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CRESCENDO 6/18 Oktober-November 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Teodor Currentzis, Evgeny Kissin, Adele Neuhauser, Danil Trifonov und Robin Ticciati.

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H Ö R E N & S E H E N<br />

Unerhörtes & neu Entdecktes<br />

von Christoph Schlüren<br />

DIE SINFONISCHE STIMME<br />

ASERBAIDSCHANS<br />

Einfachheit und subtile Vielschichtigkeit kennzeichnen die Klangwelt Kara Karajews,<br />

dessen Geburtstag sich zum 100. Mal jährt.<br />

Kara Karajew war im 20. Jahrhundert der bedeutendste Komponist<br />

Aserbaidschans und der erste, der international<br />

Erfolg hatte. Sein Tod 1982 in Moskau markiert das Ende<br />

einer Ära in der aserbaidschanischen Musikgeschichte. Als<br />

sich am 5. Februar sein Geburtstag zum 100. Mal jährte, wurde dies<br />

in seiner Geburtsstadt Baku ausgiebig gefeiert. Hierzulande taucht<br />

das zarte und elegische Œuvre Karajews allerdings nur höchst vereinzelt<br />

im Konzertleben und auf dem Tonträgermarkt auf.<br />

Drei Musikerpersönlichkeiten waren es, die die Entwicklung<br />

Kara Karajews entscheidend prägten. Üseir Gadschibekow (<strong>18</strong>85–<br />

1948), der große Volksmusiksammler und -arrangeur, machte Karajew<br />

während seines Studiums am Konservatorium in Baku mit den<br />

Grundlagen der aserbaidschanischen Musik vertraut. Zum sinfonischen<br />

Baumeister stieg Karajew unter dem Einfluss von Dmitri<br />

Schostakowitsch auf, bei dem er in den 1940er-Jahren am Moskauer<br />

Konservatorium seine Studien fortsetzte und der ihm ein lebenslanger<br />

Freund und Förderer seiner Musik blieb. Und eine stilistische<br />

Erneuerung löste 1961 während seiner Reise in die USA die Begegnung<br />

mit Igor Strawinsky aus: In seiner Dritten Sinfonie (1965) und<br />

in dem auch von Gidon Kremer aufgenommenen Violinkonzert<br />

(1967) war Karajew einer der ersten Komponisten der Sowjetunion,<br />

der das Verfahren der Zwölfton-Reihentechnik anwendete. Doch<br />

wie fern von Trockenheit und Grau-in-Grau-Dissonanz<br />

ist diese Musik, die mit gesanglicher Intuition<br />

herrlich verschränkte Dreiklangsbildungen überlagert<br />

und mit einem bestechenden Sinn für Klang und<br />

Zusammenhang fesselt!<br />

Die berühmtesten und populärsten<br />

Werke Kara Karajews entstanden ab 1947,<br />

beginnend mit der dramatischen sinfonischen<br />

Dichtung Leila und Madschnun<br />

nach der legendären Liebesgeschichte, die<br />

zahlreiche Poeten und Komponisten inspirierte.<br />

Karajews Schaffen steigerte sich<br />

fortan zu den suggestiven Tongemälden<br />

und Tänzen der Ballette Die sieben Schönheiten<br />

(1949) nach Motiven des persischen<br />

Dichters Nezāmi und Der Pfad des Donners<br />

(1957). Mit der kompakten Gegenüberstellung<br />

der Charaktere in den sinfonischen Gravuren Don Quixote<br />

(1960) erreichte Karajew schließlich einen Gipfel zugleich einfacher<br />

und höchst raffiniert ausgearbeiteter sinfonischer Konturierung.<br />

Das Schönste gibt Karajew in den von der aserbaidschanischen<br />

Volksmusik mystisch gefärbten, unverkennbar orientalischen und<br />

von tiefer Empfindung und transzendenter Feinstrukturierung zeugenden<br />

langsamen Sätzen. Wenige Komponisten verstanden sich<br />

auf die hohe Kunst, mit wenigen Noten so viel auszudrücken wie<br />

Karajew etwa im Wiegenlied seines Balletts Pfad des Donners oder<br />

im Adagio des Balletts Sieben Schönheiten. Ähnlich wie bei seinem<br />

großen armenischen Zeitgenossen Arno Babadschanjan geht es um<br />

maximale Einfachheit auf der Grundlage subtiler Vielschichtigkeit.<br />

Er schafft damit einen bewussten Gegenentwurf zur Komplexität<br />

der westlichen Moderne.<br />

Karajews Orchestermusik ist auf drei CDs bei Naxos dokumentiert.<br />

Was noch aussteht, ist die Zweite Sinfonie. Mit dem Pianisten<br />

Murad Huseynov und dem Violinisten Vadim Repin brachte<br />

Toccata Classics Aufnahmen von Sonaten und Präludien heraus,<br />

darunter auch die herausragende Violinsonate aus dem Jahr 1960.<br />

Einsteigern in das Werk Karajews sei die Aufnahme der Pianistin<br />

Elnara Ismailova ans Herz gelegt. Ismailova spielt die herrlichen<br />

Klavierstücke charakterstark ein, und die 24 Präludien packen den<br />

Hörer mit unvorhersehbarem Abwechslungsreichtum<br />

und durchgehender Substanz. Ismailova versteht die<br />

über einen Zeitraum von zehn Jahren entstandenen<br />

Präludien als ein musikalisches Tagebuch zum übrigen<br />

Schaffen Karajews. „Es ist mir ein großes Herzensanliegen“,<br />

bekennt sie im Booklet, „diese 24 Präludien den<br />

Pianisten in Europa, auf der ganzen Welt als<br />

eine Bereicherung ihres Repertoires zu empfehlen.“<br />

Kara Karayev: „Symphony No 1, Violin Concerto“, Janna Gandelman,<br />

Kiev Virtuosi Symphony Orchestra, Dmitry Yablonsky (Naxos)<br />

Kara Karayev: „The Seven Beauties, The Path of Thunder“, Royal<br />

Philharmonic Orchestra, Dmitry Yablonsky (Naxos)<br />

Gara Garayev: „Sonata for Violin and Piano, 24 Preludes for<br />

Piano“, Vadim Repin, Murad Huseynov (Toccata Classics)<br />

Kara Karayev: „24 Preludes, Six Pieces for Children, The Statue of Tsarskoe Selo, Three<br />

Piano Arrangements from: Don Quixotte, Nos 1, 4 & 5“, Elnara Ismailova (CAvi)<br />

36 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Oktober</strong> – <strong>November</strong> 20<strong>18</strong>

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