Kultur tantismus überleben. Jedenfalls sind zu Beginn des dritten Jahrtausends zwei Phänomene festzustellen: Diejenigen Nationen, in denen einst die Stammfamilie dominierte, zeichnen sich durch eine beständige wirtschaftliche und technologische Dynamik aus, während dort andererseits eine tief greifende demografische Krise herrscht, die zu einer Überalterung der Gesellschaft und einem Mangel an Fachund Arbeitskräften führt. SPIEGEL: Seit der Aufklärung gründet das Selbstverständnis des Westens auf der Vorstellung von einem autonomen Individuum, das ohne äußere Zwänge frei entscheidet und handelt. Wollen Sie im Ernst die gegenwärtigen Krisen auf den Gegensatz zwischen einer Stammfamiliengesellschaft und Gebieten mit egalitären Familienstrukturen zurückführen? Todd: Die kulturelle und philosophische Identifikation mit dem Ideal der Freiheit ist ihrerseits determiniert. Das unterschwellige Fortwirken der Werte der Stamm- und der Kernfamilie droht die Einheit der »westlichen Welt« zu sprengen. Sie war nach 1945 ja eher aus dem militärischen Sieg der USA als aus irgendeiner kulturellen Konvergenz hervorgegangen. Dass sich in vielen Ländern Europas die Werte der Autorität und der Ungleichheit zurückmelden, gibt dem Kontinent ein neues und zugleich altes Gesicht. Die liberale Demokratie ist drauf und dran, sich in ein hohles Konzept zu verwandeln, bar ihrer Grundwerte, die in der Volkssouveränität, der Gleichheit der Menschen und deren Recht auf Glück bestanden. Ohne die Hypothese einer Wiederkehr des anthropologischen Verdrängten, des familiären Unbewussten, sind diese Verwandlung und der Aufstieg der »illiberalen Demokratie« nicht nachvollziehbar. <strong>Der</strong> Autoritarismus familiären Ursprungs, häufig noch verstärkt durch das religiöse Erbe, dominiert in den lokalen Gesellschaften Europas und nähert die politisch-ideologische Karte wieder der Zeit zwischen den Weltkriegen an. SPIEGEL: Im Widerstand gegen die illiberale Wende der Demokratien hat sich Deutschland vergleichsweise lange ganz gut behauptet. Warum ist es in Europa immer mehr und gegen seinen Willen in die Funktion eines Zucht- und Lehrmeisters hineingewachsen? Todd: Die autoritäre und kollektive Kultur in Deutschland ermöglichte das Einfrieren der Löhne und eine Politik der kompeti - tiven Desinflation, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu sichern, die im Kern nationalistisch orientiert ist. Auch da stelle ich erneut fest, dass jede Handlungsweise in der Wirtschaft ein anthropologisches Fundament hat. Aber ein riesiger Handelsüberschuss in einem Land, in dem die Geburtenrate der Staatsbürger bei 1,46 Todd, SPIEGEL-Redakteur* »Alles bestimmende Ökonomie« »Macron führt Frankreich in eine neue autoritäre Phase, er folgt dem Stil Ludwigs XIV.« liegt, gestaltet noch keine vernünftige Zukunft! Die deutschen Politiker verwenden viel Zeit auf die Aushandlung nebensächlicher Details, haben jedoch Mühe, zu einer einheitlichen Linie, zu einem gemeinsamen Projekt zu kommen. Man mag über Donald Trump denken, was man will, in einem Punkt hat er recht: dass er im globalen Wirtschaftskrieg China und Deutschland als Feinde ausgemacht hat. SPIEGEL: Hat Deutschland nur noch einen guten und verlässlichen Freund an der Seite – Frankreich? Todd: Trump hat die Bedingungen für einen Sprung Europas ins Ungewisse geschaffen. Die Abwendung der USA von Europa, Trumps offene Feindseligkeit gegenüber der EU können Deutschland und Frankreich dazu verführen, sich mit vollem Recht als Anführer des emanzipierten Europa zu fühlen, mit allen Risiken, die eine solche Einstellung nach sich ziehen würde. Die Gefahr der Hybris, verbunden mit der Angst vor der Freiheit, würde wieder in vollem Umfang in die deutsche und europäische Geschichte zurückkehren. SPIEGEL: <strong>Der</strong>zeit sieht es eher so aus, als wolle Emmanuel Macron Angela Merkel zum Jagen tragen. Todd: Macron ist für mich die Ausgeburt einer kleinbürgerlichen französischen Elite, die ganz besonders verantwortungslos agiert, weil sie in wirtschaftlichen und geopolitischen Angelegenheiten keine wirk- * Romain Leick in Paris. RUDY WAKS / DER SPIEGEL liche Entscheidungsmöglichkeit mehr besitzt und ihre Ohnmacht in der Praxis durch eine Unnachgiebigkeit in der Theorie kompensiert. SPIEGEL: Zum Beispiel? Todd: Frankreichs rigide Einstellung zum Brexit könnte Deutschland in einen Konflikt mit Großbritannien bringen. Es wäre die Aufgabe der Kanzlerin, den Briten einen sanften Ausstieg aus der EU zu ermöglichen. Frankreichs nicht minder unnachgiebige Haltung im Zoll- und Handelsstreit der EU mit den USA könnte ganz Europa und vor allem Deutschland schwer beschädigen. Als größte Exportnation hat die Bundesrepublik dabei viel mehr zu verlieren als Frankreich. SPIEGEL: Rufen Sie jetzt Deutschland dazu auf, Frankreich zu misstrauen? Todd: <strong>Der</strong> französische Rationalismus, die französische Obsession der ad mi nis - tra tiven Gleichförmigkeit, die auch die Brüsseler Kommission beherrscht, verhindert ein vernünftiges Nachdenken über pragmatische Lösungen der europäischen Krise. Eine geschmeidige, bewegliche europäische Leitung, die besser auf die vielfältige Realität unserer unterschiedlichen Gesellschaften einginge, wäre dringend notwendig. SPIEGEL: Wollen Sie sagen, es wäre ein Fehler anzunehmen, mit Frankreich als Partner wäre Deutschland auf der richtigen Seite der Geschichte? Todd: Jedenfalls irren die Deutschen, wenn sie meinen, dass Frankreich die liberale Demokratie repräsentiere. Das Gegenteil ist der Fall. In Frankreich sind die politischen Parteien, ohne die es keine Wahl zwischen Alternativen gibt, implodiert. Die Bürokratie und der öffentliche Dienst haben sich verselbstständigt. In diesem Geist handelt Macron. Er führt Frankreich in eine neue autoritäre Phase seiner Geschichte und folgt dem royalistischen Stil Ludwigs XIV. oder dem bonapartistischen der beiden Napoleons. Frankreich ist in seiner gegenwärtigen Verfassung ein schlechtes Vorbild für Deutschland, ein viel gefährlicheres Beispiel als Viktor Orbán in Ungarn, weil Frankreich sich im historischen Glanz einer Nation darstellt, die zur Erfindung der liberalen Demokratie entscheidend beigetragen hätte. Das ist ein glatter intellektueller Schwindel. <strong>Der</strong> gute, kritische, demokratische und liberale Partner für Deutschland wäre Großbritannien, auch und gerade nach dem Brexit. Frankreich und Macron, der sich gegenwärtig als der einzige und treueste Verbündete Deutschlands aufspielt, könnte sich am Ende als sein böser Geist entpuppen. Sagen Sie nachher nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt. SPIEGEL: Monsieur Todd, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. 116 DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong>
auf die neue Ausgabe mit vielen schönen, spannenden und entspannten Themen. Willkommen Gelassenheit DIE NEUE MODE Trends <strong>vom</strong> Laufsteg für den Alltag REISE Schwedens Natur genießen DOSSIER Ich kann dich nicht verlassen Warum bleiben wir bei Menschen, die uns nicht guttun? BEAUTY Tipps gegen Sonnenschäden WOHNEN Cool trifft Ethno Jetzt im Handel und als digitale Ausgabe.
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