CRESCENDO 6/18 Oktober-November 2018

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E R L E B E N 100 JAHRE FRAUENWAHLRECHT Mit der Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts für Frauen wurde ein Meilenstein in der Geschichte der deutschen Demokratie errungen. VON RUTH RENÉE REIF Seit 100 Jahren können Frauen in Deutschland wählen und gewählt werden. Anlass genug für ein Festkonzert. Nicht nur in die Politik fanden Frauen erst nach zähem Ringen Eingang. Auch in der Musik wollte man lange nichts von komponierenden, dirigierenden oder regieführenden Frauen wissen. Das 19. Jahrhundert ließ alle Hoffnungen der Französischen Revolution und der Aufklärung schwinden. Richard Wagner teilte Liszt 1852 in einem Brief mit, er habe mit der Gestalt der Ortrud im Lohengrin eine Figur zeichnen wollen, „die Liebe nicht kennt. Hiermit ist alles, und das Furchtbarste gesagt. Ihr Wesen ist Politik. Ein politischer Mann ist widerlich; ein politisches Weib aber grauenhaft. Diese Grauenhaftigkeit hatte ich darzustellen“. Bereits im Jahr zuvor äußerte der Philosoph Arthur Schopenhauer in seinem Text Über die Weiber die Überzeugung, sie seien „weder zu geistiger noch zu körperlicher Leistung fähig“, sondern ihrer „Natur nach zum Gehorchen bestimmt“. Anschauungen wie diese schufen das geistige Klima, in dem Frauen von öffentlichen Tätigkeiten ausgeschlossen waren, nicht Mitglieder einer politischen Vereinigung werden durften und auch nicht das Recht hatten, sich politisch zu äußern. Hatte der Sozialkritiker der Aufklärung, Theodor Gottlieb von Hippel, 1792 in seiner Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber noch eine Befreiung durch Erziehung verlangt, die Frauen voll in die bürgerlichen Rechte und Verantwortlichkeiten einsetzen würde, wiesen die Denker des 19. Jahrhunderts dies empört zurück. „Unser Staat ist männlichen Geschlechts“, erklärte der Kulturhistoriker Wilhelm Heinrich Riehl 1855. Auch der Rechtswissenschaftler Johann Caspar Bluntschli bezeichnete im Deutschen Staatswörterbuch die unmittelbare Teilnahme an den Staatsgeschäften als unweiblich, für den Staat gefährlich und für Frauen verderblich. Die Parlamentarier in der Frankfurter Nationalversammlung warfen die Frage der Frauenrechte gar nicht erst auf. Dennoch gab es zahllose Bestrebungen, eine Frauenrechtsbewegung ins Leben zu rufen. Auch Frauen aus adeligen und bürgerlichen Kreisen suchten die Beteiligung am öffentlichen Leben. Bettina von Arnim etwa, die Schwester des Dichters Clemens von Brentano und Ehefrau von Achim von Arnim, wollte Teil sein von allem, „was mit mir auf dieser Welt ist“. Nach dem Tod ihres Mannes setzte sie sich für die Beseitigung Titel der Festschrift zum Internationalen Frauentag 1913 der Wiener Werkstätten- Künstlerin Marianne Saxl-Deutsch FESTKONZERT „STARKE FRAUEN“ Am 11. November in der Münchner Philharmonie Informationen und Kartenservice: www.musikerlebnis.de der Elendsviertel in Berlin ein. Ihre ausführlichen Schilderungen der Not der Arbeitslosen, die sie unter dem Titel Dies Buch gehört dem Könige an Friedrich Wilhelm IV. richtete, wurden jedoch beschlagnahmt. Die soziale Spaltung der Gesellschaft erschwerte es bürgerlichen und sozialdemokratischen Frauenverbänden, sich gemeinsam für die politische Teilhabe einzusetzen. Clara Zetkin und Rosa Luxemburg ging es um Klassenkampf und die proletarischen Frauen. An eine Gemeinschaft aller Frauen glaubten sie nicht. Erst als der deutsche Kaiser 1917 mitten im Krieg eine Wahlrechtsreform anstrebte, die Frauenforderungen aber ignorierte, kam es zu einem Zusammenschluss bürgerlicher und sozialistischer Aktivistinnen. Im Oktober 1918 forderten 58 deutsche Frauenorganisationen in einem gemeinsamen Schreiben das allgemeine Wahlrecht. Die dichte zeitliche Abfolge, in der hernach alles wie auf einmal erfolgte, die militärische Niederlage, die Novemberrevolution, die Ausrufung der Republik und die große Wahlrechtsreform, mag dazu beigetragen haben, den Krieg als Vater des Frauenwahlrechts erscheinen zu lassen. Ausgeblendet wurden der mühselige Weg dahin und die Bedeutung all der Frauenverbände, die vor dem Krieg aktiv waren. Den deutschen Historikern war das Frauenwahlrecht allenfalls eine Erwähnung wert. Tatsächlich bildeten die Frauen eine der wenigen Gruppen, die über viele Jahrzehnte für ihr Wahlrecht kämpften, und zwar europaweit. So kam es, dass von 1906 bis 1932 rund 40 Staaten das Frauenwahlrecht einführten. In Deutschland erhielten die Frauen am 12. November 1918 das Wahlrecht. Am 30. November wurde es in der Weimarer Verfassung verankert: „Frauen und Männer haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“ Die Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919 war die erste, an der Frauen als Wählerinnen und Gewählte teilnahmen. Über 80 Prozent der wahlberechtigten Frauen gaben ihre Stimme ab. „Starke Frauen“ ist das Festkonzert zum Jubiläum in der Münchner Philharmonie überschrieben. Ein Frauenorchester mit Musikerinnen der großen Münchner Klangkörper spielt unter der Leitung von Kristiina Poska Kompositionen von Sofia Gubaidulina, Clara Schumann und der wiederentdeckten Emilie Mayer. Solistin am Klavier ist Lauma Skride.n 48 w w w . c r e s c e n d o . d e — Oktober – November 2018
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