Die radikalste Veränderung seit dem 2. Weltkrieg Von Jan Stephan 10 <strong>WIKO</strong> Ausgabe <strong>2022</strong>
Just zum Jubiläum stehen die beiden wichtigsten Branchen des Landkreises vor gewaltigen Veränderungen. Die Automobilzuliefer-Industrie muss sich neu erfinden und die Kunststoffbranche kämpft mit einem Imageproblem. Was bedeutet das <strong>für</strong> die Region? Tourismus, Automobilindustrie, Kunststoff <strong>–</strong> die Schwerpunktbranchen des Landkreises. So hat man sich das unter Landrat Franz Xaver Uhl 2010 ins Zukunftskonzept geschrieben. Schauen wir uns die Sache mit ein paar Jahren Abstand an. Die Tourismusbranche liegt nach dem Center-Parcs-Debakel in Trümmern. Die Automobilindustrie schafft sich in Teilen selbst ab. Der Kunststoff gilt als Geißel der Umweltverschmutzung. Noch ist nirgends etwas Schlimmes passiert, aber es riecht in <strong>Altmühlfranken</strong> nach Sturm. Nun muss man deswegen nicht gleich das Landkreis-Jubiläum absagen, aber ein paar Grundüberzeugungen sollten vielleicht doch auf den Prüfstand. Wie so häufig kann man sich im Detail streiten, ob man das Glas mit Blick auf die Landkreis-Zukunft halb voll oder halb leer sieht. Woran man nicht zweifeln sollte: Dieses Glas wird demnächst jemand in die Hand nehmen und es sehr kräftig schütteln. Was <strong>Altmühlfranken</strong> braucht, um gut durch die nächsten zwei Jahrzehnte zu kommen, sind Dinge, <strong>für</strong> die man bislang nicht unbedingt berühmt war: Offenheit, digitale Kompetenz und innovative unternehmerische Ideen. Die Automobilindustrie Wenn die Autoindustrie hustet, hat der Landkreis Lungenentzündung … So geht die lokale Erzählung von der Bedeutung der Branche <strong>für</strong> <strong>Altmühlfranken</strong>. Ein Blick in die Statistik zeichnet ein differenzierteres Bild. Acht der 20 größten Arbeitgeber im Landkreis verdienen ihr Geld überwiegend als Zulieferer der Automobilindustrie. Allein diese acht bringen es auf mehr als 2.100 Arbeitsplätze. Dazu kommen etliche kleinere Firmen sowie eine Vielzahl von Unternehmen, die indirekt an den großen Zulieferern hängen. Vom Recyclingbetrieb über die Zeitarbeitsfirma bis hin zum Kantinenbetreiber. Es gibt also keinen Zweifel, dass die Automobilzulieferindustrie im Landkreis wichtig ist. Aber: Sie war in ihrer Bedeutung <strong>für</strong> Wohl und Wehe des Landstrichs schon wichtiger. Insgesamt gibt es in Weißenburg-Gunzenhausen mehr als 33.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Unter den Top Ten der Arbeitgeber in <strong>Altmühlfranken</strong> finden sich zum Beispiel auch vier Betriebe aus dem sozialen Bereich. Was aber auch zur wirtschaftlichen Wahrheit gehört: Bei den Arbeitsplätzen, die durch die Krise der Automobilindustrie in Gefahr sind, handelt es sich gerade um jene, von denen der Landkreis nicht sonderlich viele hat: gut bezahlte, tariflich abgesicherte Industrie-Jobs in großen Unternehmen. Wenn der deutschen Autoindustrie also der Husten chronisch zu werden droht, muss man sich nach wie vor um die Gesamtkonstitution <strong>Altmühlfranken</strong>s Sorgen machen. Und einen Schatten sieht man auf der Lunge der altmühlfränkischen Zulieferindustrie längst. Unternehmen <strong>–</strong> wie Plastic Omnium, Alfmeier, Nifco, Schaeffler, Gore, Leoni, Oechsler oder RF Plast <strong>–</strong> geraten unter Druck. Und zwar von mehreren Seiten aus. Etwa durch das Ende des Verbrenners. Europa hat die letzte Runde eingeläutet <strong>für</strong> jene Form von Mobilität, die die moderne Welt erst möglich gemacht, sie aber zugleich an die Grenzen ihres Bestehens gebracht hat. Spätestens 2035 sollen nur noch Null-Emissions-Fahrzeuge zugelassen werden. <strong>Das</strong>s dieser Trend kippt, steht nicht zu erwarten. „Es wird in einigen Jahren nicht mehr sinnvoll machbar sein, in Europa Verbrenner-Autos zu erzeugen“, stellt Andreas Gebhardt, CEO bei Alfmeier, klar. Bei dem weltweit agierenden Konzern mit Sitz in Treuchtlingen beurteilt man die Perspektiven der Technologie in anderen Teilen der Erde zwar noch ergebnisoffener, aber in Europa ist das Thema durch. Mit sehr konkreten Folgen <strong>für</strong> Weißenburg-Gunzenhausen. „Ich kann mit großer Sicherheit sagen, dass wir in zehn Jahren in Treuchtlingen keine Kunststoffventile <strong>für</strong> Tanks mehr herstellen werden.“ Logisch, wo<strong>für</strong> auch, wenn es im E-Auto keinen Tank mehr gibt. Und das ist kein Einzelfall. „Allein durch die Anzahl an Teilen, die in einem E-Motor weniger verbaut sind, fallen massiv Zulieferbedarfe weg“, erklärt Dr. Simon Amesöder, Geschäftsführer von RF Plast in Gunzenhausen. „Man sieht das ja ganz deutlich, wenn man mal schaut, was so ein E-Auto eigentlich an Bord hat“, erklärt Gebhardt. „Man hat keinen Motor, keinen Kolben, kein Getriebe, keinen Auspuff …“ Wie schwer diese Entwicklung die hiesigen Zulieferer trifft, hängt davon ab, wie stark sie am Verbrenner-Antrieb hängen. Stoßstangen wie bei Plastic Omnium, Achsmanschetten wie bei Ossberger? Eher kein Problem. Tanks wie bei Alfmeier, spezielle Schrauben <strong>für</strong> den Motorraum wie bei Gutmann Aluminium Draht? Eher schon ein Problem. Aber damit hören die Sorgen der Automobilzulieferer hierzulande nicht auf. „Es gibt einen Trend zur Globalisierung bei der Produktion“, erklärt Amesöder. „<strong>Das</strong> heißt, die Werke, in denen die Autos gebaut werden, stehen nicht mehr unbedingt in Deutschland. Und die fehlende Nähe ist auf Dauer auch ein Faktor, der <strong>für</strong> einen Rückgang sorgen könnte.“ Immerhin gilt es in Zukunft die Lieferwege kurzzuhalten, wenn man CO2-neutral produzieren will. Dazu kommt, dass die Verschiebung der Produktion in einem satten Markt stattfindet. Gebhardt: „Die Frage ist, wie viele zusätzliche Autos verträgt eine Welt mit acht Milliarden Menschen, die erhebliche Umweltprobleme hat? Wie viele Autos mehr kann man denn in die verstopften Metropolen noch hineindrücken?“ Man hört es an der Formulierung: Gebhardt zweifelt. „In der Perspektive wird in dieser Branche kein Wachstum mehr zu machen sein“, erklärt er knapp. „Und unser Wirtschaftsmodell basiert im Moment auf Wachstum. Hat man das nicht, fressen einen die Kosten auf, weil die von ganz allein steigen.“ Hat da gerade einer der größten Automobilzulieferer der Region das Ende der Automobilzuliefer-Industrie vor Ort aus- <strong>Wirtschaftsmagazin</strong> <strong>WIKO</strong> 11