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Der Spiegel Magazin No 32 vom 04. August 2018

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Gehirn aktivieren und andere, unerwünschte<br />

Gedanken unterdrücken soll –<br />

so könne sie leichter auf das Startsignal<br />

reagieren. Im Idealfall gewinne sie so ein<br />

paar Hundertstel.<br />

Anfang Juli schafft Lückenkemper 11,07<br />

Sekunden, nationale Jahresbestleistung;<br />

bei den deutschen Meisterschaften zwei<br />

Wochen später zeigt sie bei ihren Starts<br />

deutlich verbesserte Reaktionszeiten. Es<br />

geht voran, Richtung einer Zeit unter elf<br />

Sekunden, wie 2017. Gute äußere Bedingungen<br />

vorausgesetzt, braucht es die wohl<br />

in Berlin für eine Medaille.<br />

Kann man das schaffen, rein mit »Basics«<br />

und gedanklichen Achsdrehungen?<br />

10,86 10,83 10,81<br />

Silke Gladisch<br />

20. <strong>August</strong> 1987<br />

Marita Koch<br />

8. Juni 1983<br />

Marlies Göhr<br />

8. Juni 1983<br />

Oral-Turinabol* Oral-Turinabol* Oral-Turinabol*<br />

* laut DDR-Dopingplänen; Quelle: Berendonk »Doping-Dokumente«<br />

Lückenkemper positioniert sich öffentlich<br />

vehement gegen Doping. »Es gibt<br />

schon zu viele Geschichten von gedopten<br />

Athleten, die mit Mitte 30 an den Folgen<br />

gestorben sind«, sagt Lückenkemper, die<br />

regelmäßig in sozialen Netzwerken über<br />

ihre Kontrollen informiert. »Das ist es mir<br />

nicht wert. Ich liebe meinen Körper und<br />

mein Leben viel zu sehr, als dass ich mir<br />

das zerstören würde für eine – Entschuldigung<br />

– Kackmedaille.«<br />

Lückenkemper schaut ernst, wenn sie<br />

solche Sätze sagt, hält Augenkontakt. Andere<br />

Athleten verweisen stur auf negative<br />

Dopingtests, Lückenkemper gibt einen gedanklichen<br />

Überbau. Sie erzählt, wie sie<br />

panisch beim Zahnarzt saß, als dieser ihr<br />

eine Betäubungsspritze geben wollte, deren<br />

Inhaltsstoffe sie nicht kannte – was,<br />

wenn etwas Verbotenes drin ist? Wie sie<br />

mit dichten Nasennebenhöhlen von einer<br />

Auslandsreise nach Hause kam, ihr Freund<br />

aber nur ein Mittel zur Hand hatte, von<br />

dem sie nicht wusste, ob es von den Kontrollbehörden<br />

freigegeben ist. Wie sie in<br />

Jena mit Luftproblemen zu kämpfen hatte,<br />

vermutlich aufgrund einer Pollenallergie.<br />

Ihr Arzt habe gesagt, jedem anderen Menschen<br />

hätte er Salbutamol verschrieben,<br />

ein Asthmamittel, unter Radprofis beliebt.<br />

Lückenkemper aber wollte nicht: »Solange<br />

ich keinen eindeutigen Beweis habe, dass<br />

ich es brauche, werde ich es nicht nehmen.«<br />

Es klingt glaubhaft.<br />

»<strong>Der</strong> saubere Sport ist heutzutage die<br />

Herausforderung schlechthin«, sagt Uli<br />

** positiver Dopingtest<br />

DPA PICTURE-ALLIANCE / FOTOSTAND / FUSSWINKEL; P. PROBST / SZ PHOTO; PRESSEFOTO RAUCHENSTEINER;<br />

IMAGO SPORT / W. SCHULZE; GETTY IMAGES SPORT; GETTY IMAGES / B. THOMAS SPORTS PHOTOGRAPHY; S. SIMON<br />

Kunst zu den Dopingfragen, die mehr werden<br />

seit Lückenkempers erstem »Zehnkomma-Lauf«<br />

2017. »Wir wollen beweisen,<br />

dass es auch ohne Doping möglich ist, Topleistungen<br />

zu zeigen.«<br />

Anders als früher. Sechs Damen liefen<br />

in der deutschen Sprintgeschichte schneller<br />

als Lückenkemper, alle sechs entstammen<br />

dem Staatsdopingsystem der DDR,<br />

alle sechs liefen ihre Bestzeiten vor der<br />

Wende. Von fünfen – Marlies Göhr, Marita<br />

Koch, Silke Gladisch, Heike Drechsler und<br />

Bärbel Wöckel – sind Dosierungspläne aus<br />

den Achtzigerjahren erhalten für Oral-Turinabol,<br />

das Standard-Anabolikum des<br />

DDR-Sports. Katrin Krabbe, die Nummer<br />

sechs, wurde später positiv getestet.<br />

Und doch ist das Sextett weiter die Messlatte<br />

für die neue Generation deutscher<br />

Sprinterinnen. Bei der deutschen Meisterschaft<br />

informiert der DLV auf den Startund<br />

Ergebnislisten für die 100 Meter<br />

der Damen: »Meisterschaftsrekord 10.91<br />

Krabbe Katrin« und »Deutscher Rekord<br />

10.81 Göhr Marlies«.<br />

»Ich bin der Ansicht, dass jeder, der einmal<br />

des Dopings überführt wurde, aus Rekordlisten<br />

gestrichen werden sollte«, sagt<br />

Lückenkemper, ohne sich über einzelne<br />

Namen äußern zu wollen. Ihrer Meinung<br />

nach sollten die Verbände zwei Rekord -<br />

listen führen: eine mit den des Dopings<br />

überführten Athleten und eine, in der nur<br />

die sauberen Athleten stehen.<br />

Bei Werner Franke treffen diese Worte<br />

auf Zustimmung. »Sie hat natürlich recht«,<br />

sagt der Heidelberger Molekularbiologe<br />

und Dopingexperte. Franke, 78, sieht Lückenkemper<br />

als deutsche Rekordhalterin<br />

an, trotz Rang sieben auf der aktuellen<br />

Bestenliste. Für »alle diese Doping-Spitzensprinterinnen«<br />

gelte: »Einmal gedopt<br />

gleich immer gedopt«, so Franke. Die<br />

Virilisierung mit männlichen Hormonen<br />

halte ein Leben lang.<br />

Doch die Bestmarken von einst haben<br />

weiter Bestand. Das habe vor allem juristische<br />

Gründe, sagt der ehemalige DLV-<br />

Präsident Prokop: »Die möglichen Dopingverstöße<br />

sind verjährt, es gibt keine<br />

Rechtsgrundlage, um die Namen aus den<br />

Listen zu streichen.« 2017 war Prokop, 61,<br />

Mitglied einer Arbeitsgruppe im europäischen<br />

Verband EAA, in der unter anderem<br />

über die Einführung neuer Rekordlisten<br />

ab einem zu bestimmenden Stichjahr, etwa<br />

1991, diskutiert wurde. Die Ergebnisse sollten<br />

dann dem Weltverband präsentiert<br />

werden, doch das Projekt kam ins Stocken.<br />

Die IAAF verweist auf Nachfrage an die<br />

EAA, dort gibt es keine klare Auskunft.<br />

<strong>Der</strong> DLV wiederum scheint derzeit kein<br />

Interesse zu haben, tätig zu werden, trotz<br />

der belasteten deutschen Geschichte. Man<br />

müsse das »konzertiert« machen, sagt Präsident<br />

Kessing und sieht zunächst die internationalen<br />

Verbände in der Pflicht.<br />

Kessing und Prokop sitzen wiederum zusammen<br />

im Aufsichtsrat der Berlin Leichtathletik-EM<br />

<strong>2018</strong> GmbH, kurz BEM <strong>2018</strong>,<br />

der Organisation hinter der EM. Auch für<br />

das Protokoll zeichnet sich BEM <strong>2018</strong> verantwortlich,<br />

etwa für die Liste mit den Ehrengästen.<br />

Darauf stehen laut Aussage eines<br />

BEM-<strong>2018</strong>-Sprechers: Koch. Göhr. Wöckel.<br />

Drechsler. Vier aus der Bestenliste vor Lückenkemper.<br />

Doping bekämpfer wie Ines<br />

Geipel, Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins<br />

und selbst Geschädigte des DDR-<br />

Systems, erhielten keine Einladung. Für Forscher<br />

Franke ist das vor allem eins: »Eine<br />

scheinheilige Show krimineller Taten!«<br />

Gina Lückenkemper möchte sich dazu<br />

nicht äußern. Sie will lieber laufen. Sauber.<br />

Thilo Neumann<br />

DER SPIEGEL Nr. <strong>32</strong> / 4. 8. <strong>2018</strong><br />

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