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CRESCENDO 6/18 Oktober-November 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Teodor Currentzis, Evgeny Kissin, Adele Neuhauser, Danil Trifonov und Robin Ticciati.

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Interviews unter anderem mit Teodor Currentzis, Evgeny Kissin, Adele Neuhauser, Danil Trifonov und Robin Ticciati.

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H Ö R E N & S E H E N<br />

Empfehlungen von Attila Csampai<br />

MUSIK IN FESSELNDEN<br />

INTERPRETATIONEN<br />

… bringt unser Chefrezensent für den Herbst.<br />

ANTON ZIMMERMANN: SYMPHONIES<br />

l’arte del mondo, Werner Ehrhardt<br />

(Deutsche Harmonia Mundi)<br />

Anton Zimmermann (1741–1781) stammte<br />

aus Schlesien und war einer der innovativsten<br />

Köpfe der Wiener Vorklassik. In Pressburg<br />

formte er die Hofkapelle des ungarischen<br />

Fürst erzbischofs Graf Batthányi zu einem der besten Orchester<br />

Europas. Fast 300 Werke sind von ihm überliefert, darunter 40<br />

Sinfonien. Einige davon wurden sogar Joseph Haydn zugeschrieben.<br />

Jetzt hat einer der großen Pioniere der deutschen Originalklangszene,<br />

Werner Ehrhardt, dieses vergessene Genie wiederentdeckt<br />

und mit seinem 2005 gegründeten Ensemble l’arte del<br />

mondo drei seiner spektakulärsten Sinfonien als Weltpremiere<br />

eingespielt. Alle drei Arbeiten ragen wie Unikate eines geradezu<br />

rebellischen Erfindungsreichtums und wie schrille Alarmglocken<br />

einer entfesselten Sturm-und-Drang-Motorik aus dem Mainstream<br />

der höfisch-diskreten frühen Klassik. Sie lassen uns ahnen,<br />

welche unglaublichen kreativen Kräfte in jenen Jahren des<br />

Umbruchs auch im Umfeld Haydns und Mozarts am Werk waren:<br />

Die drei Sinfonien strotzen vor neuen Ideen, stilistischen und formalen<br />

Experimenten und weisen in ihrer Dramatik und in der<br />

Vielfalt kontrastierender Tonfälle weit in die Zukunft. Ehrhardt<br />

und seine hochmotivierte 25-köpfige Truppe legen sich energisch<br />

und lustvoll ins Zeug, um uns den revolutionären Puls dieser<br />

Musik unmittelbar erleben zu lassen.<br />

IN TIME – MENDELSSOHN: VIOLIN CONCERTO<br />

Chouchane Siranossian, Anima Eterna Brugge,<br />

Jakob Lehmann (Alpha)<br />

Kaum ein Geiger von Rang ließ Mendelssohns<br />

Violinkonzert links liegen: Die Diskografie<br />

quillt schier über und ist gespickt mit zeitlosen<br />

Referenzen wie Heifetz, Milstein und anderen. Trotzdem gelingt<br />

es jungen Interpreten immer wieder, dieses Gipfelwerk des Genres<br />

neu zu beleben und ihm neue Facetten abzugewinnen, wie jetzt<br />

der exzellenten französischen Geigerin Chouchane Siranossian.<br />

Sie hat dieses reife Opus Mendelssohns in der seltenen Erstfassung<br />

von <strong>18</strong>44 und „historisch orientiert“ eingespielt. Das lässt dessen<br />

lyrischen, märchenhaft-schwebenden Grundcharakter viel deutlicher<br />

hervortreten als die bisher dominierenden virtuosen Lesarten.<br />

Ihr vibratoarmes, mit Flageoletts und feinen Portamenti<br />

durchsetztes Spiel wirkt auf eine charmante Weise altmodisch und<br />

empfindsam und zugleich ungemein frisch, beseelt und impulsiv.<br />

Mit dem ähnlich befreit und knackig aufspielenden Solistenkollektiv<br />

von Anima Eterna Brugge verstrickt Siranossian sich in<br />

wunderbar fließende und pulsierende Dialoge. Das enorme dramatische<br />

und spirituelle Potenzial dieses Engelsgesangs blüht in<br />

seiner „keuschen“ Schönheit neu auf. Im anschließenden Es-Dur<br />

Oktett des 16-jährigen Mendelssohn fügt Siranossian sich perfekt<br />

ein in die ähnlich impulsreiche und lebendige Interaktion von sieben<br />

Topsolisten des Anima Eterna Orchesters.<br />

PICTURES AT AN EXHIBITION<br />

Fauré Quartett (Berlin Classics)<br />

Die weltweite Popularität von Mussorgskys<br />

Klavierzyklus Bilder einer Ausstellung verdankt<br />

sich auch der Orchesterversion, die Maurice<br />

Ravel 1922 im Auftrag Sergei Kussewizkis<br />

anfertigte: Seither konnte sich keine weitere<br />

Bearbeitung daran messen. Jetzt aber, fast 100 Jahre später, hat das<br />

weltweit renommierte Fauré Quartett dieses Evergreen in einer<br />

neuen Version für Klavierquartett eingespielt. Dirk Mommertz,<br />

der Pianist des Ensembles, richtete es mit seinem russischen Kollegen<br />

Grigory Gruzman ein. Den beiden gelang damit ein überzeugender<br />

Coup, der dem arg strapazierten Opus neue, starke,<br />

authentisch anmutende Profile abtrotzt. Sie kultivieren eine wieder<br />

auf die russischen Wurzeln des Werks zielende Lesart und setzen<br />

sich klar und entschieden von Ravels französischem Klangzauber<br />

ab. Durch ihre betont energische, ja geradezu dramatische<br />

Interpretation unterstreichen die vier Topmusiker die Absicht der<br />

Bearbeiter, den dunkel-bodenständigen Charakter und die Modernität<br />

des Originals auf das um drei Streicher erweiterte Klangspektrum<br />

zu übertragen. So erfährt Mussorgskys Klaviersatz eine märchenhaft-verwunschene,<br />

fast gespenstische Verdichtung. Man<br />

spürt die dunklen Zauberkräfte alter russischer Mythen. Sugges-<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

28 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Oktober</strong> – <strong>November</strong> 20<strong>18</strong>

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