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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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Deutschland<br />

anwältin beschrieben hat – so aktiv – das<br />

will er nicht stehen lassen: Ja, sie habe von<br />

allem gewusst und sich auch beteiligt. Und<br />

wenn er ein neues Video brauchte, für die<br />

eigene Lust oder als Porno-Tauschware im<br />

Darknet, habe sie es geliefert.<br />

»Aber ich war die treibende Kraft«, sagt<br />

Christian L. »Ich bin der Haupttäter, keine<br />

Frage.« Es sei »schlimm, dass die Frau T.<br />

jetzt hier sitzt und alles verloren hat, wegen<br />

mir«.<br />

Das kann das Gericht glauben, muss es<br />

aber nicht.<br />

Eine Treppe führt ins Obergeschoss eines<br />

Bahnhofs in Zürich, zu Forio, dem Forensischen<br />

Institut Ostschweiz. Sexualstraf -<br />

täter finden hier Beratung und Therapie.<br />

Monika Egli-Alge, die Gründerin, arbeitet<br />

auch mit Frauen. Als Rechtspsychologin<br />

hat sie schon viele begutachtet.<br />

Die Frau als Komplizin sei ein gut belegtes<br />

Muster bei Sexualstraftäterinnen, in<br />

etwa einem Drittel aller Fälle begehen<br />

Frauen die Delikte gemeinsam mit einem<br />

männlichen Partner, sagt Egli-Alge. »Dass<br />

Frauen nur aus Hörigkeit daran teilnehmen,<br />

ist ein typisch männliches Klischee.«<br />

Aber auch manchen Feministinnen falle<br />

es bis heute schwer zu akzeptieren, dass<br />

Frauen nicht immer nur Opfer seien.<br />

Egli-Alge erinnert sich an eine Klientin,<br />

Single, schön, gebildet, Ende dreißig. Das<br />

Gericht hatte sie zu ihr geschickt: »Sie war<br />

in eine Art Sekte geraten, alles drehte sich<br />

um sexuelle Befreiung.« Die Frau zwang<br />

einen ihrer kleinen Söhne zuzuschauen,<br />

wie sie sich befriedigte. Er musste sie manuell<br />

und oral befriedigen, ihr Dildos einführen.<br />

Bilder davon schickte sie an den<br />

Sektenguru. »Es war nicht ihre Idee, aber<br />

sie fand diese Spiele sexuell hoch erregend.<br />

Fünf Jahre lang ging es so. Inwiefern<br />

das pädophil war oder eine<br />

Folge sexueller Enthemmung, konnten<br />

wir nie klären.«<br />

Die Frau wurde zu einer Bewährungsstrafe<br />

verurteilt. Bei einem<br />

Mann als Täter wäre das Urteil wohl<br />

kaum so milde ausgefallen. »Die Mutterschaft<br />

verstärkt den Heiligenschein<br />

der Frau«, sagt Egli-Alge. »Bei Vätern<br />

haben wir es eingepreist, nach dem<br />

Motto: Männer tun’s, Frauen nicht<br />

und Mütter schon gar nicht.«<br />

Und was ist mit der angeborenen<br />

Mutterliebe? »Die gibt es nicht«, sagt<br />

Egli-Alge. »Was es gibt, ist die gesetzliche<br />

Fürsorgepflicht. Mit dem Muttermythos<br />

müssen wir aufräumen.«<br />

Eine sexualisierte Beziehung zum<br />

eigenen Kind könne sich früh entwickeln:<br />

»Da ist so viel Nacktheit, eine<br />

intime Welt zwischen Säugling, Kleinkind<br />

und Mutter. Mütter wickeln und<br />

waschen, säubern die Geschlechtsteile<br />

von Babys, müssen am winzigen<br />

Die Mutter weist<br />

den Jungen zurecht.<br />

Er solle sich<br />

nicht so anstellen.<br />

Penis die Vorhaut zurückziehen.« Viele<br />

Übergriffe spielten sich in einer Phase ab,<br />

die sich der Erinnerung entzieht. »Wer soll<br />

später Klage erheben? Die betroffene Person<br />

bestimmt nicht.«<br />

Experten gehen davon aus, dass bei<br />

männlichen Tätern bis zu 90 Prozent aller<br />

Taten unentdeckt bleiben. Bei Frauen dürfte<br />

der Anteil noch deutlich größer sein.<br />

Die Gründe dafür sind vielfältig: »Wenn<br />

Sie einen Mann mit erigiertem Glied am<br />

Wickeltisch oder beim Duschen mit einem<br />

Kind beobachten, geht der Alarm an«, sagt<br />

Egli-Alge. Bei einer Frau falle es äußerlich<br />

nicht auf, wenn sich bei der Pflege des Kindes<br />

mehr abspiele als Fürsorge. Nicht zufällig<br />

seien entsprechende Erinnerungen<br />

von Missbrauchsopfern aus Heimen oft an<br />

Reinigungsrituale gekoppelt.<br />

Bei den Opfern selbst rühre es an ein<br />

machtvolles Tabu, von einer Frau missbraucht<br />

worden zu sein, womöglich von<br />

der eigenen Mutter: »Es ist extrem schambehaftet.«<br />

Auch könnten die kindlichen<br />

Opfer die Grenzverletzung oft nicht als<br />

solche erkennen. »Frauen machen das sehr<br />

subtil. Das Opfer denkt dann, das ist okay,<br />

das machen Erwachsene mit Kindern.«<br />

Ältere Jungen, die zum Opfer einer sexuell<br />

übergriffigen Frau würden, könnten<br />

sich das schwer eingestehen. »Sie sagen<br />

dann eher: Ich wollte das.« <strong>Der</strong> Missbrauch<br />

werde umgedeutet als Männertraum, von<br />

einer reifen Frau in die Sexualität eingeführt<br />

zu werden. Filme wie »Reifeprüfung«<br />

oder Bernhard Schlinks Roman »<strong>Der</strong> Vorleser«<br />

illustrieren dieses sogenannte Lover-<br />

Teacher-Schema.<br />

Liebe sei ein weiterer Grund dafür, weshalb<br />

Taten besonders oft verborgen blieben,<br />

wenn eine Mutter die Täterin ist – die<br />

Liebe des Kindes.<br />

Das wird auch im Freiburger Fall sichtbar:<br />

Eine Polizeibeamtin, die den Kontakt zu<br />

Berrin T.s Sohn hält, berichtet, anfangs<br />

habe der Junge geweint und zurück zu seiner<br />

Mama gewollt. Mittlerweile frage er<br />

nicht mehr nach ihr. Aber gegen sie aus -<br />

sagen wolle er auf keinen Fall.<br />

Eine Szene aus <strong>No</strong>vaks Anklage illustriert<br />

die Loyalität des missbrauchten Kindes.<br />

Festgehalten wurde sie von Kameras,<br />

die ein Freier aus der Schweiz am Tatort<br />

installierte. Mit Christian L. hatte der<br />

Mann eine Art Drehbuch entwickelt:<br />

L. lässt sich von dem Jungen, den Berrin<br />

T. ihm zu einer Bank am Waldrand<br />

gebracht hat, oral befriedigen. Nach einer<br />

Weile springt der Schweizer verabredungsgemäß<br />

im Overall aus dem Gebüsch<br />

und gibt sich als Polizist aus, der den<br />

Jungen erwischt. »Du bist doch Papas<br />

kleine Hure?«, fragt er. »Manchmal«, antwortet<br />

das Kind. »Liebst du Schwänze?«<br />

– »Eigentlich nicht«, er werde dazu gezwungen.<br />

»Und deine Mutter?« – »Die<br />

hat damit nichts zu tun«, versichert das<br />

Kind. »Die macht mir was Gutes zu essen,<br />

die deckt mir immer die Bettsachen auf.<br />

Sie weiß Bescheid, aber eigentlich hat<br />

sie damit nichts zu tun, das ist wirklich<br />

die Wahrheit.«<br />

Da droht der angebliche Polizist,<br />

er werde das Kind ins Heim stecken<br />

und die Mutter ins Gefängnis; das<br />

könne der Junge noch abwenden, indem<br />

er ihn befriedige.<br />

Dazu die Anklage: »Vor diese Wahl<br />

gestellt, fand sich der Junge bereit, an<br />

Jürgen W. den Oralverkehr zu vollziehen.«<br />

Ein Foto liegt auf dem Richtertisch,<br />

es hing in Berrin T.s vermülltem<br />

Wohnzimmer: Berrin T. und Chris -<br />

tian L. mit dem Kind auf einer Wasserrutsche<br />

im Europapark Rust. Mit<br />

dabei: Javier G.-D., ein Spanier. Er<br />

hatte den Ausflug spendiert und bereits<br />

Tausende Euro für den Jungen<br />

bezahlt, bei mehreren Besuchen. Das<br />

Kind nannte ihn »Onkel Luke«.<br />

Dass auch Männer an das Kind herandurften,<br />

die kaum zahlten, habe<br />

Berrin T. gewurmt, berichtet Chris -<br />

tian L. »Sie wollte, dass nur noch der<br />

Spanier kommt.« Vor der ersten Begegnung<br />

mit ihm weinte der Junge.<br />

Da habe Berrin T. ihn zurechtgewie-<br />

42 DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong>

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