Nr. 78 - Frühling 2021
Hauts-de-France: musikalische Waldbäder Loire-Tal: im Reich der Blumenkönigin Burgund: ein essbarer Wald Nouvelle-Aquitaine: der Nabel der Welt Provence: die 27100 Jahre alte Hand eines Künstlers Alexandre Dumas: Wie der Vater, der Sohn Chantals Rezept: Crème catalane Produkt: Le parapluie de Cherbourg
Hauts-de-France: musikalische Waldbäder
Loire-Tal: im Reich der Blumenkönigin
Burgund: ein essbarer Wald
Nouvelle-Aquitaine: der Nabel der Welt
Provence: die 27100 Jahre alte Hand eines Künstlers
Alexandre Dumas: Wie der Vater, der Sohn
Chantals Rezept: Crème catalane
Produkt: Le parapluie de Cherbourg
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Es ist unbestritten, dass der Comic sich in<br />
Frankreich zu einem eigenständigen Medium<br />
entwickelt hat. Immer mehr engagierte Alben<br />
entstehen durch die Zusammenarbeit von<br />
Zeichnern und Journalisten, die nicht zögern,<br />
heikle Themen anzusprechen, die von den<br />
klassischen Medien nur selten aufgegriffen<br />
werden. Nach dem Skandal der Grünalgen in<br />
der Bretagne, der in Algues vertes l’histoire<br />
interdite (siehe Frankreich erleben <strong>Nr</strong>. 72)<br />
angeprangert wurde, stellen wir Ihnen nun<br />
Cent mille ans: Bure ou le scandale enfoui des<br />
déchets nucléaires vor. Auch dieser Comic<br />
basiert auf gut belegten Tatsachen. Er fordert<br />
zum Nachdenken über eines der größten<br />
Industrieprojekte Europas auf: Der französische<br />
Staat will nämlich ein riesiges unterirdisches<br />
Endlager in Form von 265 Kilometer langen<br />
unterirdischen Stollen bauen, in denen<br />
radio aktive Abfälle des Hexagons für die<br />
nächsten 100 000 Jahre gelagert werden<br />
sollen. Der Comic hinterfragt auf sehr lehrreiche<br />
Art die Maßlosigkeit, die sowohl hinter dem<br />
gigantischen Bauvorhaben als auch hinter dem<br />
politischen Entscheidungsprozess steht.<br />
Bis zur Stunde wird dort noch kein<br />
Atommüll gelagert, es gibt lediglich ein Forschungslabor,<br />
das in den 2000-er Jahren gebaut wurde.<br />
Doch dieses gigantische Projekt erschüttert<br />
bereits das Departement Meuse.<br />
Französische Journalisten wissen nur zu gut, dass alle<br />
Themen rund um Atomstrom und Atomindustrie zu<br />
den heikelsten und komplexesten gehören. Das liegt<br />
unter anderem daran, dass dieser Sektor sich – wie in vielen<br />
anderen Ländern auch – jahrzehntelang in einen Mantel<br />
des Schweigens hüllte. Unter dem Vorwand « nationaler<br />
strategischer Interessen », der « Landesverteidigung » oder<br />
auch von « Betriebsgeheimnissen » war der Zugang zu Informationen<br />
durch die diversen Akteure der Branche –<br />
vorneweg der Staat – genau geregelt – wenn nicht sogar<br />
unterbunden. Heute hat sich die Situation glücklicherweise<br />
verbessert. Die öffentliche Meinung lässt sich immer<br />
weniger mit diesem Schweigen abspeisen, sondern fordert<br />
mehr und mehr Aufklärung über die strategischen Entscheidungen,<br />
vor allem, wenn diese Weichen für die Zukunft<br />
stellen. Unter ihrem Druck halten sich die Medien in<br />
Frankreich heute gegenüber Staat und Akteuren der Branche<br />
auch mit unangenehmen Fragen nicht mehr zurück.<br />
Obwohl es also inzwischen möglich ist, über das Thema zu<br />
schreiben, so ist der Zugang zu bestimmten Informationen<br />
bei Weitem noch nicht einfach. Eingefahrene Gewohnheiten<br />
und ein gewisser « Geheimniskult » halten sich offenbar<br />
hartnäckig …<br />
In diesem Kontext leistet der Comic Cent mille ans:<br />
Bure ou le scandale enfoui des déchets nucléaires einen sehr<br />
interessanten Beitrag, denn es handelt sich dabei um<br />
echte journalistische Arbeit. Gaspard d’Allens und Pierre<br />
Bonneau sind nämlich Journalisten. Für ihre Recherchen<br />
verbrachten sie zwischen 2016 und 2018 zwei Jahre<br />
in Bure (Meuse), genau dort, wo der Staat das Endlager<br />
baut. Ein solcher Zeitaufwand, den traditionelle Medien<br />
ihren Reportern kaum ermöglichen können, scheint für<br />
einen Comic offensichtlich realisierbar zu sein. Derartig<br />
lange Recherchen sind zwar selten, in diesem Fall aber<br />
unerlässlich. Und offensichtlich ermöglicht das Medium<br />
« Comic » Autoren auch eine wohltuende Freiheit in ihren<br />
Äußerungen, das spürt man beim Lesen sofort. Während<br />
klassische Medien meist von Aktionären oder öffentlichen<br />
Unterstützungen abhängig sind, ist der Comicverleger<br />
– in diesem Fall La Revue dessinée gemeinsam mit Seuil<br />
– unabhängig. Nichts hindert einen solchen Verlag also<br />
daran, eine engagierte Arbeit zu veröffentlichen. Gleich<br />
am Anfang erfährt der Leser, dass die Autoren « auf der<br />
Seite der Gegner gekämpft haben und demnach für einen<br />
immersiven und engagierten Journalismus stehen » und<br />
dass « ihre Informationen daher nicht weniger verlässlich,<br />
Frankreich erleben · <strong>Frühling</strong> <strong>2021</strong> · 79