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Deutschland<br />
Schattenfrauen<br />
Kriminalität Täterinnen, die Kinder sexuell missbrauchen, werden noch immer<br />
als Randerscheinung verharmlost – zu Unrecht. Das Verfahren gegen<br />
ein Paar aus Staufen wirft Licht auf ein machtvolles Tabu. Von Beate Lakotta<br />
D<br />
er Junge, zehn Jahre alt, wird vor<br />
Gericht nicht erscheinen. Niemand<br />
soll seinen Namen erfahren.<br />
Er versuche, in einem neuen<br />
Leben Tritt zu fassen, an einem sicheren<br />
Ort, so wird es die Staatsanwältin am Ende<br />
des Tages sagen, nachdem sie den ganzen<br />
Horror ausgebreitet hat: Sexualstraftaten<br />
in allen Variationen, begangen an Kindern.<br />
Mehr als drei Stunden lang arbeiten sich<br />
Nikola <strong>No</strong>vak und eine Kollegin im Wechsel<br />
durch die Anklageschrift, sachlich und<br />
nüchtern, 58 Taten, 130 Seiten. Im Saal<br />
ist es still, nur ab und zu ein Aufstöhnen<br />
im Publikum.<br />
Angeklagt sind die Mutter des Kindes,<br />
Berrin T., 48 Jahre alt, und ihr 39-jähriger<br />
Lebensgefährte Christian L. Die beiden gestanden,<br />
sich im Jahr 2015 mehrmals an der<br />
dreijährigen Tochter einer Bekannten vergangen<br />
zu haben, und danach an Berrin T.s<br />
Sohn. Mehr als zwei Jahre lang benutzten,<br />
verletzten, quälten und erniedrigten sie das<br />
Kind – und filmten das Ganze. Sie verkauften<br />
und tauschten die Clips im Dark net genannten<br />
Teil des Internets. Sie boten den<br />
Jungen dort an und überließen ihn pädosexuellen<br />
Freiern zur Vergewaltigung. Vier<br />
von ihnen wurden bereits in erster Instanz<br />
zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt.<br />
<strong>Der</strong> Fall aus dem badischen Staufen wirft<br />
Fragen nach Versäumnissen von Ämtern,<br />
Therapiestellen, Gerichten auf. Denn nicht<br />
nur die alleinerziehende Berrin T. war im<br />
Bilde, auf wen sie sich einließ: Christian L.,<br />
den sie bei der Freiburger Tafel traf, hatte<br />
mehr als vier Jahre Gefängnis hinter sich,<br />
wegen sexuellen Missbrauchs einer 13-Jährigen<br />
und dem Besitz von Kinderpornografie.<br />
Bald nannte der Junge ihn Papa.<br />
Das Jugendamt brachte das Kind im<br />
März 2017 in einer Pflegefamilie unter, vorsorglich,<br />
ohne von den sexuellen Übergriffen<br />
zu ahnen. Dagegen zog Berrin T. vor<br />
das Familiengericht, das schickte den Jungen<br />
nach Hause zurück. Auch beim Oberlandesgericht<br />
glaubte man, die Mutter werde<br />
ihr Kind schützen, wie sie es vor Gericht<br />
versprochen hatte. Stattdessen setzten Berrin<br />
T. und Christian L. ihr Treiben fort. Im<br />
September 2017 endete es nach einem<br />
anonymen Hinweis.<br />
Viele Pannen kamen in dem Fall zusammen:<br />
Informationen versickerten auf dem<br />
Behördenweg, das Kind wurde nie befragt<br />
und hatte keinen Beistand vor Gericht, ein<br />
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Illustrationen: Jan Feindt für den SPIEGEL