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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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Gesellschaft<br />

stands, mit 21 jüngster Landtagsabgeordneter,<br />

mit 25 nordrhein-westfälischer FDP-<br />

Generalsekretär, mit 30 Generalsekretär<br />

der Bundespartei und schließlich, mit 34,<br />

Vorsitzender der FDP Deutschland. Es<br />

war immer so, als hätte er einige Klassen<br />

übersprungen.<br />

Ein gutes halbes Jahr ist es nun her, dass<br />

die Sondierungsgespräche für eine sogenannte<br />

Jamaikakoalition gescheitert sind.<br />

Christian Lindner hätte wieder einmal einen<br />

Rekord brechen können, diesmal als jüngster<br />

Finanzminister der Bundesrepublik<br />

Deutschland. Aber vier Wochen nach Beginn<br />

der Gespräche, in der Nacht <strong>vom</strong> 19.<br />

auf den 20. <strong>No</strong>vember 2017, trat er vor die<br />

Kameras und las einen Satz ab, der ihn seitdem<br />

wie kein anderer verfolgt: »Es ist besser,<br />

nicht zu regieren, als schlecht zu regieren.«<br />

Überall wird ihm seither die Frage gestellt,<br />

warum er sich um die Verantwor tung<br />

gedrückt habe. Hat er sich nicht getraut?<br />

Er betritt das Restaurant im Westflügel<br />

des Reichstags. Er hat jetzt Zeit. Es gibt<br />

nicht mehr so viele Termine. Ab und zu<br />

muss er eine Rede im Bundestag halten,<br />

das kostet ihn keine Anstrengung. Es ist<br />

der Mittwoch nach der großen Krise der<br />

neuen Regierung über den Streit in der<br />

Asylpolitik, in dem Horst Seehofer zuerst<br />

seinen Rücktritt als Innenminister und<br />

CSU-Vorsitzender androhte, dann aber<br />

doch lieber Minister bleiben wollte.<br />

Lindner wirkt aufgekratzt. Er mag es,<br />

wenn sich dieser Tage jemand damit lächerlich<br />

macht, dass er sein Amt unbedingt<br />

behalten will. Es rückt seinen eigenen<br />

Rückzug in ein besseres Licht. Er ist jetzt<br />

der, der nicht alles macht für ein Amt.<br />

»Stellen Sie sich mal vor«, sagt Christian<br />

Lindner, »wenn wir jetzt zusammen mit<br />

den Grünen in der Regierung wären. Wie<br />

sollten wir dann eine gemeinsame Position<br />

mit den Grünen finden, die ja als Letzte<br />

in Europa die alte, unkontrollierte Flüchtlingspolitik<br />

von Merkel vertreten?«<br />

Er setzt sich an einen der ersten Tische<br />

gleich neben dem Eingang, wo alle vorbeikommen<br />

müssen, Minister, Staatssekretäre,<br />

Journalisten. Er grüßt alte Bekannte quer<br />

durch den Raum. Martin Schulz humpelt<br />

vorbei, er hat sich verletzt, und Lindner<br />

nutzt die Gelegenheit, sich lauthals nach<br />

seinem Befinden zu erkunden. Einem Parteifreund,<br />

den er im Gespräch mit einem<br />

»Focus«-Journalisten sieht, ruft er zu, wenn<br />

er am Wochenende etwas Schlechtes im<br />

»Focus« lese, wisse er, wer die Quelle war.<br />

An diesem Mittag genügt Lindner vollkommen<br />

sich selbst. Er wirft einen Blick in die<br />

Karte. »Jetzt bestellen wir erst einmal eine<br />

Flasche Riesling«, sagt er.<br />

Er schaut einen an, als habe er eben<br />

einen Witz gemacht und warte jetzt darauf,<br />

dass man lacht. War natürlich nicht ernst<br />

gemeint. Eine Flasche Wein? Mittags? Im<br />

Bundestagsrestaurant? Er verweist darauf,<br />

»Es geht nicht um die<br />

Geschwindigkeit,<br />

sondern um das Gefühl,<br />

schnell zu sein.«<br />

wie absurd er die Karte hier findet. »Die<br />

ganze erste Seite: nur Alkoholika«, sagt<br />

er. <strong>Der</strong> Kellner kommt. Lindner bestellt<br />

eine Cola light.<br />

Später, als das Essen serviert wird (Lindner<br />

hat Wiener Schnitzel bestellt, »ohne<br />

die Kartoffeln«), wendet sich Lindner dem<br />

geplanten Treffen in Düsseldorf zu, das<br />

mit seinem Porsche.<br />

»Haben Sie feuerfeste Unterwäsche?«,<br />

fragt Lindner.<br />

Er lacht.<br />

War natürlich wieder ein Scherz. »Wissen<br />

Sie«, sagt Lindner, »mein Porsche fährt<br />

gar nicht so schnell, nach heutigen Maßstäben,<br />

er ist nämlich ein historisches Modell.«<br />

Aber was versteht Lindner unter schnell?<br />

Lindner lacht wieder.<br />

Cem Özdemir, sein Kollege von den<br />

Grünen, erzählt er dann, habe ihm einmal<br />

gesagt, er würde ihn mit seinem Elektroauto<br />

abhängen, wenn er mal neben ihm<br />

an der Ampel stünde. Eine lustige Vorstellung,<br />

findet Linder. »Aber für Ampelspielchen«,<br />

sagt er, »sind wir ja viel zu alt.«<br />

<strong>Der</strong> Abbruch der Jamaikaverhandlungen<br />

war nicht das erste Mal, dass Christian<br />

Lindner ein Amt, das er haben konnte, ausgeschlagen<br />

hat. 2005 sollte er FDP-Frak -<br />

tionschef im nordrhein-westfälischen Landtag<br />

werden, aber er fand, das Amt komme<br />

mit 26 zu früh. »Das füllst du mit 26 nicht<br />

aus«, sagte er damals zu sich, »nach einem<br />

halben Jahr wäre die Neugier auf einen jungen<br />

Chef verbraucht gewesen.« Auch 2011<br />

lehnte er ab, obwohl der damalige Parteichef<br />

Guido Westerwelle erwartet hatte,<br />

dass Lindner seine Nachfolge antreten würde.<br />

Lindner war damals <strong>32</strong>, aber wieder<br />

fürchtete er, noch zu jung zu sein. In seiner<br />

Vorstellung wäre das so gewesen: »Eine<br />

schwere Limousine fährt vor dem Kanzleramt<br />

vor, der Parteivorsitzende der FDP<br />

steigt aus – und sieht wie ein Klassensprecher<br />

aus.« Das wollte er sich ersparen.<br />

Sein verstorbener Parteifreund Jürgen<br />

Möllemann nannte ihn einmal gönnerhaft<br />

»Bambi«. Lindner war damals 21 Jahre alt,<br />

gerade zum Landtagsabgeordneten gewählt<br />

worden und wollte wissenschafts -<br />

politischer Sprecher werden. »Er rief mich<br />

morgens um 6.30 Uhr an«, erinnert sich<br />

Lindner, »und sagte: ›Ja, Mensch, Bambi,<br />

das ist ja ganz niedlich, dass Sie das werden<br />

wollen. Aber als jüngster Abgeordneter<br />

stehen Sie doch den Kindergärten am<br />

nächsten. Machen Sie doch Kindergartenpolitik.‹«<br />

Lindner hat immer gehofft, die<br />

Anekdote ein für alle Mal hinter sich zu<br />

lassen, aber er muss feststellen, dass das<br />

Bild haften geblieben ist, auch über den<br />

Wahltag hinaus. Es sei, sagt er, immer noch<br />

Teil jeden Porträts über ihn. Kindergartenpolitik.<br />

Während die meisten Menschen<br />

damit zu kämpfen haben, dass ihre Karriere<br />

sie schneller altern lässt, hat Lindner<br />

das gegenteilige Problem: Er altert seiner<br />

Karriere nicht schnell genug hinterher.<br />

Wenn man ihn fragt, warum er Ämter<br />

nicht annehme, wenn er sie haben kann,<br />

sagt Christian Lindner: »Ich muss wissen,<br />

dass es auf jeden Fall funktioniert.«<br />

Er hat mit seinem Porsche die Ausfahrt<br />

verlassen und fährt kurz darauf an seinem<br />

Stammsupermarkt vorbei, einem Rewe<br />

City. Als er den Rewe passiert, hebt er unwillkürlich<br />

die Hand, es ist nicht ganz klar,<br />

wen oder was er da aus seinem Porsche heraus<br />

entdeckt haben will, aber Christian<br />

Lindner wartet nicht, bis man ihm die Frage<br />

stellt. »Beim Rewe da«, sagt er, »der kleine<br />

Junge, der verkauft immer dieses Obdachlosenmagazin,<br />

da hab ich ihm gewinkt.«<br />

Einem Journalisten seinen Porsche zu<br />

zeigen ist nicht ohne Risiko. Gerade für<br />

ihn. Die Klischees sind so schön naheliegend:<br />

der Porsche, der Yuppie, die FDP.<br />

Auf seiner Website ist Lindner neben einem<br />

Rennwagen im Rennanzug zu sehen,<br />

daneben der Satz: »Mein Lieblingsthema<br />

abseits der Politik: alles, was mit Benzin<br />

betankt werden kann.«<br />

Wichtig, sagt Christian Lindner, sei ihm,<br />

dass man ihn beziehungsweise ihn und seine<br />

Leidenschaft zum Automobil ernst nehme.<br />

Nicht dass es am Ende so aussieht, als<br />

sei er ein Angeber. Als tue er nur so.<br />

Es ist ihm zum Beispiel daran gelegen,<br />

dass man den grundsätzlichen Unterschied<br />

zwischen seinem Porsche und, sagen wir,<br />

einem Ferrari oder Maserati versteht.<br />

»Diese Autos basieren auf schierer Leistung«,<br />

sagt Lindner. »Auf einfach nur: Gib<br />

ihm, viele Zylinder, Hubraum, PS. <strong>Der</strong><br />

klassische Porsche dagegen basiert auf<br />

Leichtbau, gutem Handling und angemessener<br />

Leistung.« Außerdem müsse man<br />

wissen, dass der 911er »ein Konzept aus<br />

den Sechzigerjahren« sei und auf dem VW-<br />

Käfer basiere. Es stammt also praktisch<br />

von einem Auto für jedermann ab. »Gleiche<br />

Grundidee«, sagt Lindner, »luftgekühlter<br />

Heckmotor.« Er verweist auch optisch<br />

auf die »Familienähnlichkeit« der Autos<br />

mit den hochgestellten Kotflügeln und den<br />

runden Augen. »Es ist ein Jahrhundertkonzept.<br />

Man kann sehr viel Auto- und Kultur -<br />

geschichte an diesem Auto sehen.«<br />

Er spricht ernsthaft von der Bewahrung<br />

der »Artenvielfalt« von Autos auf deutschen<br />

Straßen. Es ist eigentlich egal, ob<br />

man mit Christian Lindner über Autos<br />

redet, über die Zuverdienstgrenzen bei<br />

Hartz IV oder über die Besetzung der<br />

Krim. Er weiß über alles Bescheid. Er<br />

54 DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong>

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