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CRESCENDO 6/18 Oktober-November 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Teodor Currentzis, Evgeny Kissin, Adele Neuhauser, Danil Trifonov und Robin Ticciati.

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„MEINE STIMME<br />

IST MEIN ZUHAUSE“<br />

Der Countertenor Yaniv d’Or ist ein feinsinniger Exot in der Welt der Klassik. Nun erscheint<br />

sein neues Album „Exaltation“ als Höhepunkt einer außergewöhnlichen Trilogie.<br />

VON DOROTHEA WALCHSHÄUSL<br />

Yaniv d’Or hat lange nach seiner Heimat gesucht. Er hat sie<br />

in sich selbst gefunden. Und zählt heute zu den spannendsten,<br />

ungewöhnlichsten Künstlern seines Fachs. Der<br />

Countertenor kam 1975 in Holon in Israel auf die Welt<br />

und fand über das Klavier zur Musik. Später entdeckte er die polyfone<br />

Kirchenmusik für sich und die großen klassischen Komponisten.<br />

„Auf der Highschool hatte ich Musik als Schwerpunkt und<br />

habe Mahler kennengelernt, Wagner, Händel und Monteverdi … Es<br />

war eine Offenbarung“, erzählt er. Doch bald schon fiel seine außergewöhnliche<br />

Stimme auf: füllig, kraftvoll, ein Countertenor, der mit<br />

sattem Vibrato und eindringlicher Dynamik die ganze Gefühlspalette<br />

ausdeuten kann. D’Ors Stimme hat wenig gemein mit der<br />

schlanken, schwebenden Eleganz mancher seiner Stimmfachkollegen.<br />

Bei ihm ist immer der ganze Körper spürbar. Und bis heute<br />

schwingt eine gewisse Wildheit mit. Was ihm während seines Studiums<br />

an der Guildhall School of Music and Drama in London durchaus<br />

Probleme bereitete. „Ich war immer ein wenig Außenseiter“,<br />

sagt Yaniv d’Or. Harte Kämpfe habe er fechten müssen, um sich<br />

selbst treu zu bleiben. „Keiner wusste, in welche Schublade er mich<br />

stecken soll“, erinnert sich d’Or. „Für einen Opernsänger habe ich<br />

mich zu sehr für traditionelles Liedgut interessiert, für Barockmusik<br />

zu viel Vibrato genommen. Es war ein langer Weg. Heute aber<br />

fühle ich mich komplett und frei. Meine Stimme ist mein Zuhause.“<br />

Meist ist Yaniv d’Or auf den Opernbühnen dieser Welt zu erleben<br />

– als Rinaldo, Giulio Cesare, Orfeo. Auf seinen Alben spürt der<br />

43-Jährige das musikalische Erbe seiner Vorfahren auf, mischt alte<br />

mit neuen Klängen und komponiert auch selbst. D’Or nennt diese<br />

Mixtur „Folk Barock“, und auch sein neuestes Album „Exaltation“<br />

zeugt davon. Es ist nach „Liquefacta Est“ und „Latino-Ladino“ der<br />

Abschluss einer Trilogie, auf der er die unterschiedlichen musikalischen<br />

Traditionen der drei monotheistischen Religionen erkundet.<br />

Hier wird er zum Brückenbauer, der da Gemeinsamkeiten aufzeigt,<br />

wo andere Grenzen ziehen – musikalisch wie menschlich. „Ich will<br />

kein Klischee auftischen. Aber es gibt so viel Tumult, Ausgrenzung<br />

und Angst in unserer Welt. Dabei ist für jeden Platz. Wir alle wollen<br />

gehört werden. Wir alle sehnen uns nach Liebe.“ Mit seiner Musik<br />

deutet Yaniv d’Or dieses urmenschliche Streben klangsinnlich aus,<br />

begleitet von seinem Ensemble NAYA, das mit klassischen und orientalischen<br />

Instrumenten aus Ost und West Klangfarben mischt.<br />

Unter „Exaltation“ versteht d’Or einen Zustand vollkommener<br />

Einheit. „Momente, in denen man sich verbunden fühlt mit der<br />

Welt, entspannt, ruhig, friedfertig, ganz bei sich und zugleich weit<br />

weg.“ Er selbst erreiche diesen Zustand immer wieder auf der<br />

Bühne: „Ich schlüpfe komplett in eine Rolle, ich werde die Person,<br />

die ich singe. Distanziert singen kann ich nicht“, stellt er fest. Es<br />

müsse auch gar nicht alles korrekt und exakt sein.<br />

Stattdessen sei das Singen für ihn ein Zustand,<br />

„der Körper und Seele gleichermaßen packt“.<br />

Dann fühlt Yaniv d’Or sich ganz zu Hause. ■<br />

„Exaltation“, Yaniv d’Or & Ensemble Naya (Naxos)<br />

FOTO: RONEN ACKERMANN<br />

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