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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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zer das Laubwerk der Reben stark ausgedünnt,<br />

nach oben lässt er die Blätter im<br />

Moment länger wachsen als sonst. »Die<br />

Traubenzone bekommt genug Luft«, erklärt<br />

Knipser, »aber oben lassen wir die<br />

Geiztriebe wachsen, damit die Trauben<br />

beschattet werden.« Bei zu viel Hitze würde<br />

in der Beere zu viel Säure abgebaut, es<br />

fehlt dem Wein dann an Frische und an<br />

Haltbarkeit.<br />

Fehlt es an Wasser, würden sich zudem<br />

die Spaltöffnungen in den Blättern schließen,<br />

sie würden in Hitzestarre verfallen,<br />

die Beeren würden sich nicht mehr entwickeln.<br />

Mit jungen Reben auf sandigeren<br />

Böden kann das leicht passieren. Alte Reben<br />

wurzeln viele Meter tief – das lässt<br />

die Trauben auch bei langer Trockenheit<br />

nicht verdursten.<br />

»Wir haben mit dem Wetter bisher<br />

wahnsinniges Glück gehabt«, sagt Stephan<br />

Knipser, trotz eines Hagelschlags im Frühjahr.<br />

»Mehr Sonne bedeutet mehr Reife<br />

und mehr Zucker und damit auch mehr<br />

Alkohol.«<br />

Als Knipsers Vater als einer der Ersten<br />

schon vor 30 Jahren begann, solche sonnenhungrigen<br />

Weine anzubauen, wurde<br />

er ausgelacht. Inzwischen wird er für<br />

seinen Weitblick bewundert. »Durch den<br />

Klimawandel gedeihen hier vermehrt<br />

solche Rebsorten.« Mittlerweile hat Knipser<br />

sogar eine Parzelle mit Gelbem Orleans,<br />

einst Lieblingswein Karls des Großen.<br />

Er war im deutschen Weinbau ausgestorben,<br />

weil er oft genug nicht rechtzeitig<br />

reif wurde. Doch seit Jahren reift Wein in<br />

Deutschland viel früher – daran, sagt Knipser,<br />

könne man deutlich den Klimawandel<br />

erkennen.<br />

Und <strong>vom</strong> Glück Stephan Knipsers einmal<br />

abgesehen? Wie geht es weiter mit diesem<br />

Sonnensommer <strong>2018</strong>, worauf müssen<br />

sich die Deutschen in den kommenden<br />

Wochen einstellen?<br />

Die Hitze wird langsam nachlassen, was<br />

einfach daran liegt, dass die Tage kürzer<br />

und die Nächte länger werden; die Sonne<br />

hat somit immer weniger Zeit, die Luft zu<br />

erwärmen. Die Dürre aber könnte bleiben,<br />

und zwar nicht nur ein, zwei Wochen lang,<br />

sondern den ganzen <strong>August</strong>, vielleicht sogar<br />

bis in den September hinein. Das zumindest<br />

legt eine aktuelle 46-Tage-Prognose<br />

des Europäischen Zentrums für mittelfristige<br />

Wettervorhersage (EZMW) im<br />

britischen Reading nahe.<br />

Diese Tendenz-Prognose ist natürlich<br />

nicht besonders präzise, wie sollte sie auch.<br />

»Es ist ein experimentelles Produkt«, sagt<br />

Meteorologe Kachelmann, »aber das beste<br />

derartige weltweit und sehr beunruhigend.«<br />

Die Wärme geht, die Dürre bleibt? Dies<br />

wäre eine schlechte Nachricht für Bauern<br />

und Ärzte, für Energieversorger und Feuerwehren.<br />

DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong><br />

Kapuzineraffe im Zoo von Jaderberg: Zeit für Wesentliches<br />

Doch in der Dürrewarnung steckt auch<br />

eine gute Nachricht: Die Fortschritte der<br />

Wetter- und Klimaforschung der vergangenen<br />

Jahrzehnte sind bewundernswert.<br />

Meist übertönen Nachrichten über Hit -<br />

zetote oder Dauerregen die stille, hart -<br />

näckige Verbesserung der Prognosemodelle,<br />

Tag um Tag, Fehler für Fehler.<br />

Kaum einer lobpreist diesen Fortschritt.<br />

Stattdessen meckern wir, wenn mal ein<br />

Gewitter eine Stunde später einsetzt als<br />

vorhergesagt. Katastrophen kreischen,<br />

Fortschritt flüstert.<br />

»Wir erleben eine stille Revolution bei<br />

den Wetter- und Klimaprognosen«, erklärt<br />

Peter Bauer, der stellvertretende<br />

Forschungsleiter des europäischen Vor -<br />

hersagezentrums EZMW: »Seit vielen<br />

Jahrzehnten sehen wir einen stetigen Fortschritt,<br />

alle zehn Jahre gelingt es uns, die<br />

Wettervorhersage um einen Tag zu verlängern.«<br />

Das Rechenzentrum in Reading läuft auf<br />

Hochtouren, teils verknüpft Bauer über<br />

50 Variationen eines Wettermodells zu<br />

einem Gespann. Ständig kommen neue<br />

Beobachtungswerte hinzu: Einen großen<br />

Sprung in der Genauigkeit lieferte unter<br />

anderem die effiziente Verknüpfung von<br />

Wettervorhersagen der Süd- und <strong>No</strong>rdhalbkugel<br />

mithilfe von Satellitendaten, die<br />

endlich einen systematischen Überblick<br />

über den gesamten Planeten ermöglichten.<br />

Längst sind die Klimavorhersagen so<br />

gut, dass sie helfen können, die Welt und<br />

das Land auf den Klimawandel einzu -<br />

stellen.<br />

Viele Anpassungsmaßnahmen sind einfach<br />

und seit Langem erprobt, etwa der<br />

Einbau von Schutzgittern und Schutzglas<br />

gegen Hagelschlag oder die Begrünung<br />

von Dächern, wie sie das Umweltbundesamt<br />

empfiehlt. Städte müssten so umgebaut<br />

werden, dass sie von Dauerregen<br />

nicht unterspült werden. Weiße Dachflächen<br />

reflektieren das Sonnenlicht und verhindern<br />

so Hitzestau. Großzügige Parks<br />

spenden Schatten und saugen bei Platzregen<br />

das Wasser auf wie ein Schwamm.<br />

Auch die Bauern werden sich umstellen<br />

müssen. Wer auf vielfältige Sorten setzt,<br />

ist weniger anfällig, wenn der Regen längere<br />

Zeit ausbleibt. Auch der Einsatz moderner<br />

gentechnischer Methoden sollte<br />

kein Tabu mehr sein, um Obst, Gemüse<br />

und Getreide zu züchten, die Hitze und<br />

Trockenheit besser aushalten.<br />

<strong>Der</strong> Sommer <strong>2018</strong>, für viele Menschen<br />

der Sommer ihres Lebens, ist eine extreme<br />

Erfahrung, für die meisten ein Genuss,<br />

für viele jedoch eine Belastung. Vor allem<br />

könnte er ein Weckruf sein, sich allmählich<br />

auf ein Leben in wärmeren Zeiten ein -<br />

zustellen, mit allen Vor- und Nachteilen,<br />

die damit verbunden sind.<br />

Melanie Amann, Annette Bruhns, Anna<br />

Clauß, Hauke Goos, Dietmar Hipp, Ann-<br />

Katrin Müller, Martin U. Müller, Timofey<br />

Neshitov, Christopher Piltz, Hilmar<br />

Schmundt, Olaf Stampf, Steffen Winter<br />

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ROLF VOSS / TIERPARK JADERBERG / DPA

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