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CRESCENDO 6/18 Oktober-November 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Teodor Currentzis, Evgeny Kissin, Adele Neuhauser, Danil Trifonov und Robin Ticciati.

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O P U S K L A S S I K<br />

WOHER KOMMT<br />

EIGENTLICH …<br />

… „Opus“ ?<br />

VON STEFAN SELL<br />

Franz Schubert, der seinen Erlkönig<br />

rückwirkend zum Opus 1 deklarierte<br />

Manchmal macht man sich viel<br />

Arbeit und nichts kommt dabei<br />

herum. Umso größer die Freude,<br />

wenn etwas dabei herumkommt,<br />

die Arbeit ein Ergebnis erzielt. Dann ist es<br />

ein Werk, ein Opus. Ob „opusculum“ oder<br />

„opus magnum“, ob also klein oder groß –<br />

mit Opus ist immer ein Werk gemeint, ein<br />

Kunstwerk, ein Bauwerk, ein literarisches<br />

oder eben: ein musikalisches Werk.<br />

Im Jahr 1537 veröffentlichte der aus<br />

Hamburg stammende Musiktheoretiker<br />

Nicolas Listenius mit seiner Musiklehre<br />

„Musica“ eine Art Handbuch für Komponisten<br />

und wertete den Komponisten gegenüber<br />

dem Interpreten auf. Vorher waren beide<br />

ebenbürtig gewesen, die „musica practica“ bezeichnete das praktische<br />

Tun, sowohl in der Komposition als auch in der Vortragskunst.<br />

Tonsetzer wie Tonkünstler, Komponisten wie Ausführende standen<br />

sich in nichts nach, oft genug waren sie ein und dieselbe Person.<br />

Doch während die Vortragskunst ein flüchtiges Element ist, bleibt<br />

eine Komposition für die Ewigkeit. Listenius brachte hierfür erstmals<br />

die „musica poetica“ ins Spiel: Aus der künstlerischen Arbeit<br />

eines Tonsetzers sollte ein „opus perfectum et absolutum“ resultieren,<br />

ein perfektes und endgültiges Werk, das als „opus consumatum<br />

et effectum“ vollendet über seinen Schöpfer hinauswirkt. Leicht<br />

ließe sich nun hinter „poetica“ das Poetische vermuten. Allein:<br />

„poetica“ bezieht sich auf die poetische Wissenschaft des Aristoteles,<br />

in der es darum geht, etwas zu „machen“, das bleibt, schwarz auf<br />

weiß. „Denn was man schwarz auf weiß besitzt“, meldet der Schüler<br />

in Goethes Faust, „kann man getrost nach Hause tragen.“ Ein<br />

schriftlich niedergelegtes und gedrucktes Werk kann von Nachfolgenden<br />

immer wieder aufgeführt und interpretiert werden.<br />

Apropos Druck: Man stelle sich den Druck vor, unter dem ein<br />

Komponist steht, schweißgebadet vor dem leeren Blatt Papier sitzend,<br />

gleich beim ersten Werk sich als Titan zu erweisen. Eine Reihe<br />

bekannter Komponisten hat daher rückwirkend reiferen Werken<br />

das Etikett „op. 1“ verliehen. Als Franz Schubert, damals gerade <strong>18</strong>,<br />

an einem einzigen Tag seinen Erlkönig komponierte, hatte er sich<br />

mit Gretchen am Spinnrade (op. 2) und Schäfers Klagelied (op. 3.1)<br />

schon warmgeschrieben. Dennoch, op. 1 wurde der Erlkönig. Beethoven<br />

hat gleich drei Klaviertrios zu seinem op. 1 gemacht, obwohl<br />

seine erste Publikation die Figaro-Variationen<br />

waren, heute „WoO 40“, ein „Werk ohne<br />

Opuszahl“. Mehrere Werke unter ein und<br />

derselben Opuszahl veröffentlichte auch<br />

Corelli. Sein op. 1 besteht aus zwölf Kirchensonaten,<br />

1681 der schwedischen Königin<br />

zugeeignet. Händels op. 1 sind gar 20 höchst<br />

virtuos zu spielende Sonaten – ob sie alle seinem<br />

Kopfe entsprungen sind, darüber streitet<br />

die Fachwelt. Beide zählen zu den ersten,<br />

die mit Opuszahlen operierten. César Franck<br />

übrigens, der gerne als Nachfolger Beethovens<br />

gehandelt wurde, übernahm Beethovens<br />

Idee, drei Klaviertrios in den op.-1-Stand zu<br />

erheben, obwohl auch er vorher schon anderes<br />

komponiert hatte.<br />

Wichtig wurden Opuszahlen, als die Musikverleger mitmischten.<br />

Was nicht bedeuten musste, dass ein Werk, das gleichermaßen<br />

in London wie in Wien erschien, auch dieselbe Opuszahl trug. Verleger<br />

griffen auch gerne zu hohen Opuszahlen, zeugten die doch<br />

von einem gereiften Komponisten und vor allem: von frischer Ware.<br />

Das Durcheinander zu beheben, machten sich die Verzeichnisse zur<br />

Aufgabe. Schuberts op. 1 ist im Deutsch-Verzeichnis Nr. 328. Vater<br />

Leopold Mozart legte bereits 1768 für die Werke seines Sohnes „ein<br />

Verzeichnisz alles desjenigen was dieser 12jährige Knab seit seinem<br />

7ten jahre componiert und in originali kann aufgezeiget werden“.<br />

Sohn Mozart schrieb 1784 eigenhändig ein „Verzeichnüss aller meiner<br />

Werke“, das natürlich nicht alle seine Werke beinhaltete.<br />

Was Listenius nicht wissen konnte: Seit es Tonträger gibt, verewigen<br />

sich auch die Interpreten. Mit jedem neuen Silberling hinterlassen<br />

sie ein Opus. Sie stehen heute in vorderster Reihe und auf<br />

dem Podest, und damit höher als der Komponist. Die Vortragskunst<br />

nannte Listenius übrigens „musica modulatoria“. Um sie zu<br />

ehren, wird nun also in der Nachfolge des ECHO KLASSIK der<br />

OPUS KLASSIK verliehen. Was wäre, wenn der taufrische Preis<br />

sich der „musica practica“ erinnern würde und, unabhängig von<br />

Verkaufszahlen, den Interpreten wie den Komponisten gleichermaßen<br />

schätzend, die Chance nutzen würde, sich weiter zu öffnen?<br />

Um in Zukunft neben lebenden Interpreten vielleicht auch lebende<br />

Komponisten zu ehren? „When we all give the power, we all give the<br />

best (…) Then it’s live, live is life!“ sang, über alle Grenzen hinweg,<br />

1985 eine österreichische Band. Ihr Name: „Opus“. ■<br />

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