Nr. 78 - Frühling 2021

ROMANBIOGRAFIE
Madame Curie und die Kraft zu träumen
Susanna Leonard, Ullstein, 400 Seiten, ISBN 978-3548063867.
Paris, 1891. Schon als Kind träumt Marie davon, eines Tages der Enge ihrer von Russland
besetzten polnischen Heimat zu entfliehen. 20 Jahre später erfüllt sich dieser Traum: Marie darf
an der Sorbonne studieren. Dafür musste sie hart kämpfen, denn eine Frau ist in der Welt der
Wissenschaft nicht gern gesehen. Doch Marie weiß, was sie will. Trotz aller Anfeindungen stürzt
sie sich in die Forschung – und ins Leben. Als sie dem charmanten Physiker Pierre Curie begegnet,
ist ihr Glück perfekt. Pierre wird ihre große Liebe, eine Liebe, die ihresgleichen sucht. Mit Pierre
erzielt sie bahnbrechende Erfolge. Doch der Preis dafür ist hoch, und Marie ahnt nicht, welche
tragischen Schicksalsschläge das Leben noch für sie bereithält … Die Autorin, Susanna Leonard,
wuchs in Karlsruhe und in Paris auf. Ihre Bewunderung für mutige Frauen und ihre Liebe zu Paris
brachten sie auf die Idee, einen Roman über eine der bekanntesten Persönlichkeiten, die in Paris
gewirkt haben, zu schreiben: Marie Curie. Mit der Veröffentlichung dieses Buches geht für die Autorin ein
Herzenswunsch in Erfüllung.
ROMAN
Ich, Antoine
Julie Estève, Originaltitel: Simple, übersetzt von Christian
Kolb, Dtv, 224 Seiten, ISBN 978-3423282710.
Dieser Roman ist die Geschichte eines Ravi de la crèche, wie man
in der Provence sagt, beziehungsweise eines Baoul auf Korsisch,
denn auf dieser Insel spielt der Roman. Anders gesagt handelt es
sich um einen « einfachen » Menschen – simple, wie der Titel der
französischen Ausgabe –, grausamere Menschen würden vielleicht
auch « Idiot » sagen. Normalerweise beachtet man so jemanden gar
nicht. Es ist ein Antiheld par excellence. Die Autorin, Julie Estève,
stellt jedoch gerade eine solche Person in den Mittelpunkt ihres
wunderschönen und äußerst menschlichen zweiten Romans. Sie
beginnt damit, dass sie demjenigen, den alle nur Baoul nennen,
einen Namen gibt: Antoine. Und Antoine erlebt ein Drama: Er wird
im Dorf zu Unrecht des Mordes an einem jungen Mädchen namens
Florence beschuldigt. Es ist naheliegend, dass ihn das zutiefst
erschüttert. Der Mann beginnt nun, ein seltsames Verhalten an den
Tag zu legen: Er spricht mit Bäumen und
sogar mit seinem Stuhl, den er immer
mit sich trägt. Das reicht, damit die
meisten Dorfbewohner ihn endgültig
für verrückt halten. Doch Julie Estève
zeigt uns gekonnt, dass diejenigen,
die Antoine wirklich beobachten,
einen zutiefst anziehenden Menschen
entdecken, der das Opfer vieler
Grausamkeiten ist. Ein erschütternder
und gleichzeitig hoffnungsvoller
Roman, der noch dazu eine
humorvolle Seite hat. Sehr schönes
Lesevergnügen!
ROMAN - PRIX GONCOURT 2018
Wie später
ihre Kinder
Nicolas Mathieu, Originaltitel:
Leurs enfants après eux,
übersetzt von Lena Müller
und André Hansen, Piper
Verlag, 448 Seiten, ISBN
978-3492315753. Erscheint
am 6. April 2021.
August 1992. Ein Ort
im Osten Frankreichs.
Stillgelegte Industrie.
Ein See, ein heißer Nachmittag. Anthony ist
vierzehn Jahre alt. Gemeinsam mit seinem
Cousin beschließt er aus Langeweile, ein Kanu
zu stehlen, um zu einem geheimen Badestrand
zu fahren. Es ist der Beginn der ersten Liebe und
eines schicksalhaften Sommers – das Drama des
Lebens nimmt seinen Lauf. Diesen Roman, der
2018 in Frankreich erschien, stellten wir Ihnen in
Frankreich erleben Nr. 69 vor. Er hat die Franzosen
vor allem deshalb geprägt, weil er von einem oft
unbekannten Frankreich erzählt. Von Menschen,
die keine Helden sind, die ein scheinbar
banales Leben führen, das dennoch seine
außergewöhnliche Seite hat. Nicolas Mathieu
deckt diese Seite auf, und dabei gelingt ihm genau
das, was große Schriftsteller auszeichnet: die
Leser ansprechen, sie berühren, ihnen das Gefühl
vermitteln, dass sie gerade ihre eigene Geschichte
lesen. Ein überaus verdienter Prix Goncourt!
Frankreich erleben · Frühling 2021 · 13