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Deutschland<br />
»Das machen<br />
unsere Freunde nicht<br />
noch mal mit«<br />
SPIEGEL-Gespräch EU-Kommissar Günther Oettinger, 64,<br />
fordert einen Pro-Europa-Wahlkampf von der CSU.<br />
Mit Ungarns Präsident Orbán will er nachsichtig umgehen.<br />
SPIEGEL: Herr Oettinger, in Italien regiert<br />
seit einigen Wochen die fremdenfeindliche<br />
Lega, in Österreich die rechtsnationale<br />
FPÖ, und in Ungarn ruft Premier Viktor<br />
Orbán das Ende der liberalen Demokratie<br />
aus. Wie erklären Sie sich den Rechtsruck<br />
in Europa?<br />
Oettinger: Es sind nicht nur Parteien auf<br />
der Rechten, sondern auch auf der Linken,<br />
die mit Populismus und Distanz zur EU<br />
auf Stimmenfang gehen. Denken Sie an<br />
die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien. Globalisierung<br />
und Digitalisierung wecken<br />
Ängste, dazu kommen die Migration und<br />
die Folgen der Finanz- und Staatsschuldenkrise,<br />
die in manchen Ländern noch<br />
immer zu spüren sind. Das ist ein Umfeld,<br />
das eine wachsende Zahl von Menschen<br />
zum Anlass nimmt, Protestparteien zu<br />
wählen.<br />
SPIEGEL: Bei allen Unterschieden schießen<br />
sich die Populisten aber lagerübergreifend<br />
auf die Europäische Union und Brüssel<br />
ein. Warum?<br />
Oettinger: Das ist in der Tat paradox, denn<br />
oft ist die EU ja am ehesten in der Lage,<br />
die Probleme zu bewältigen. Nur die EU<br />
ist stark genug, um den USA oder China<br />
bei Handelsstreitigkeiten entgegentreten<br />
zu können. <strong>Der</strong> Deal, den Kommissions -<br />
chef Jean-Claude Juncker mit US-Präsident<br />
Donald Trump aushandeln konnte,<br />
hat das einmal mehr bewiesen.<br />
SPIEGEL: Umso mehr stellt sich die Frage,<br />
warum es nicht gelingt, das den Bürgern<br />
zu erklären.<br />
Oettinger: Da müssen wir uns alle mehr<br />
anstrengen, die Europapolitiker in Brüssel,<br />
aber auch nationale und regionale Regierungsmitglieder<br />
und Abgeordnete, die<br />
nicht über Europa sprechen – oder wenn,<br />
dann negativ. Das Spiel, dass man Erfolge<br />
nationalisiert und Probleme europäisiert,<br />
muss aufhören. Die nächste Europawahl<br />
wird zur Richtungsentscheidung. In vielen<br />
Mitgliedstaaten gibt es Parteien, die unverhohlen<br />
mit dem Austritt ihres Landes<br />
aus der Europäischen Union liebäugeln<br />
und damit großen Zulauf haben. Die Europawahl<br />
muss unseren Parteien daher so<br />
viel wert sein wie die Bundestagswahl.<br />
Das muss sich auch in den Wahlkampfbudgets<br />
niederschlagen.<br />
SPIEGEL: Zumal einer Ihrer Gegner<br />
Stephen Bannon sein wird, der Mann, der<br />
Trumps Wahlsieg in den USA befördert<br />
hat und nun den Rechtspopulisten in<br />
Europa helfen will. Kann er Erfolg haben?<br />
Oettinger: Man darf den Mann nicht unterschätzen.<br />
Er wird Geld von Sponsoren<br />
bekommen, um mit der ihm eigenen Bösartigkeit<br />
auf Stimmenfang zu gehen. Da<br />
müssen wir Demokraten gemeinsam dagegenhalten.<br />
Populisten schlägt man am<br />
besten durch eine hohe Wahlbeteiligung.<br />
Je mehr Menschen im Mai 2019 zur Europawahl<br />
gehen, desto schwächer werden<br />
die Populisten abschneiden.<br />
SPIEGEL: Ihre Zuversicht in allen Ehren,<br />
aber sogar die CSU wandelte zuletzt auf<br />
den Spuren Trumps. »Die Zeit des geordneten<br />
Multilateralismus ist vorbei«, sagte<br />
Bayerns Ministerpräsident Söder. Liebäugelt<br />
da eine altehrwürdige Volkspartei mit<br />
den Thesen von Trump und Bannon?<br />
Oettinger: Die CSU hat mit europakritischen<br />
Tönen bei der vergangenen Europawahl<br />
ein Debakel erlebt. Trotz aller harschen<br />
Debatten, die in der Migrationsfrage<br />
zuletzt zwischen CDU und CSU geführt<br />
wurden, erwarte ich daher einen proeuropäischen<br />
Wahlkampf – auch von der CSU.<br />
Markus Söder hat ja gesagt, dass er das<br />
Wort Asyltourismus nicht mehr verwenden<br />
will. Solche Töne der Selbstkritik sind<br />
erfreulich, darauf lässt sich aufbauen.<br />
SPIEGEL: Es sei denn, die Partei verliert<br />
ihre absolute Mehrheit bei der bayerischen<br />
Landtagswahl im Herbst. Dann geht der<br />
Streit von vorn los.<br />
Oettinger: Nein. Ich erwarte, dass sich alle<br />
in der Union an die Absprache halten,<br />
nicht noch einmal einen derartigen Streit<br />
anzufachen, im Interesse des Ansehens<br />
Deutschlands in Europa. Wir können es<br />
uns nicht noch einmal leisten, einen EU-<br />
Gipfel, auf dem über Handelskriege, Euro -<br />
reformen und den Brexit diskutiert werden<br />
sollte, mit unseren deutschen Sonderproblemen<br />
zu belasten. Das werden unsere<br />
Freunde, also die anderen Mitgliedsländer,<br />
nicht noch einmal mitmachen.<br />
SPIEGEL: Es ging nicht um Sonderprobleme,<br />
sondern um die Flüchtlingskrise, jenes<br />
Thema also, das den Populisten in Europa<br />
derzeit den größten Auftrieb verschafft.<br />
Glauben Sie ernsthaft, dass dieses Problem<br />
mit den sogenannten Ausschiffungsplattformen<br />
in <strong>No</strong>rdafrika gelöst werden kann,<br />
von denen auf dem Gipfel die Rede war?<br />
Oettinger: Entscheidend ist, dass wir ohne<br />
ein gewisses Maß an Solidarität bei der Lösung<br />
der Flüchtlingskrise nicht weiterkommen.<br />
Migranten, die in Italien, Spanien<br />
oder Bulgarien eintreffen, kommen in<br />
Europa an. Ich setze darauf, dass zumindest<br />
eine gewisse Zahl an Ländern bereit<br />
ist, Flüchtlinge aufzunehmen. So war es<br />
ja zuletzt auch bei jenen Flüchtlingsschiffen,<br />
die in Europa zunächst keinen Hafen<br />
mehr anlaufen konnten.<br />
SPIEGEL: Sie spielen auf die neue italienische<br />
Regierung an, die immer wieder die<br />
Häfen des Landes für Rettungsschiffe geschlossen<br />
hat. Innenminister Matteo Salvini,<br />
zugleich Chef der Regierungspartei<br />
Lega, bezeichnet Flüchtlinge als »Ladung<br />
Menschenfleisch«. Wie wollen Sie mit so<br />
einem Partner die Krise lösen?<br />
Oettinger: Die Wortwahl ist das eine, die<br />
konkrete Situation das andere. Italien<br />
braucht unsere Hilfe. Ich will daher für die<br />
Haushaltsjahre 2019 und 2020 die notwendigen<br />
Mittel vorschlagen, um schon jetzt<br />
bis zu 10 000 zusätzliche Frontex-Beamte<br />
für unsere Außengrenzen einzustellen. Das<br />
bedeutet dann bis zu eine Milliarde Euro<br />
sinnvolle Ausgaben pro Jahr. Eigentlich<br />
war die Aufstockung erst später vorgesehen.<br />
Ich setze darauf, dass die EU-Mitglieder<br />
hier mitziehen und dann auch Beamte<br />
für diese Aufgabe abstellen.<br />
SPIEGEL: Mehr Geld bereitzustellen ist<br />
schön und gut. Inzwischen aber reden<br />
auch Politiker etablierter Parteien populistisch<br />
daher.<br />
Oettinger: Populisten beleidigen, diffamieren,<br />
erniedrigen. Das ist nicht der Stil von<br />
Demokraten. Aber in der Sache muss es<br />
schon noch möglich sein, Dinge anzusprechen,<br />
die Menschen bewegen.<br />
SPIEGEL: Was meinen Sie damit?<br />
Oettinger: Denken Sie an das Megathema<br />
Rente. Wir reden von der Rente mit 63<br />
und der Mütterrente, also einem früheren<br />
Abschied <strong>vom</strong> Berufsleben und mehr<br />
Geld. In Wahrheit müssen wir die Menschen<br />
aber darauf vorbereiten, dass sie im<br />
Alter länger arbeiten müssen. Unsere De-<br />
<strong>32</strong> DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong>