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CRESCENDO 6/18 Oktober-November 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Teodor Currentzis, Evgeny Kissin, Adele Neuhauser, Danil Trifonov und Robin Ticciati.

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Interviews unter anderem mit Teodor Currentzis, Evgeny Kissin, Adele Neuhauser, Danil Trifonov und Robin Ticciati.

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E R L E B E N<br />

100 JAHRE<br />

FRAUENWAHLRECHT<br />

Mit der Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts für Frauen wurde ein<br />

Meilenstein in der Geschichte der deutschen Demokratie errungen.<br />

VON RUTH RENÉE REIF<br />

Seit 100 Jahren können Frauen in<br />

Deutschland wählen und gewählt werden.<br />

Anlass genug für ein Festkonzert. Nicht<br />

nur in die Politik fanden Frauen erst nach<br />

zähem Ringen Eingang. Auch in der<br />

Musik wollte man lange nichts von komponierenden,<br />

dirigierenden oder regieführenden<br />

Frauen wissen. Das 19. Jahrhundert<br />

ließ alle Hoffnungen der Französischen<br />

Revolution und der Aufklärung<br />

schwinden. Richard Wagner teilte Liszt<br />

<strong>18</strong>52 in einem Brief mit, er habe mit der<br />

Gestalt der Ortrud im Lohengrin eine<br />

Figur zeichnen wollen, „die Liebe nicht<br />

kennt. Hiermit ist alles, und das Furchtbarste<br />

gesagt. Ihr Wesen ist Politik. Ein<br />

politischer Mann ist widerlich; ein politisches<br />

Weib aber grauenhaft. Diese Grauenhaftigkeit<br />

hatte ich darzustellen“.<br />

Bereits im Jahr zuvor äußerte der<br />

Philosoph Arthur Schopenhauer in seinem<br />

Text Über die Weiber die Überzeugung,<br />

sie seien „weder zu geistiger noch<br />

zu körperlicher Leistung fähig“, sondern ihrer „Natur nach zum<br />

Gehorchen bestimmt“. Anschauungen wie diese schufen das geistige<br />

Klima, in dem Frauen von öffentlichen Tätigkeiten ausgeschlossen<br />

waren, nicht Mitglieder einer politischen Vereinigung werden<br />

durften und auch nicht das Recht hatten, sich politisch zu äußern.<br />

Hatte der Sozialkritiker der Aufklärung, Theodor Gottlieb von Hippel,<br />

1792 in seiner Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber<br />

noch eine Befreiung durch Erziehung verlangt, die Frauen voll<br />

in die bürgerlichen Rechte und Verantwortlichkeiten einsetzen<br />

würde, wiesen die Denker des 19. Jahrhunderts dies empört zurück.<br />

„Unser Staat ist männlichen Geschlechts“, erklärte der Kulturhistoriker<br />

Wilhelm Heinrich Riehl <strong>18</strong>55. Auch der Rechtswissenschaftler<br />

Johann Caspar Bluntschli bezeichnete im Deutschen Staatswörterbuch<br />

die unmittelbare Teilnahme an den Staatsgeschäften als<br />

unweiblich, für den Staat gefährlich und für Frauen verderblich. Die<br />

Parlamentarier in der Frankfurter Nationalversammlung warfen<br />

die Frage der Frauenrechte gar nicht erst auf.<br />

Dennoch gab es zahllose Bestrebungen, eine Frauenrechtsbewegung<br />

ins Leben zu rufen. Auch Frauen aus adeligen und bürgerlichen<br />

Kreisen suchten die Beteiligung am öffentlichen Leben. Bettina<br />

von Arnim etwa, die Schwester des Dichters<br />

Clemens von Brentano und Ehefrau von<br />

Achim von Arnim, wollte Teil sein von allem,<br />

„was mit mir auf dieser Welt ist“. Nach dem Tod<br />

ihres Mannes setzte sie sich für die Beseitigung<br />

Titel der Festschrift zum Internationalen<br />

Frauentag 1913 der Wiener Werkstätten-<br />

Künstlerin Marianne Saxl-Deutsch<br />

FESTKONZERT „STARKE FRAUEN“<br />

Am 11. <strong>November</strong> in der<br />

Münchner Philharmonie<br />

Informationen und Kartenservice:<br />

www.musikerlebnis.de<br />

der Elendsviertel in Berlin ein. Ihre ausführlichen<br />

Schilderungen der Not der<br />

Arbeitslosen, die sie unter dem Titel Dies<br />

Buch gehört dem Könige an Friedrich Wilhelm<br />

IV. richtete, wurden jedoch beschlagnahmt.<br />

Die soziale Spaltung der Gesellschaft<br />

erschwerte es bürgerlichen und sozialdemokratischen<br />

Frauenverbänden, sich gemeinsam<br />

für die politische Teilhabe einzusetzen.<br />

Clara Zetkin und Rosa Luxemburg<br />

ging es um Klassenkampf und die proletarischen<br />

Frauen. An eine Gemeinschaft<br />

aller Frauen glaubten sie nicht. Erst als der<br />

deutsche Kaiser 1917 mitten im Krieg eine<br />

Wahlrechtsreform anstrebte, die Frauenforderungen<br />

aber ignorierte, kam es zu<br />

einem Zusammenschluss bürgerlicher und<br />

sozialistischer Aktivistinnen.<br />

Im <strong>Oktober</strong> 19<strong>18</strong> forderten 58 deutsche<br />

Frauenorganisationen in einem gemeinsamen<br />

Schreiben das allgemeine<br />

Wahlrecht. Die dichte zeitliche Abfolge, in<br />

der hernach alles wie auf einmal erfolgte, die militärische Niederlage,<br />

die <strong>November</strong>revolution, die Ausrufung der Republik und die<br />

große Wahlrechtsreform, mag dazu beigetragen haben, den Krieg<br />

als Vater des Frauenwahlrechts erscheinen zu lassen. Ausgeblendet<br />

wurden der mühselige Weg dahin und die Bedeutung all der Frauenverbände,<br />

die vor dem Krieg aktiv waren. Den deutschen Historikern<br />

war das Frauenwahlrecht allenfalls eine Erwähnung wert. Tatsächlich<br />

bildeten die Frauen eine der wenigen Gruppen, die über<br />

viele Jahrzehnte für ihr Wahlrecht kämpften, und zwar europaweit.<br />

So kam es, dass von 1906 bis 1932 rund 40 Staaten das Frauenwahlrecht<br />

einführten. In Deutschland erhielten die Frauen am 12.<br />

<strong>November</strong> 19<strong>18</strong> das Wahlrecht. Am 30. <strong>November</strong> wurde es in der<br />

Weimarer Verfassung verankert: „Frauen und Männer haben<br />

grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“<br />

Die Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung am 19.<br />

Januar 1919 war die erste, an der Frauen als Wählerinnen und<br />

Gewählte teilnahmen. Über 80 Prozent der wahlberechtigten<br />

Frauen gaben ihre Stimme ab.<br />

„Starke Frauen“ ist das Festkonzert zum Jubiläum in der Münchner<br />

Philharmonie überschrieben. Ein Frauenorchester mit Musikerinnen<br />

der großen Münchner Klangkörper<br />

spielt unter der Leitung von Kristiina Poska<br />

Kompositionen von Sofia Gubaidulina, Clara<br />

Schumann und der wiederentdeckten Emilie<br />

Mayer. Solistin am Klavier ist Lauma Skride.n<br />

48 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Oktober</strong> – <strong>November</strong> 20<strong>18</strong>

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