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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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Auspacken!<br />

Leitkultur Alexander Osang über die<br />

Sicherheitsdiktatur auf Flughäfen<br />

E<br />

ine Frau hat den Münchner Flughafen lahmgelegt. Sie<br />

war etwa 40 Jahre alt und hatte einen Kosmetikkoffer<br />

dabei. Sie war einmal durch die Sicherheitsschleuse<br />

gelaufen, aber dann entschied jemand, dass sie den Kos -<br />

metikkoffer nicht mit in die Kabine nehmen dürfe. Sie brachte<br />

ihn zum Check-in, gab ihn auf und lief wieder zur Sicherheitsschleuse,<br />

wo sie dann nicht noch einmal kontrolliert<br />

wurde. Diese Tatsache hat den gesamten Flughafen komplett<br />

aus dem Rhythmus gebracht. Mehr als 300 Flüge wurden<br />

gestrichen. Ein Terminal wurde geschlossen. 30 000 Menschen<br />

strandeten in München. Klappliegen wurden aufgestellt.<br />

Es ist ein Schaden von mehreren Millionen Euro entstanden.<br />

Ich hab in den Nachrichten gehört, dass man nicht wisse,<br />

wer eigentlich die Verantwortung trägt.<br />

John Updike hat in seinem<br />

Roman »Heirate mich« eines<br />

von vier Kapiteln auf einem<br />

Flughafen spielen lassen, weil<br />

ihn Flughäfen an die Hölle erinnern.<br />

Wer einmal im Morgengrauen<br />

über einen der<br />

endlosen, giftig gelb beleuchteten<br />

Gänge gelaufen ist, die<br />

auf dem Frankfurter Flughafen<br />

die Terminals miteinander<br />

verbinden, versteht, wovon<br />

Updike redet. Ich habe<br />

vor 20 Jahren aufgehört zu<br />

rauchen, aber bevor ich eine<br />

Flughafenhalle betrete, würde<br />

ich mir jedes Mal gern eine<br />

Zigarette anstecken, weil ich<br />

das Gefühl habe, es könnte<br />

meine letzte sein.<br />

Die Türen schnappen zu,<br />

die Gesetze der Welt gelten<br />

nicht mehr. Die Kaffeepreise verdoppeln sich, ein belegtes Brötchen<br />

kostet sechs Euro. Auf dem John-F.-Kennedy-Flughafen<br />

in New York bezahlt man zwölf Dollar für ein Glas Bier, ohne<br />

darüber nachzudenken. Wie in Diktaturen übernimmt das<br />

Sicherheitspersonal die Herrschaft. Es gibt keine Logik mehr.<br />

Die Frage »Warum« ist verboten, weil sie eine Gefahr bedeutet.<br />

Warum muss ich mir bei der Sicherheitskontrolle in Düsseldorf<br />

die Schuhe ausziehen, in Berlin jedoch nicht?<br />

Darum.<br />

Ignoranten spielen Schicksal. Leute, deren Blicke sich in<br />

Scanner verwandelt haben, entscheiden nun darüber, in welche<br />

Richtung man sich bewegt. Sie weisen mir die Schlange<br />

zu, in die ich mich einreihen muss. Es ist immer die längste.<br />

Oft habe ich das Gefühl, sie rächen sich bei mir, weiß aber<br />

nicht, wofür. Die Ohnmacht ist total.<br />

Wie das Kunstgewerbe befriedigt die Flughafensicherheit<br />

Bedürfnisse, die sie selbst geschaffen hat.<br />

Uniformierte Menschen mit ungesunder Gesichtsfarbe starren<br />

in Tegel auf die Röntgenbilder meiner Reisetasche wie in<br />

meine Kaderakte. Was ist denn das? Packen Sie das mal aus!<br />

Aufmachen! Einschalten! Das darf nicht ins Handgepäck.<br />

Gesellschaft<br />

Journalist Osang am Flughafen von Lago Agrio, Ecuador<br />

Hätten Sie sich früher überlegen müssen. Das ist ja nun nicht<br />

erst seit gestern so. Ich mach die Regeln nicht. Wenn Sie laut<br />

werden, geht’s auch nicht schneller. Gut, wenn Sie’s nicht anders<br />

wollen. Warten Sie hier.<br />

Es erinnert mich an die Nationale Volksarmee, wo ein sadistischer<br />

Unteroffizier meine Waschtasche inspizierte und<br />

den Inhalt auf den Boden unserer Stube kippte, weil er in<br />

meiner Seifendose einen Wassertropfen gefunden hatte.<br />

Wer hat eigentlich festgelegt, dass die Grenze für Flüssigkeiten,<br />

die man mit an Bord nehmen darf, bei hundert Milliliter<br />

liegt? Wer kam darauf, dass man seine Hautcremes in<br />

Plastiktüten verpacken muss? Wir reden davon, dass die Meere<br />

vermüllt sind, packen aber bereitwillig unsere kleinen<br />

Zahnpastatuben in Plastikpackungen.<br />

Im vorigen Jahr musste ich auf dem Flughafen Paris-<br />

Charles de Gaulle eine Flasche Sonnencreme zurücklassen,<br />

weil sie zehn Milliliter zu viel Flüssigkeit enthielt. Ich hatte<br />

die Flasche auf dem Flughafen gekauft, sie war nicht billig.<br />

Als ich diskutierte, holte der Sicherheitsbeamte einen Kollegen<br />

und dann noch einen. Sie starrten auf meine Sonnencreme<br />

wie auf eine Mordwaffe. Auf dem Flughafen Pittsburgh<br />

bin ich einmal fast erschossen worden, weil ich einen Beamten,<br />

der aussah, als wäre er in seine Uniform eingeschweißt<br />

worden, bat, sich bei der Untersuchung meines Nagelclippers<br />

etwas zu beeilen. Mein Flug<br />

wurde aufgerufen. Sie führten<br />

mich ab. Mein Flug ging ohne<br />

mich.<br />

Wer hat eigentlich festgelegt,<br />

dass man seinen Laptop<br />

auspacken muss? Und wieso<br />

tupfen an schlechten Tagen irgendwelche<br />

Experten meine<br />

Computertastatur mit einem<br />

kleinen Schwämmchen ab?<br />

Wieso piepen die Ganzkörperscanner<br />

auf einem Flughafen,<br />

auf dem nächsten aber<br />

nicht, obwohl man exakt dieselben<br />

Sachen trägt?<br />

Wer die ganze Sinnlosigkeit<br />

des Systems begreifen<br />

will, sollte mal ein Flugzeug<br />

in Tel Aviv besteigen. Keiner<br />

will da, dass man seinen Gürtel<br />

abschnallt, seine Schuhe<br />

auszieht oder seinen Laptop aus der Tasche holt. Man kann<br />

hier Anderthalb-Liter-Flaschen Cola mit an Bord nehmen<br />

und Hummus, den man sich auf dem Weg zum Flughafen gekauft<br />

hat. Selbst die großen Dosen. Israel ist ein Land, das<br />

Erfahrung mit Terror hat. Die Beamten kennen den Unterschied<br />

zwischen einem Thunfisch-Wrap und einer Stange Dynamit.<br />

Es ist, glaube ich, kein Zufall, dass die Sicherheitsbeamten<br />

auch besser aussehen als die in Fort Lauderdale oder<br />

Leipzig/Halle. Fitter, schlauer und weitaus vertrauenserweckender.<br />

Natürlich nerven sie mich auch, meist aber mit Niveau.<br />

Wer in jedem Deoroller Plastiksprengstoff vermutet,<br />

verliert schnell die Übersicht, wenn es darauf ankommt.<br />

Vor gut einem Jahr wartete ich mit meiner Tochter und<br />

vier oder fünf wilden Hunden auf einen Flug in Lago Agrio<br />

in Ecuador. Ein kleiner Provinzflughafen im Regenwald. Die<br />

Halle war sauber, aber leer. Es gab keine erkennbare Sicherheit.<br />

Keine Ganzkörperscanner, keine Maschinen, die Koffer<br />

in Plastikfolie einwickeln, keine Boxen mit Ziplock-Tüten, in<br />

die man seine Kosmetik verpacken muss, keinen Fünf-Dollar-Kaffee.<br />

Nicht mal die Klimaanlage funktionierte.<br />

Ich schwitzte, aber ich hatte keine Angst.<br />

MASCHA OSANG / DER SPIEGEL<br />

DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong><br />

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