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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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Deutschland<br />

Schattenfrauen<br />

Kriminalität Täterinnen, die Kinder sexuell missbrauchen, werden noch immer<br />

als Randerscheinung verharmlost – zu Unrecht. Das Verfahren gegen<br />

ein Paar aus Staufen wirft Licht auf ein machtvolles Tabu. Von Beate Lakotta<br />

D<br />

er Junge, zehn Jahre alt, wird vor<br />

Gericht nicht erscheinen. Niemand<br />

soll seinen Namen erfahren.<br />

Er versuche, in einem neuen<br />

Leben Tritt zu fassen, an einem sicheren<br />

Ort, so wird es die Staatsanwältin am Ende<br />

des Tages sagen, nachdem sie den ganzen<br />

Horror ausgebreitet hat: Sexualstraftaten<br />

in allen Variationen, begangen an Kindern.<br />

Mehr als drei Stunden lang arbeiten sich<br />

Nikola <strong>No</strong>vak und eine Kollegin im Wechsel<br />

durch die Anklageschrift, sachlich und<br />

nüchtern, 58 Taten, 130 Seiten. Im Saal<br />

ist es still, nur ab und zu ein Aufstöhnen<br />

im Publikum.<br />

Angeklagt sind die Mutter des Kindes,<br />

Berrin T., 48 Jahre alt, und ihr 39-jähriger<br />

Lebensgefährte Christian L. Die beiden gestanden,<br />

sich im Jahr 2015 mehrmals an der<br />

dreijährigen Tochter einer Bekannten vergangen<br />

zu haben, und danach an Berrin T.s<br />

Sohn. Mehr als zwei Jahre lang benutzten,<br />

verletzten, quälten und erniedrigten sie das<br />

Kind – und filmten das Ganze. Sie verkauften<br />

und tauschten die Clips im Dark net genannten<br />

Teil des Internets. Sie boten den<br />

Jungen dort an und überließen ihn pädosexuellen<br />

Freiern zur Vergewaltigung. Vier<br />

von ihnen wurden bereits in erster Instanz<br />

zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt.<br />

<strong>Der</strong> Fall aus dem badischen Staufen wirft<br />

Fragen nach Versäumnissen von Ämtern,<br />

Therapiestellen, Gerichten auf. Denn nicht<br />

nur die alleinerziehende Berrin T. war im<br />

Bilde, auf wen sie sich einließ: Christian L.,<br />

den sie bei der Freiburger Tafel traf, hatte<br />

mehr als vier Jahre Gefängnis hinter sich,<br />

wegen sexuellen Missbrauchs einer 13-Jährigen<br />

und dem Besitz von Kinderpornografie.<br />

Bald nannte der Junge ihn Papa.<br />

Das Jugendamt brachte das Kind im<br />

März 2017 in einer Pflegefamilie unter, vorsorglich,<br />

ohne von den sexuellen Übergriffen<br />

zu ahnen. Dagegen zog Berrin T. vor<br />

das Familiengericht, das schickte den Jungen<br />

nach Hause zurück. Auch beim Oberlandesgericht<br />

glaubte man, die Mutter werde<br />

ihr Kind schützen, wie sie es vor Gericht<br />

versprochen hatte. Stattdessen setzten Berrin<br />

T. und Christian L. ihr Treiben fort. Im<br />

September 2017 endete es nach einem<br />

anonymen Hinweis.<br />

Viele Pannen kamen in dem Fall zusammen:<br />

Informationen versickerten auf dem<br />

Behördenweg, das Kind wurde nie befragt<br />

und hatte keinen Beistand vor Gericht, ein<br />

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Illustrationen: Jan Feindt für den SPIEGEL

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