10 - Digitale Bibliothek Braunschweig
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224 Jahre lang bis 1569 der Stadt <strong>Braunschweig</strong> überlassen war. Als Herzog Heinrich<br />
der Jüngere gegen Zahlung des Pfandschillings den Gerichtsbezirk bei der Stadt <strong>Braunschweig</strong><br />
einlösen wollte. lehnte diese die Rückgabe ab. Es kam zum Prozeß beim Reichskammergericht.<br />
das aber keine Entscheidung fällte. Heinrich der Jüngere verstarb. und<br />
erst Herzog Julius erwarb den Bezirk zurück. Die Stadt hatte behauptet. der Bezirk<br />
wäre nicht verpfändet gewesen und wäre ihr .Eigen" geworden.<br />
Ende des Jahres 1961 erschien Band 42 des B rau n s c h w e i gis ehe n J a h rb<br />
u c h s im vermehrten Umfang von 184 Seiten.<br />
Den ersten Vortrag Im neuen Jahr hielt Dozent Heinrich K e une - Giclde am 12.<br />
Januar 1962. Er behandelte das Thema "Vom alten Dorf zur landgemeinde. Ober die<br />
inneren Wandlungen ostfälischer Dörfer." (484. Sitzung):<br />
Das 20. Jahrhundert ist das Zeitalter größter Völkerwanderungen. Das Durcheinandergewürfeltwerden<br />
der Menschen in unserer Zeit läßt leicht eine große Wanderung<br />
ganz anderer Art in Mitteleuropa übersehen. die seit mehr als hundert Jahren einen<br />
bedeutenden soziologischen Wandel zur Folge hatte. nämlich die Umwandlung der Bevölkerung<br />
von der alten Agrargesellschaft zur modernen industriellen Massengesellschaft.<br />
Seit dem Anfang des vorigen Jahrhunderts sind einzelne Personen oder auch einzelne<br />
Familien aus ihren .. Urheimaten" in den Dörfern aufgebrochen und haben sich<br />
in größeren Wohngebieten 2'U neuen Gesellschaften formiert. Vor 1800 lebten mehr als<br />
80 Prozent der Menschen in Räumen. die auch ihre Vorfahren schon viele Jahrhunderte<br />
vorher ständig bewohnt hatten. Bei vielen alteingesessenen Familien unseres<br />
Gebietes kann man annehmen, daß ihre Blutlinien bis in germanische Zeiten zurückgehen.<br />
Größere Störungen durch Massenzuwanderung sind bei uns seit der Völkerwanderung<br />
nicht zu erkennen.<br />
Untersucht man diese alte Gesellschaft, so stellt m:m fest, daß mehr als 75 Prozent<br />
der Menschen in den Dörfern und zugleich mit der Nachbarschaft verwandt sind. Von<br />
erheblicher Bedeutung, ja geradezu die Grundlage des Zusammenlebens der Menschen,<br />
ist das Wissen um das Verwandtsein. Selbst das Geschichtsbewußtsein vollzieht sidt im<br />
Denken in Generationen, wobei bemerkt werden muß, daß unsere Vorfahren buchstäblich<br />
bis in das siebente Glied zurückdenken. Verwandtsdtaften erkennen konnten und<br />
sie audt pflegten. Wer nicht zu dieser Urverwandtschaft gehörte, blieb ein Fremder.<br />
Die Bindungen untereinander wurden noch verstärkt durch die Einheitlichkeit des<br />
Berufs. nämlich dem des landwirts. der alle anderen Berufe beherrschte. Heimtskreise<br />
und damit Schichtungen in der Bevölkerung sind kaum vorhanden. So finden wir Söhne<br />
und Töchter von größeren und großen Höfen audt auf kleineren und kleinsten wieder.<br />
Hier wirkte sich das unerbittliche Gesetz aus. daß im allgemeinen nur der heiraten<br />
konnte. der in eine Haus- oder HofsteIle einheiratete. Ehepartner wurden nach uralten<br />
Gesetzen von den Eltern und der Verwandtschaft bestimmt. Das Wissen um das<br />
Verwandtsein im alten Bauerntum trug alle alten Gesellschaftsformen. Sie fanden ihren<br />
Ausdruck in Sitte und Brauchtum. in Feiern und Festen. in Kleidung und Tracht. im<br />
einheitlichen Hausbau. im Erziehungswesen (das ganze Dorf erzog die Jugend), in<br />
Kirche und Schule, in der Bewahrung der Mundart und im Festhalten an vielen althergebrachten<br />
Formen. Nur diese Gesellschaft konnte auch eine echte Gemeinschaft entwickeln,<br />
von der man noch <strong>10</strong>0 Jahre später träumte. Die Romantik, mit der die Ausgewanderten<br />
diese ländliche Welt umgaben. hatte hier ihre tiefsten Grundlagen. Die<br />
Sehnsucht nach der alten Heimat hat eine Fülle von schöpferischen Werken auf vielen<br />
Gebieten (u. a. auch Volkslieder) hervorgcbracht.<br />
Das 19. Jahrhundert ist die revolutionäre Zeit des Dorfes. Mit dem Ablösen der<br />
alten lasten und Dienste kommt der landwirt zum Bewußtsein des Eigentums. Bis zu<br />
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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />
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