Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
zer das Laubwerk der Reben stark ausgedünnt,<br />
nach oben lässt er die Blätter im<br />
Moment länger wachsen als sonst. »Die<br />
Traubenzone bekommt genug Luft«, erklärt<br />
Knipser, »aber oben lassen wir die<br />
Geiztriebe wachsen, damit die Trauben<br />
beschattet werden.« Bei zu viel Hitze würde<br />
in der Beere zu viel Säure abgebaut, es<br />
fehlt dem Wein dann an Frische und an<br />
Haltbarkeit.<br />
Fehlt es an Wasser, würden sich zudem<br />
die Spaltöffnungen in den Blättern schließen,<br />
sie würden in Hitzestarre verfallen,<br />
die Beeren würden sich nicht mehr entwickeln.<br />
Mit jungen Reben auf sandigeren<br />
Böden kann das leicht passieren. Alte Reben<br />
wurzeln viele Meter tief – das lässt<br />
die Trauben auch bei langer Trockenheit<br />
nicht verdursten.<br />
»Wir haben mit dem Wetter bisher<br />
wahnsinniges Glück gehabt«, sagt Stephan<br />
Knipser, trotz eines Hagelschlags im Frühjahr.<br />
»Mehr Sonne bedeutet mehr Reife<br />
und mehr Zucker und damit auch mehr<br />
Alkohol.«<br />
Als Knipsers Vater als einer der Ersten<br />
schon vor 30 Jahren begann, solche sonnenhungrigen<br />
Weine anzubauen, wurde<br />
er ausgelacht. Inzwischen wird er für<br />
seinen Weitblick bewundert. »Durch den<br />
Klimawandel gedeihen hier vermehrt<br />
solche Rebsorten.« Mittlerweile hat Knipser<br />
sogar eine Parzelle mit Gelbem Orleans,<br />
einst Lieblingswein Karls des Großen.<br />
Er war im deutschen Weinbau ausgestorben,<br />
weil er oft genug nicht rechtzeitig<br />
reif wurde. Doch seit Jahren reift Wein in<br />
Deutschland viel früher – daran, sagt Knipser,<br />
könne man deutlich den Klimawandel<br />
erkennen.<br />
Und <strong>vom</strong> Glück Stephan Knipsers einmal<br />
abgesehen? Wie geht es weiter mit diesem<br />
Sonnensommer <strong>2018</strong>, worauf müssen<br />
sich die Deutschen in den kommenden<br />
Wochen einstellen?<br />
Die Hitze wird langsam nachlassen, was<br />
einfach daran liegt, dass die Tage kürzer<br />
und die Nächte länger werden; die Sonne<br />
hat somit immer weniger Zeit, die Luft zu<br />
erwärmen. Die Dürre aber könnte bleiben,<br />
und zwar nicht nur ein, zwei Wochen lang,<br />
sondern den ganzen <strong>August</strong>, vielleicht sogar<br />
bis in den September hinein. Das zumindest<br />
legt eine aktuelle 46-Tage-Prognose<br />
des Europäischen Zentrums für mittelfristige<br />
Wettervorhersage (EZMW) im<br />
britischen Reading nahe.<br />
Diese Tendenz-Prognose ist natürlich<br />
nicht besonders präzise, wie sollte sie auch.<br />
»Es ist ein experimentelles Produkt«, sagt<br />
Meteorologe Kachelmann, »aber das beste<br />
derartige weltweit und sehr beunruhigend.«<br />
Die Wärme geht, die Dürre bleibt? Dies<br />
wäre eine schlechte Nachricht für Bauern<br />
und Ärzte, für Energieversorger und Feuerwehren.<br />
DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong><br />
Kapuzineraffe im Zoo von Jaderberg: Zeit für Wesentliches<br />
Doch in der Dürrewarnung steckt auch<br />
eine gute Nachricht: Die Fortschritte der<br />
Wetter- und Klimaforschung der vergangenen<br />
Jahrzehnte sind bewundernswert.<br />
Meist übertönen Nachrichten über Hit -<br />
zetote oder Dauerregen die stille, hart -<br />
näckige Verbesserung der Prognosemodelle,<br />
Tag um Tag, Fehler für Fehler.<br />
Kaum einer lobpreist diesen Fortschritt.<br />
Stattdessen meckern wir, wenn mal ein<br />
Gewitter eine Stunde später einsetzt als<br />
vorhergesagt. Katastrophen kreischen,<br />
Fortschritt flüstert.<br />
»Wir erleben eine stille Revolution bei<br />
den Wetter- und Klimaprognosen«, erklärt<br />
Peter Bauer, der stellvertretende<br />
Forschungsleiter des europäischen Vor -<br />
hersagezentrums EZMW: »Seit vielen<br />
Jahrzehnten sehen wir einen stetigen Fortschritt,<br />
alle zehn Jahre gelingt es uns, die<br />
Wettervorhersage um einen Tag zu verlängern.«<br />
Das Rechenzentrum in Reading läuft auf<br />
Hochtouren, teils verknüpft Bauer über<br />
50 Variationen eines Wettermodells zu<br />
einem Gespann. Ständig kommen neue<br />
Beobachtungswerte hinzu: Einen großen<br />
Sprung in der Genauigkeit lieferte unter<br />
anderem die effiziente Verknüpfung von<br />
Wettervorhersagen der Süd- und <strong>No</strong>rdhalbkugel<br />
mithilfe von Satellitendaten, die<br />
endlich einen systematischen Überblick<br />
über den gesamten Planeten ermöglichten.<br />
Längst sind die Klimavorhersagen so<br />
gut, dass sie helfen können, die Welt und<br />
das Land auf den Klimawandel einzu -<br />
stellen.<br />
Viele Anpassungsmaßnahmen sind einfach<br />
und seit Langem erprobt, etwa der<br />
Einbau von Schutzgittern und Schutzglas<br />
gegen Hagelschlag oder die Begrünung<br />
von Dächern, wie sie das Umweltbundesamt<br />
empfiehlt. Städte müssten so umgebaut<br />
werden, dass sie von Dauerregen<br />
nicht unterspült werden. Weiße Dachflächen<br />
reflektieren das Sonnenlicht und verhindern<br />
so Hitzestau. Großzügige Parks<br />
spenden Schatten und saugen bei Platzregen<br />
das Wasser auf wie ein Schwamm.<br />
Auch die Bauern werden sich umstellen<br />
müssen. Wer auf vielfältige Sorten setzt,<br />
ist weniger anfällig, wenn der Regen längere<br />
Zeit ausbleibt. Auch der Einsatz moderner<br />
gentechnischer Methoden sollte<br />
kein Tabu mehr sein, um Obst, Gemüse<br />
und Getreide zu züchten, die Hitze und<br />
Trockenheit besser aushalten.<br />
<strong>Der</strong> Sommer <strong>2018</strong>, für viele Menschen<br />
der Sommer ihres Lebens, ist eine extreme<br />
Erfahrung, für die meisten ein Genuss,<br />
für viele jedoch eine Belastung. Vor allem<br />
könnte er ein Weckruf sein, sich allmählich<br />
auf ein Leben in wärmeren Zeiten ein -<br />
zustellen, mit allen Vor- und Nachteilen,<br />
die damit verbunden sind.<br />
Melanie Amann, Annette Bruhns, Anna<br />
Clauß, Hauke Goos, Dietmar Hipp, Ann-<br />
Katrin Müller, Martin U. Müller, Timofey<br />
Neshitov, Christopher Piltz, Hilmar<br />
Schmundt, Olaf Stampf, Steffen Winter<br />
17<br />
ROLF VOSS / TIERPARK JADERBERG / DPA