wichtige Dinge besprach<br />

Muhiddin B. mit anderen nur persönlich.<br />

Wenn er doch mal telefonierte,<br />

dann meist mit Prepaid-Handys, die nicht<br />

auf seinen Namen zugelassen waren. Und<br />

auch die benutzte er jeweils nur einmal.<br />

Observationsteams entwischte er, indem<br />

er in falscher Richtung durch Einbahnstraßen<br />

fuhr – wer ihm gefolgt wäre, wäre sofort<br />

aufgefallen.<br />

Dann machte der »Schneider« allerdings<br />

einen Fehler. Als Mauro F., ein Kältetechniker<br />

mit Zufahrtserlaubnis für die<br />

Terminals, dem »Schneider« seine Dienste<br />

anbot, besprachen sich die beiden laut Anklage<br />

kurz am Telefon.<br />

Ein paar Wochen später erhielten die<br />

Zollfahnder eine Nachricht aus den Niederlanden:<br />

Auf dem Frachter »<strong>No</strong>ra Mærsk«<br />

SABINE VIELMO / PLAINPICTURE<br />

STEFFEN KOLLER<br />

mit Ziel Bremerhaven war Kokain<br />

gefunden worden. Die Lieferanten<br />

hatten das Koks in der<br />

Kühlanlage eines Containers versteckt;<br />

die Sache war aufgeflogen,<br />

weil der Stoff die Kühlung<br />

blockiert hatte.<br />

<strong>No</strong>ch in der Nacht fuhren die<br />

deutschen Fahnder nach Rotterdam,<br />

wo der Frachter festgemacht<br />

hatte. Sie tauschten das Kokain<br />

gegen ein harmloses Pulver aus<br />

und versteckten Ortungssender<br />

in den Paketen. Und während<br />

das Schiff Kurs auf Bremerhaven<br />

nahm, wurden die Telefonate<br />

zwischen den Verdächtigen hektischer.<br />

Es war Sonntag, der 5. März<br />

2017, als einige Verdächtige in<br />

Bremerhaven, die nie einer ge -<br />

regelten Tätigkeit nachgingen,<br />

plötzlich per Handy davon sprachen,<br />

dass sie am nächsten Tag<br />

arbeiten müssten. Sie bräuchten<br />

Arbeitskleidung: Jacken in Signalfarben,<br />

die auf den Terminals<br />

vorgeschrieben sind.<br />

Als die »<strong>No</strong>ra Mærsk« in Bremerhaven<br />

festmachte, übermittelten<br />

Hafenarbeiter den Tätern,<br />

dass der Container als einer der<br />

letzten von Bord gehen werde.<br />

Dienstagmorgen um vier Uhr<br />

stand der Container an der verabredeten<br />

Stelle. <strong>Der</strong> Portugiese<br />

Mauro F. fuhr mit Komplizen<br />

aufs Kaigelände und holte den<br />

Stoff. Sie luden die Pakete ins<br />

Auto und passierten die Kontrolle<br />

am Terminal.<br />

In einer Kleingartenanlage<br />

sollte die Droge übergeben werden.<br />

Und dort griffen die Zollfahnder zu.<br />

Mauro F. und zwei Mittäter wurden festgenommen.<br />

Beim »Schneider« fanden die Ermittler<br />

mit einem Durchsuchungsbeschluss kurze<br />

Zeit später 15 Kilogramm Kokain und einen<br />

Revolver samt Munition, er selbst befand<br />

sich gerade in der Wohnung seiner<br />

Zweitfrau.<br />

Seit dem Frühjahr haben die Fahnder<br />

allerdings ein Problem: Obwohl der angebliche<br />

Oberschmuggler nun schon lange<br />

in Untersuchungshaft sitzt, entdeckte<br />

der Zoll in Bremerhaven erneut Taschen<br />

mit mehr als 117 Kilogramm Kokain in einem<br />

Container aus Brasilien. Vor gut einer<br />

Woche fanden Zöllner zudem 15 Taschen<br />

mit Kokain in der Elbmündung, insge -<br />

samt mehr als 300 Kilogramm. »Das Netzwerk<br />

ist nicht zerschlagen«, befürchtet Bremerhavens<br />

Kripochef Jörg Seedorf. »Das<br />

Geschäft geht weiter, wir wissen aber nicht,<br />

wie.« Andreas Ulrich<br />

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