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Auspacken!<br />
Leitkultur Alexander Osang über die<br />
Sicherheitsdiktatur auf Flughäfen<br />
E<br />
ine Frau hat den Münchner Flughafen lahmgelegt. Sie<br />
war etwa 40 Jahre alt und hatte einen Kosmetikkoffer<br />
dabei. Sie war einmal durch die Sicherheitsschleuse<br />
gelaufen, aber dann entschied jemand, dass sie den Kos -<br />
metikkoffer nicht mit in die Kabine nehmen dürfe. Sie brachte<br />
ihn zum Check-in, gab ihn auf und lief wieder zur Sicherheitsschleuse,<br />
wo sie dann nicht noch einmal kontrolliert<br />
wurde. Diese Tatsache hat den gesamten Flughafen komplett<br />
aus dem Rhythmus gebracht. Mehr als 300 Flüge wurden<br />
gestrichen. Ein Terminal wurde geschlossen. 30 000 Menschen<br />
strandeten in München. Klappliegen wurden aufgestellt.<br />
Es ist ein Schaden von mehreren Millionen Euro entstanden.<br />
Ich hab in den Nachrichten gehört, dass man nicht wisse,<br />
wer eigentlich die Verantwortung trägt.<br />
John Updike hat in seinem<br />
Roman »Heirate mich« eines<br />
von vier Kapiteln auf einem<br />
Flughafen spielen lassen, weil<br />
ihn Flughäfen an die Hölle erinnern.<br />
Wer einmal im Morgengrauen<br />
über einen der<br />
endlosen, giftig gelb beleuchteten<br />
Gänge gelaufen ist, die<br />
auf dem Frankfurter Flughafen<br />
die Terminals miteinander<br />
verbinden, versteht, wovon<br />
Updike redet. Ich habe<br />
vor 20 Jahren aufgehört zu<br />
rauchen, aber bevor ich eine<br />
Flughafenhalle betrete, würde<br />
ich mir jedes Mal gern eine<br />
Zigarette anstecken, weil ich<br />
das Gefühl habe, es könnte<br />
meine letzte sein.<br />
Die Türen schnappen zu,<br />
die Gesetze der Welt gelten<br />
nicht mehr. Die Kaffeepreise verdoppeln sich, ein belegtes Brötchen<br />
kostet sechs Euro. Auf dem John-F.-Kennedy-Flughafen<br />
in New York bezahlt man zwölf Dollar für ein Glas Bier, ohne<br />
darüber nachzudenken. Wie in Diktaturen übernimmt das<br />
Sicherheitspersonal die Herrschaft. Es gibt keine Logik mehr.<br />
Die Frage »Warum« ist verboten, weil sie eine Gefahr bedeutet.<br />
Warum muss ich mir bei der Sicherheitskontrolle in Düsseldorf<br />
die Schuhe ausziehen, in Berlin jedoch nicht?<br />
Darum.<br />
Ignoranten spielen Schicksal. Leute, deren Blicke sich in<br />
Scanner verwandelt haben, entscheiden nun darüber, in welche<br />
Richtung man sich bewegt. Sie weisen mir die Schlange<br />
zu, in die ich mich einreihen muss. Es ist immer die längste.<br />
Oft habe ich das Gefühl, sie rächen sich bei mir, weiß aber<br />
nicht, wofür. Die Ohnmacht ist total.<br />
Wie das Kunstgewerbe befriedigt die Flughafensicherheit<br />
Bedürfnisse, die sie selbst geschaffen hat.<br />
Uniformierte Menschen mit ungesunder Gesichtsfarbe starren<br />
in Tegel auf die Röntgenbilder meiner Reisetasche wie in<br />
meine Kaderakte. Was ist denn das? Packen Sie das mal aus!<br />
Aufmachen! Einschalten! Das darf nicht ins Handgepäck.<br />
Gesellschaft<br />
Journalist Osang am Flughafen von Lago Agrio, Ecuador<br />
Hätten Sie sich früher überlegen müssen. Das ist ja nun nicht<br />
erst seit gestern so. Ich mach die Regeln nicht. Wenn Sie laut<br />
werden, geht’s auch nicht schneller. Gut, wenn Sie’s nicht anders<br />
wollen. Warten Sie hier.<br />
Es erinnert mich an die Nationale Volksarmee, wo ein sadistischer<br />
Unteroffizier meine Waschtasche inspizierte und<br />
den Inhalt auf den Boden unserer Stube kippte, weil er in<br />
meiner Seifendose einen Wassertropfen gefunden hatte.<br />
Wer hat eigentlich festgelegt, dass die Grenze für Flüssigkeiten,<br />
die man mit an Bord nehmen darf, bei hundert Milliliter<br />
liegt? Wer kam darauf, dass man seine Hautcremes in<br />
Plastiktüten verpacken muss? Wir reden davon, dass die Meere<br />
vermüllt sind, packen aber bereitwillig unsere kleinen<br />
Zahnpastatuben in Plastikpackungen.<br />
Im vorigen Jahr musste ich auf dem Flughafen Paris-<br />
Charles de Gaulle eine Flasche Sonnencreme zurücklassen,<br />
weil sie zehn Milliliter zu viel Flüssigkeit enthielt. Ich hatte<br />
die Flasche auf dem Flughafen gekauft, sie war nicht billig.<br />
Als ich diskutierte, holte der Sicherheitsbeamte einen Kollegen<br />
und dann noch einen. Sie starrten auf meine Sonnencreme<br />
wie auf eine Mordwaffe. Auf dem Flughafen Pittsburgh<br />
bin ich einmal fast erschossen worden, weil ich einen Beamten,<br />
der aussah, als wäre er in seine Uniform eingeschweißt<br />
worden, bat, sich bei der Untersuchung meines Nagelclippers<br />
etwas zu beeilen. Mein Flug<br />
wurde aufgerufen. Sie führten<br />
mich ab. Mein Flug ging ohne<br />
mich.<br />
Wer hat eigentlich festgelegt,<br />
dass man seinen Laptop<br />
auspacken muss? Und wieso<br />
tupfen an schlechten Tagen irgendwelche<br />
Experten meine<br />
Computertastatur mit einem<br />
kleinen Schwämmchen ab?<br />
Wieso piepen die Ganzkörperscanner<br />
auf einem Flughafen,<br />
auf dem nächsten aber<br />
nicht, obwohl man exakt dieselben<br />
Sachen trägt?<br />
Wer die ganze Sinnlosigkeit<br />
des Systems begreifen<br />
will, sollte mal ein Flugzeug<br />
in Tel Aviv besteigen. Keiner<br />
will da, dass man seinen Gürtel<br />
abschnallt, seine Schuhe<br />
auszieht oder seinen Laptop aus der Tasche holt. Man kann<br />
hier Anderthalb-Liter-Flaschen Cola mit an Bord nehmen<br />
und Hummus, den man sich auf dem Weg zum Flughafen gekauft<br />
hat. Selbst die großen Dosen. Israel ist ein Land, das<br />
Erfahrung mit Terror hat. Die Beamten kennen den Unterschied<br />
zwischen einem Thunfisch-Wrap und einer Stange Dynamit.<br />
Es ist, glaube ich, kein Zufall, dass die Sicherheitsbeamten<br />
auch besser aussehen als die in Fort Lauderdale oder<br />
Leipzig/Halle. Fitter, schlauer und weitaus vertrauenserweckender.<br />
Natürlich nerven sie mich auch, meist aber mit Niveau.<br />
Wer in jedem Deoroller Plastiksprengstoff vermutet,<br />
verliert schnell die Übersicht, wenn es darauf ankommt.<br />
Vor gut einem Jahr wartete ich mit meiner Tochter und<br />
vier oder fünf wilden Hunden auf einen Flug in Lago Agrio<br />
in Ecuador. Ein kleiner Provinzflughafen im Regenwald. Die<br />
Halle war sauber, aber leer. Es gab keine erkennbare Sicherheit.<br />
Keine Ganzkörperscanner, keine Maschinen, die Koffer<br />
in Plastikfolie einwickeln, keine Boxen mit Ziplock-Tüten, in<br />
die man seine Kosmetik verpacken muss, keinen Fünf-Dollar-Kaffee.<br />
Nicht mal die Klimaanlage funktionierte.<br />
Ich schwitzte, aber ich hatte keine Angst.<br />
MASCHA OSANG / DER SPIEGEL<br />
DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong><br />
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