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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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Deutschland<br />

»Das machen<br />

unsere Freunde nicht<br />

noch mal mit«<br />

SPIEGEL-Gespräch EU-Kommissar Günther Oettinger, 64,<br />

fordert einen Pro-Europa-Wahlkampf von der CSU.<br />

Mit Ungarns Präsident Orbán will er nachsichtig umgehen.<br />

SPIEGEL: Herr Oettinger, in Italien regiert<br />

seit einigen Wochen die fremdenfeindliche<br />

Lega, in Österreich die rechtsnationale<br />

FPÖ, und in Ungarn ruft Premier Viktor<br />

Orbán das Ende der liberalen Demokratie<br />

aus. Wie erklären Sie sich den Rechtsruck<br />

in Europa?<br />

Oettinger: Es sind nicht nur Parteien auf<br />

der Rechten, sondern auch auf der Linken,<br />

die mit Populismus und Distanz zur EU<br />

auf Stimmenfang gehen. Denken Sie an<br />

die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien. Globalisierung<br />

und Digitalisierung wecken<br />

Ängste, dazu kommen die Migration und<br />

die Folgen der Finanz- und Staatsschuldenkrise,<br />

die in manchen Ländern noch<br />

immer zu spüren sind. Das ist ein Umfeld,<br />

das eine wachsende Zahl von Menschen<br />

zum Anlass nimmt, Protestparteien zu<br />

wählen.<br />

SPIEGEL: Bei allen Unterschieden schießen<br />

sich die Populisten aber lagerübergreifend<br />

auf die Europäische Union und Brüssel<br />

ein. Warum?<br />

Oettinger: Das ist in der Tat paradox, denn<br />

oft ist die EU ja am ehesten in der Lage,<br />

die Probleme zu bewältigen. Nur die EU<br />

ist stark genug, um den USA oder China<br />

bei Handelsstreitigkeiten entgegentreten<br />

zu können. <strong>Der</strong> Deal, den Kommissions -<br />

chef Jean-Claude Juncker mit US-Präsident<br />

Donald Trump aushandeln konnte,<br />

hat das einmal mehr bewiesen.<br />

SPIEGEL: Umso mehr stellt sich die Frage,<br />

warum es nicht gelingt, das den Bürgern<br />

zu erklären.<br />

Oettinger: Da müssen wir uns alle mehr<br />

anstrengen, die Europapolitiker in Brüssel,<br />

aber auch nationale und regionale Regierungsmitglieder<br />

und Abgeordnete, die<br />

nicht über Europa sprechen – oder wenn,<br />

dann negativ. Das Spiel, dass man Erfolge<br />

nationalisiert und Probleme europäisiert,<br />

muss aufhören. Die nächste Europawahl<br />

wird zur Richtungsentscheidung. In vielen<br />

Mitgliedstaaten gibt es Parteien, die unverhohlen<br />

mit dem Austritt ihres Landes<br />

aus der Europäischen Union liebäugeln<br />

und damit großen Zulauf haben. Die Europawahl<br />

muss unseren Parteien daher so<br />

viel wert sein wie die Bundestagswahl.<br />

Das muss sich auch in den Wahlkampfbudgets<br />

niederschlagen.<br />

SPIEGEL: Zumal einer Ihrer Gegner<br />

Stephen Bannon sein wird, der Mann, der<br />

Trumps Wahlsieg in den USA befördert<br />

hat und nun den Rechtspopulisten in<br />

Europa helfen will. Kann er Erfolg haben?<br />

Oettinger: Man darf den Mann nicht unterschätzen.<br />

Er wird Geld von Sponsoren<br />

bekommen, um mit der ihm eigenen Bösartigkeit<br />

auf Stimmenfang zu gehen. Da<br />

müssen wir Demokraten gemeinsam dagegenhalten.<br />

Populisten schlägt man am<br />

besten durch eine hohe Wahlbeteiligung.<br />

Je mehr Menschen im Mai 2019 zur Europawahl<br />

gehen, desto schwächer werden<br />

die Populisten abschneiden.<br />

SPIEGEL: Ihre Zuversicht in allen Ehren,<br />

aber sogar die CSU wandelte zuletzt auf<br />

den Spuren Trumps. »Die Zeit des geordneten<br />

Multilateralismus ist vorbei«, sagte<br />

Bayerns Ministerpräsident Söder. Liebäugelt<br />

da eine altehrwürdige Volkspartei mit<br />

den Thesen von Trump und Bannon?<br />

Oettinger: Die CSU hat mit europakritischen<br />

Tönen bei der vergangenen Europawahl<br />

ein Debakel erlebt. Trotz aller harschen<br />

Debatten, die in der Migrationsfrage<br />

zuletzt zwischen CDU und CSU geführt<br />

wurden, erwarte ich daher einen proeuropäischen<br />

Wahlkampf – auch von der CSU.<br />

Markus Söder hat ja gesagt, dass er das<br />

Wort Asyltourismus nicht mehr verwenden<br />

will. Solche Töne der Selbstkritik sind<br />

erfreulich, darauf lässt sich aufbauen.<br />

SPIEGEL: Es sei denn, die Partei verliert<br />

ihre absolute Mehrheit bei der bayerischen<br />

Landtagswahl im Herbst. Dann geht der<br />

Streit von vorn los.<br />

Oettinger: Nein. Ich erwarte, dass sich alle<br />

in der Union an die Absprache halten,<br />

nicht noch einmal einen derartigen Streit<br />

anzufachen, im Interesse des Ansehens<br />

Deutschlands in Europa. Wir können es<br />

uns nicht noch einmal leisten, einen EU-<br />

Gipfel, auf dem über Handelskriege, Euro -<br />

reformen und den Brexit diskutiert werden<br />

sollte, mit unseren deutschen Sonderproblemen<br />

zu belasten. Das werden unsere<br />

Freunde, also die anderen Mitgliedsländer,<br />

nicht noch einmal mitmachen.<br />

SPIEGEL: Es ging nicht um Sonderprobleme,<br />

sondern um die Flüchtlingskrise, jenes<br />

Thema also, das den Populisten in Europa<br />

derzeit den größten Auftrieb verschafft.<br />

Glauben Sie ernsthaft, dass dieses Problem<br />

mit den sogenannten Ausschiffungsplattformen<br />

in <strong>No</strong>rdafrika gelöst werden kann,<br />

von denen auf dem Gipfel die Rede war?<br />

Oettinger: Entscheidend ist, dass wir ohne<br />

ein gewisses Maß an Solidarität bei der Lösung<br />

der Flüchtlingskrise nicht weiterkommen.<br />

Migranten, die in Italien, Spanien<br />

oder Bulgarien eintreffen, kommen in<br />

Europa an. Ich setze darauf, dass zumindest<br />

eine gewisse Zahl an Ländern bereit<br />

ist, Flüchtlinge aufzunehmen. So war es<br />

ja zuletzt auch bei jenen Flüchtlingsschiffen,<br />

die in Europa zunächst keinen Hafen<br />

mehr anlaufen konnten.<br />

SPIEGEL: Sie spielen auf die neue italienische<br />

Regierung an, die immer wieder die<br />

Häfen des Landes für Rettungsschiffe geschlossen<br />

hat. Innenminister Matteo Salvini,<br />

zugleich Chef der Regierungspartei<br />

Lega, bezeichnet Flüchtlinge als »Ladung<br />

Menschenfleisch«. Wie wollen Sie mit so<br />

einem Partner die Krise lösen?<br />

Oettinger: Die Wortwahl ist das eine, die<br />

konkrete Situation das andere. Italien<br />

braucht unsere Hilfe. Ich will daher für die<br />

Haushaltsjahre 2019 und 2020 die notwendigen<br />

Mittel vorschlagen, um schon jetzt<br />

bis zu 10 000 zusätzliche Frontex-Beamte<br />

für unsere Außengrenzen einzustellen. Das<br />

bedeutet dann bis zu eine Milliarde Euro<br />

sinnvolle Ausgaben pro Jahr. Eigentlich<br />

war die Aufstockung erst später vorgesehen.<br />

Ich setze darauf, dass die EU-Mitglieder<br />

hier mitziehen und dann auch Beamte<br />

für diese Aufgabe abstellen.<br />

SPIEGEL: Mehr Geld bereitzustellen ist<br />

schön und gut. Inzwischen aber reden<br />

auch Politiker etablierter Parteien populistisch<br />

daher.<br />

Oettinger: Populisten beleidigen, diffamieren,<br />

erniedrigen. Das ist nicht der Stil von<br />

Demokraten. Aber in der Sache muss es<br />

schon noch möglich sein, Dinge anzusprechen,<br />

die Menschen bewegen.<br />

SPIEGEL: Was meinen Sie damit?<br />

Oettinger: Denken Sie an das Megathema<br />

Rente. Wir reden von der Rente mit 63<br />

und der Mütterrente, also einem früheren<br />

Abschied <strong>vom</strong> Berufsleben und mehr<br />

Geld. In Wahrheit müssen wir die Menschen<br />

aber darauf vorbereiten, dass sie im<br />

Alter länger arbeiten müssen. Unsere De-<br />

<strong>32</strong> DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong>

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