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CRESCENDO 6/18 Oktober-November 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Teodor Currentzis, Evgeny Kissin, Adele Neuhauser, Danil Trifonov und Robin Ticciati.

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Interviews unter anderem mit Teodor Currentzis, Evgeny Kissin, Adele Neuhauser, Danil Trifonov und Robin Ticciati.

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O P U S K L A S S I K<br />

KONZERTEINSPIELUNG | MUSIK 19. JH.<br />

ROMANTISCHER NEBEL IN LICHT GETAUCHT<br />

TATJANA RUHLAND betritt mit den Flötenwerken von Carl Reinecke einen vergessenen Ort der Romantik.<br />

„Das Flötenkonzert von Carl Reinecke ist das<br />

Konzert, das Schumann nie schrieb.“ So sieht es<br />

die Flötistin Tatjana Ruhland. In ihrer mit dem<br />

OPUS KLASSIK ausgezeichneten Aufnahme<br />

betritt sie, wie es ein Kritiker sagte, „lost<br />

spaces“ der Musik: Orte, die lange nicht besucht<br />

wurden, an denen sich der romantische Nebel<br />

niedergelassen hat und an denen Ruhland nun<br />

nach neuen Lichtstrahlen sucht. Genau dafür<br />

bieten sich die Flötenkonzerte von Carl Reinecke<br />

an. Der Musiker, der <strong>18</strong>42 in Hamburg geboren<br />

wurde, war in Leipzig, in Paris, in Bremen und<br />

Breslau tätig, traf die größten Musiker seiner<br />

Zeit wie Hector Berlioz, Felix Mendelssohn<br />

Bartholdy oder Robert Schumann. Reinecke<br />

stellte sich bewusst in ihre Tradition: „Ich<br />

würde mich nicht wehren, wenn man mich<br />

einen Epigonen nennt“, sagte er einmal.<br />

Gemeinsam mit dem Radio-Sinfonieorchester<br />

Stuttgart unter Alexander Liebreich interpretiert<br />

Ruhland seine Musik, die sie als „hochromantisch“<br />

und „zu Herzen gehend“<br />

beschreibt, mit ungestillter Sehnsucht,<br />

mit dunkler Freude am Abgrund und<br />

gleichsam lichtdurchflutet. „Die<br />

bescheidene, feinsinnige Persönlichkeit<br />

des Komponisten drückt<br />

sich besonders in seinen tiefgründigen<br />

und virtuosen Werken<br />

für die filigrane Querflöte<br />

aus“, findet Reinecke. Und so<br />

hört sich ihre Interpretation<br />

auch an: wie eine leidenschaftliche<br />

Liebeserklärung<br />

und das vorsichtige, aber<br />

bestimmte Betreten eines<br />

verlorenen Ortes der<br />

Mu sikgeschichte, der in<br />

Zu kunft auch durch diese<br />

Aufnahme si cherlich wieder<br />

öf ter besucht werden<br />

wird.<br />

FOTO: MARCO BORGGREVE<br />

KAMMERMUSIKEINSPIELUNG | MUSIK 19. JH. / GEM. ENSEMBLE<br />

DIE ANDERE SEITE DES HERRN WITTE<br />

Das MOZART PIANO QUARTET entdeckt den Musikmanager Georg Hendrik Witte<br />

als romantischen Kammermusik-Komponisten.<br />

Es gibt Musiker, deren Werk in der Ge -<br />

schichte schnell vergessen wird, weil sie<br />

auch andere große Dinge geleistet haben<br />

oder weil ihr Handeln zuweilen politisch<br />

umstritten war. Georg Hendrik Witte ist<br />

einer dieser Menschen: Sein Ruhm basiert<br />

darauf, den Musikverein Essen groß gemacht<br />

zu haben. Während der Industriellen Revolution<br />

lockte Witte Brahms nach Essen, gründete<br />

ein Orchester, errichtete einen neuen<br />

Saal, der in Anwesenheit von Richard Strauss<br />

eingeweiht wurde. Vergessen wurde darüber<br />

oft Wittes eigenes kompositorisches Werk.<br />

Das Mozart Piano Quartet hat sich nun<br />

für MDG mit Freunden zusammengetan und<br />

Wittes Kammermusik ausgegraben, sein Klavierquartett<br />

und das Hornquintett – zwei<br />

Werke aus der Leipziger Frühzeit des Komponisten.<br />

Beide Stücke sind Weltersteinspielungen,<br />

und der romantische Sog, den sie<br />

entfalten, ist großartig: Erfindungsreichtum,<br />

große Melodien, dramatische Momente,<br />

aber immer auch versteckter Humor und<br />

lyrische Passagen.<br />

Anders als in Wittes Violinkonzert wird<br />

in seiner Kammermusik der romantische<br />

Duktus im Dialogischen deutlich. Für das<br />

Mozart Piano Quartet und seine musikalischen<br />

Mitstreiter scheint der vielfältige<br />

Klangkosmos, den Witte entstehen lässt,<br />

der eigentliche Kern zu sein. Sie lassen einen<br />

Komponisten hören, der mitten in seiner<br />

Zeit steht, unterschiedliche Strömungen<br />

miteinander verbindet und in seinem<br />

Abwechslungsreichtum eine mehr als spannende<br />

Entdeckung darstellt.<br />

FOTO: MOZART PIANO QUARTET<br />

62 w w w . c r e s c e n d o . d e — Verlags-Sonderveröffentlichung zum OPUS KLASSIK 20<strong>18</strong>

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