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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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SEAN GALLUP / GETTY IMAGES<br />

FDP-Chef Lindner bei Sondierungsgesprächen in Berlin 2017: Echte Niederlagen hat er nicht erlebt<br />

klingt dabei immer so, als müsste er zeigen,<br />

dass er problemlos Minister für Verkehr,<br />

Soziales und Auswärtiges in einem sein<br />

könnte.<br />

»Ich überleg gerade, wo wir noch schön<br />

rumdüsen können, um nicht zu viel Zeit<br />

zu verbrennen«, sagt Lindner in seinem<br />

Auto. Er entscheidet sich für die A 59.<br />

Auf der A 59 gibt es Passagen ohne Geschwindigkeitsbeschränkung.<br />

Lindner beschleunigt seinen Porsche auf<br />

200 ka-emm-ha.<br />

Vor ihm fährt ein Kombi.<br />

»Ich muss heftig schalten, damit ich<br />

beim Familienkombi dranbleiben kann«,<br />

sagt Christian Lindner.<br />

Er wechselt auf die rechte Spur, ein Audi<br />

zieht an ihm vorbei.<br />

»Da haben wir keine Chance«, sagt<br />

Lindner, »Audi TDI, Turbodiesel. Aber darum<br />

geht’s nicht.«<br />

Es gehe um etwas anderes, sagt Lindner,<br />

nicht um die Geschwindigkeit, sondern um<br />

das Gefühl, schnell zu sein. »Was ich mag,<br />

sind die Rückbeschleunigung und das Geräusch.<br />

Man hat das Gefühl, dass man richtig<br />

schnell unterwegs ist, obwohl man gar<br />

nicht so schnell ist.« Er gibt noch einmal<br />

ordentlich Gas, der Motor röhrt, die Lüftung<br />

beginnt zu pfeifen.<br />

Er überholt einen anderen Porsche, ein<br />

kleines Erfolgserlebnis auf dieser Fahrt.<br />

»Hier ist übrigens, wie Sie gesehen haben,<br />

kein Tempolimit, sonst würden wir das<br />

nicht machen.«<br />

Christian Lindner war einmal dick, jetzt<br />

ist er dünn, auch das ist ein Teil seiner Vergangenheit,<br />

den er in seiner Autobiografie<br />

»Schattenjahre« verarbeitet hat. Er liebte<br />

die Puddingteilchen aus der Bäckerei<br />

seiner Großeltern, mit 14 Jahren hatte er<br />

30 Kilogramm Übergewicht und entschloss<br />

sich abzunehmen, ging joggen und<br />

hungerte sich mit Knäckebrot wieder auf<br />

<strong>No</strong>rmalgewicht herunter.<br />

Es ist nicht die einzige Geschichte im<br />

Leben des Christian Lindner, in der er für<br />

einen Moment die Kontrolle verloren zu<br />

haben schien, das Gefühl für das vernünftige<br />

Maß. Auf dem Gymnasium von Wermelskirchen<br />

war das wohl schon so, wo er<br />

auf dem Schulhof den Satz »Geh mir aus<br />

der Sonne« des griechischen Philosophen<br />

Diogenes an Lehrern ausprobiert haben<br />

soll und der Schulleiter ihn wegen »Gefährdung<br />

des pädagogischen Klimas« vorlud.<br />

Oder bei seiner Zivildienststelle in<br />

Gummersbach, vor der er mit seinem ersten<br />

Porsche 911 vorfuhr. Oder auch zu Beginn<br />

seiner politischen Karriere im nordrhein-westfälischen<br />

Landtag, als er sich<br />

noch Christian W. Lindner nannte, W. für<br />

Wolfgang in Anlehnung an Jürgen W. Möllemann,<br />

den damaligen Wirtschaftsminister.<br />

Wenn Christian Lindner heute für sein<br />

außerordentliches Redetalent gelobt wird,<br />

bedankt er sich nicht einfach. Er antwortet<br />

dann schon mal auf Latein: »Poetae nascuntur,<br />

oratores fiunt.« Zum Dichter wird<br />

man geboren, zum Redner wird man gemacht.<br />

Es ist schwer zu sagen, was er damit<br />

eigentlich meint. Vielleicht dass er zum<br />

Redner geboren wurde. Oder so.<br />

Im Mai ist Lindner in Frankfurt am<br />

Main zu Gast. Am Morgen ist er auf einer<br />

Podiumsveranstaltung der »Frankfurter<br />

Allgemeinen«, ältere Herren überwiegend,<br />

denen er etwas von der wichtigen Rolle des<br />

Qualitätsjournalismus erzählt, er spricht<br />

ihre Sprache, er benutzt, als er <strong>vom</strong> Chefredakteur<br />

spricht, das Kürzel »V.i.S.d.P.«,<br />

das für »Verantwortlich im Sinne des Presserechts«<br />

steht und Insiderwissen demonstriert.<br />

Am Nachmittag spricht er in der<br />

Universität Frankfurt, ein übervolles<br />

Auditorium, mehrere Hundert Studenten.<br />

Er benutzt wieder die Sprache seiner Zuhörer,<br />

die diesmal durchschnittlich 40 Jahre<br />

jünger sind als die am Morgen, aber<br />

auch das beherrscht er. Er spricht von<br />

Digitalisierung, von Blockchain und den<br />

großen Unternehmen des Digitalzeitalters,<br />

Google, Apple, Facebook, Amazon, die<br />

er, wie unter Eingeweihten üblich, nur<br />

kurz GAFA nennt.<br />

Man würde ihm in solchen Momenten<br />

wünschen, dass er auch mal staunen<br />

kann. Dass er sich einfach hinsetzt und<br />

anderen Leuten zuhört. Dass er schlauer<br />

aus einem Saal rausgeht, als er reinkam.<br />

Aber so etwas erlebt man mit Christian<br />

Lindner nicht.<br />

Vor drei Jahren hat er im Düsseldorfer<br />

Landtag eine viel beachtete Rede über das<br />

Scheitern gehalten, mehrere Hunderttausend<br />

Klicks auf YouTube. Es hieß damals,<br />

so echt, so ehrlich, so spontan habe man<br />

Lindner selten erlebt. Eine Zeitung schrieb<br />

sogar, er habe sich damit zum »Schutzheiligen<br />

der Gescheiterten« gemacht. Seine<br />

Klage darüber, dass man in Deutschland<br />

nicht scheitern dürfe, weil man keine<br />

zweite Chance bekomme, schien von<br />

Herzen zu kommen. Er trat als Mann auf,<br />

der Scheitern erlebt haben will, 2001,<br />

als der Softwareentwickler Moomax,<br />

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