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CRESCENDO 6/18 Oktober-November 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Teodor Currentzis, Evgeny Kissin, Adele Neuhauser, Danil Trifonov und Robin Ticciati.

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Interviews unter anderem mit Teodor Currentzis, Evgeny Kissin, Adele Neuhauser, Danil Trifonov und Robin Ticciati.

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K Ü N S T L E R<br />

ALICE<br />

SARA<br />

OTT<br />

„Musik ist nicht<br />

immer nur schön!“<br />

VON BARBARA SCHULZ<br />

FOTO: ESTER HAASE<br />

Es ist diese magische Stunde, wenn Tag und Nacht sich treffen<br />

und eins werden, der die Pianistin Alice Sara Ott ihr neues<br />

Programm widmet. Weil sie wie keine andere Licht und<br />

Schatten der menschlichen Seele beleuchtet.<br />

crescendo: Das Thema „Nightfall“ ist eine Plattform für einerseits<br />

sehr romantische Musik, andererseits aber macht sie uns<br />

die Endlichkeit sehr bewusst. Sind Sie dafür nicht zu jung?<br />

Alice Sara Ott: Interessant ist ja, dass viele Komponisten in meinem<br />

Alter schon gestorben waren. Und haben trotzdem Werke hinterlassen,<br />

die in die Abgründe der menschlichen Seele blicken. Und<br />

gerade mit diesem Thema, glaube ich, hat man sich in meinem<br />

Alter schon auseinandergesetzt. Ich würde mich selbst als sehr<br />

hellen, optimistischen Charakter beschreiben. Fühle mich aber<br />

immer auch zur dunklen Seite hingezogen. Diese Zwiespältigkeit<br />

der Menschen fasziniert mich von jeher. Es geht um die Momente,<br />

wo sich Grenzen verwischen, wo man nicht mehr sagen kann, das<br />

ist gut, und das ist böse. Es ist auch die Stunde am Tag, die ich am<br />

interessantesten und mysteriösesten finde.<br />

Die Kompositionen sind sehr filigran …<br />

Ja, einerseits. Es gibt aber auch extrem raue und fast schon brutale<br />

und schmerzhafte Seiten in dieser Musik, gerade im Gaspard de la<br />

Nuit. Es hat viel Finesse. Debussy, der Meister der Klangfarben – er<br />

ist für mich wie Monet: Auf den ersten Blick ist alles wunderschön<br />

und harmonisch, aus der Nähe werden die Makel sichtbar. Debussy<br />

ist genauso. Alles klingt so harmlos, aber es ist teilweise grotesk.<br />

Claire de Lune zum Beispiel. Irgendwie hab ich immer gefühlt, dass<br />

es nicht nur so schön ist, wie es scheint. Und tatsächlich: Es handelt<br />

sich ja um eine Hommage an das Gedicht von Paul Verlaine: Die<br />

Menschen singen von Glück und Lebensfreude, hinter der Maske<br />

aber verbergen sich Schmerz und Ängste.<br />

Sie haben einmal gesagt, Sie würden alles, was Sie fühlen, durch<br />

die Musik fühlen. Was macht so ein Programm mit Ihnen?<br />

Tatsächlich war diese Vorbereitungszeit eine sehr düstere Zeit, in<br />

vielerlei Hinsicht. Es heißt ja oft, dass Musik Trost spendet und<br />

beruhigt. Das ist nicht immer so. Gerade, wenn man eine schmerzhafte<br />

oder traurige Erfahrung gemacht hat, kann Musik einen das<br />

noch viel tiefer empfinden lassen. Musik ist also nicht immer nur<br />

schön, sondern hat schmerzhafte und raue Seiten. Auch ich musste<br />

mich Dämonen stellen, denen ich sonst aus dem Weg gehe.<br />

Sie haben mit Ravel, Debussy und Satie drei Komponisten<br />

gewählt, die eine Ära geprägt haben. Spüren Sie die unterschiedlichen<br />

Charaktere und Befindlichkeiten in der Musik?<br />

Ja, aber ich denke während des Spielens nicht mehr drüber nach.<br />

Ich hab mich natürlich mit den Charakteren auseinandergesetzt,<br />

als ich die Stücke gelernt habe. Die drei sind sehr verschieden und<br />

haben einen ganz unterschiedlichen Kompositionsstil. Und<br />

dennoch: Gerade in diesem Thema gibt es einen großen gemeinsamen<br />

Nenner.<br />

Weist „Nightfall“ ein wenig in die Richtung, in die die Marke<br />

Alice Sara Ott gehen soll?<br />

Nein, für mich sind solche Aufgaben und Projekte nur das<br />

Festhalten eines Moments, der mir sehr wichtig ist. Aber dann gehe<br />

ich auch weiter. Deshalb höre ich mir auch nie meine alten<br />

Aufnahmen an. Das ist für mich dann Vergangenheit. Und ich<br />

schaue ungern in die Vergangenheit zurück. Aber ja, ich denke<br />

jetzt mehr über jeden Schritt nach. Ich bin ja auch kein Newcomer<br />

mehr. In meinem Alter überlegt man noch, was einen ausmacht,<br />

worüber man sich definiert und womit man sich identifiziert.<br />

Sie sind gerade 30 geworden. Kommen Sie langsam an?<br />

Ich weiß nicht, ob ich mich schon zu 100 Prozent gefunden habe.<br />

Als Musiker ist man doch immer auf der Suche.<br />

Es heißt, Sie hätten großen Respekt vor Mozart. Ravel, Debussy,<br />

Satie fallen leichter?<br />

Ich finde leichter Eintritt in ihre Welt. Mit ihnen fühle ich mich<br />

nicht so nackt auf der Bühne. Bei Mozart habe ich das Gefühl, dass<br />

ich in einem Spiegelraum spiele, in dem mich jeder beobachtet. Ich<br />

schätze seine Musik unglaublich und habe schon so viele Konzerte<br />

und Aufnahmen erlebt, wo es so klingt, wie es sein muss. Und<br />

dann setze ich mich hin und denke: Nein, so darf es nicht sein.<br />

Gab es denn eine größte Herausforderung für Sie bei diesem<br />

Programm?<br />

Gaspard de la Nuit ist auf alle Fälle eine sehr große Herausforderung.<br />

Aber eigentlich: alles. Die Stimmungen, die Struktur. Das ist<br />

es ja meistens. Ich würde generell nicht sagen, dass das eine Stück<br />

leichter ist als das andere. Das gilt für alles, was<br />

ich bisher gespielt habe. Jedes ist eine Herausforderung.<br />

Es ist geniale Musik. Muss es ja sein. ■<br />

Claude Debussy, Erik Satie, Maurice Ravel: „Nightfall“, Alice Sara Ott<br />

(Deutsche Grammophon)<br />

24 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Oktober</strong> – <strong>November</strong> 20<strong>18</strong>

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