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CRESCENDO 6/18 Oktober-November 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Teodor Currentzis, Evgeny Kissin, Adele Neuhauser, Danil Trifonov und Robin Ticciati.

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Interviews unter anderem mit Teodor Currentzis, Evgeny Kissin, Adele Neuhauser, Danil Trifonov und Robin Ticciati.

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O P U S K L A S S I K<br />

INSTRUMENTALISTIN<br />

AKKORDEON<br />

BACH,<br />

SO<br />

UNTER-<br />

HALTSAM<br />

WIE<br />

KLUG<br />

In ihrer neuen Einspielung<br />

widmet sich<br />

die Akkordeonspielerin<br />

MIE MIKI<br />

dem Wohltemperierten Klavier<br />

SINFONISCHE EINSPIELUNG | MUSIK 20. / 21. JH.<br />

INNIGE BESCHREIBUNG<br />

UNSERER WELT<br />

MARIN ALSOP und das Baltimore Symphony Orchestra<br />

spielen für Naxos die ersten beiden Bernstein-Sinfonien ein.<br />

Natürlich, eine Amerikanerin!<br />

Wer sonst, wenn nicht<br />

die wohl bekannteste Schülerin<br />

Leonard Bernsteins,<br />

sollte sich – pünktlich zu seinem<br />

100. Geburtstag – seiner<br />

Sinfonien annehmen?<br />

Gemeinsam mit ihrem Baltimore<br />

Symphony Orchestra<br />

tut Marin Alsop das mit<br />

einer so unglaublich hautnahen<br />

und fast schon verstörenden<br />

Kraft und katapultiert<br />

die Sinfonien Nr. 1 und 2<br />

als Spiegelbild in unsere verrückte<br />

Gegenwart.<br />

Es ist im Jubeljahr weitgehend<br />

verpasst worden, Leonard Bernstein<br />

abseits von Candide und West Side Story noch<br />

einmal neu zu entdecken. Aber gerade das<br />

lohnt sich. Denn hier ist ein Komponist zu<br />

hören, der nicht allein an die leidenschaftliche<br />

Größe der Musik als gesellschaftliche<br />

Kraft glaubte, sondern – mit allen Mitteln der<br />

Moderne gewaschen – auch an die Möglichkeit,<br />

die eigene Zeit zu beschreiben und sie<br />

vielleicht zum Besseren zu wenden.<br />

FOTO: GRANT LEIGHTO<br />

In beiden Sinfonien geht<br />

es Bernstein um das Verschwinden<br />

von Glaubensgrundsätzen<br />

und Hoff -<br />

nung. Eine Tendenz, die<br />

bis heute anhält. Was er<br />

dem entgegenzusetzen<br />

hat, verdeutlichen Alsop<br />

und ihr Orchester in ihrer<br />

eindringlichen Interpretation.<br />

In seiner ersten, der<br />

Jeremiah Sinfonie, hören<br />

wir, gespickt mit zahlreichen<br />

Anleihen an die<br />

jüdische Musiktradition,<br />

ein inbrünstiges Klagen<br />

über den Verfall der<br />

Moral, in der Zweiten Sinfonie, dem „Zeitalter<br />

der Angst“, bezieht sich Bernstein auf ein<br />

Gedicht von W. H. Auden: auch hier Musik<br />

der Klage, Elemente des Jazz und eindringliche<br />

Leidenschaft. Ein Maskenball führt uns<br />

unsere Welt vor Augen, in dem die Angst<br />

regiert und die Verstellung zur Tugend<br />

geworden ist. Trouvaillen der Kammermusik,<br />

die durchaus für sinnliche Begeisterung sorgen<br />

können.<br />

FOTO: MARCO BORGGREVE<br />

Die japanische Akkordeon-Professorin an<br />

der Folkwang-Hochschule, Mie Miki, kennt<br />

keine Grenzen innerhalb der Musik: Sie hat<br />

bereits ein Album mit japanischen Komponisten<br />

für ihr Instrument vorgestellt, nun<br />

betritt sie die ehrwürdige Halle europäisch-klassischer<br />

Urkultur und nimmt sich,<br />

wie schon viele vor ihr, Bachs Wohltemperiertes<br />

Klavier vor (nachdem sie für das<br />

Label BIS bereits Bachs Italienisches Konzert<br />

eingespielt hat).<br />

Noch eine Adaption des Meisterwerkes,<br />

möchte man meinen, aber Mie<br />

Miki ist mit allen Wassern gewaschen und<br />

vermag es, das komplexe harmonische<br />

Konstrukt, Fugen und Partitas, mit dem<br />

Wissen um die Musikgeschichte in die<br />

Dimension der Unterhaltung zu transponieren,<br />

ohne dass ihrer Musik ein Quäntchen<br />

an Ernsthaftigkeit abgeht. Zu jeder<br />

Zeit scheint die Virtuosin genau zu wissen,<br />

was sie tut und vor allen Dingen, was sie<br />

sagen will. Spielfreudig, technisch brillant<br />

und vollkommen entstaubt setzt sie ihr<br />

„wohltemperiertes Akkordeon“ in Szene,<br />

nicht als „altes Testament“ der Musikgeschichte,<br />

sondern als gegenwärtige, aktuelle,<br />

hautnahe Musik, die den Zuhörer<br />

unmittelbar berührt und sofort mitreißt.<br />

NACHWUCHSKÜNSTLERIN | FLÖTE<br />

EINLADUNG IN DIE MUSIK<br />

Die Flötistin KATHRIN CHRISTIANS zeigt ihre technische Vielfalt<br />

in Werken von Feld, Weinberg und Theodorakis.<br />

Man könnte die Geschichte der jungen Flötistin<br />

Kathrin Christians als Geschichte einer<br />

Kämpferin beschreiben: Musikerkarriere,<br />

früher Schlaganfall, Rehabilitation<br />

– und Auferstehung.<br />

Aber so sehr man ihren mu -<br />

tigen und kraftvollen, le -<br />

bens bejahenden Weg würdigen<br />

will, so sehr lohnt es<br />

sich, jenseits dieser Ge -<br />

schichte auf ihr Spiel zu achten.<br />

In ihrer Interpretation<br />

der Con certi von Jindřich<br />

Feld und Mieczysław Weinberg,<br />

zweier zutiefst individuellen<br />

und eigensinnigen<br />

Kom ponisten des 20. Jahrhunderts,<br />

lässt Christians,<br />

ge meinsam mit dem Württembergischen<br />

Kammerorchester<br />

Heilbronn unter Leitung von Ruben<br />

Gazarian, in tiefster Intimität das Verwunderliche<br />

und Wunderbare aufleuchten.<br />

FOTO: JANINE KÜHN<br />

Ebenso wie sie im kurzen Adagio von Mikis<br />

Theodorakis pure, melancholische Lebensfreude<br />

versprüht. Das Bestechende an dieser<br />

Einspielung ist Christians’<br />

Kunst der Nähe. In jedem<br />

Werk vermittelt sie eine<br />

Einladung an den Zuhörer,<br />

sich ge meinsam mit ihr in<br />

der Musik zu bewegen.<br />

Sie selbst bezeichnet<br />

Felds Concerto als Paradebeispiel<br />

für ein zu Unrecht vergessenes<br />

Meisterwerk des<br />

20. Jahrhunderts: Es steht in<br />

der klassi schen Tradition,<br />

spielt gleichsam mit dem<br />

Seriellen und be wegt sich so<br />

zwischen Rückschau und<br />

Zu kunft. Christians be weist<br />

hier ihr spieltechnisch vielfältiges<br />

Können und changiert souverän zwischen<br />

Klarheit und ei genem rauschhaften<br />

Interpretationsansatz.<br />

60 w w w . c r e s c e n d o . d e — Verlags-Sonderveröffentlichung zum OPUS KLASSIK 20<strong>18</strong>

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