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WIKO 2022 – Das Wirtschaftsmagazin für Altmühlfranken

Der Wirtschaftskompass Altmühlfranken stellt leistungsfähige Unternehmen der Region vor und widmet sich in Reportagen, Interviews und Meinungsbeiträgen der Gegenwart und Zukunft der regionalen Wirtschaftswelt.

Der Wirtschaftskompass Altmühlfranken stellt leistungsfähige Unternehmen der Region vor und widmet sich in Reportagen, Interviews und Meinungsbeiträgen der Gegenwart und Zukunft der regionalen Wirtschaftswelt.

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gerufen? Ja, hat er. Zumindest so, wie<br />

wir sie kennen.<br />

Die Auswirkungen wären <strong>für</strong> die Region<br />

gewaltig. „<strong>Das</strong> ist in unserem Umfeld<br />

wahrscheinlich die radikalste Veränderung,<br />

die wir wirtschaftlich seit<br />

dem Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt<br />

haben“, fasst Gebhardt zusammen.<br />

Auch und vor allem mit Blick darauf,<br />

dass der Tourismus in der Region in<br />

puncto Wertschöpfung und Jobs überschaubar<br />

geblieben ist und dass auch<br />

der Kunststoffbranche aufregende Zeiten<br />

ins Haus stehen. „Wir stehen vor<br />

einem Umbruch, der die nächsten 20<br />

bis 30 Jahre dauern wird.“<br />

<strong>Das</strong> ist die allgemeine Großwetterlage<br />

einer Branche <strong>–</strong> Ausnahmen bestätigen<br />

in diesem Fall die Regel. Bei<br />

Ossberger etwa sieht man die Dinge<br />

gelassener. Was allerdings Produktgründe<br />

hat. <strong>Das</strong> Weißenburger Unternehmen<br />

liefert keine Massenwaren <strong>für</strong><br />

die Automobilindustrie, sondern baut<br />

die Maschinen, mit denen andere Firmen<br />

die Massenware herstellen. Konkret<br />

geht es um Achsmanschetten und<br />

Faltbälge <strong>für</strong> die Ummantelung der<br />

Aufhängungen von Rad, Lenkung und<br />

Stoßdämpfer. Ob das Auto mit Strom<br />

oder Diesel fährt, ist <strong>für</strong> diese Bauteile<br />

egal, Hauptsache, es fährt. Da Ossberger<br />

nicht kontinuierlich viele kleine<br />

Teile, sondern einmal ein sehr großes<br />

liefert, macht man sich auch weniger<br />

Sorgen um die weitere Globalisierung<br />

der Endmontage-Werke. „Unsere Kunden<br />

sitzen überall auf der Welt, wo<br />

wir produzieren, ist nicht so entscheidend“,<br />

stellt Klaus Haub fest, der Leiter<br />

der Abteilung Kunststofftechnik bei<br />

Ossberger. Diese Einschätzung trifft<br />

man allerdings etwas leichter, wenn<br />

man seit fast 40 Jahren Weltmarktführer<br />

mit Technologievorsprung in einer<br />

Nische des Marktes ist.<br />

Anders ist das bei Alfmeier, der mit<br />

einem seiner beiden Hauptgeschäftsfelder<br />

so nah am Verbrenner hängt,<br />

wie es nur geht. Die Entwicklung und<br />

Produktion von Tanksystemen macht<br />

in der neuen, zumindest europäischen<br />

Welt des Verbrenners auf Sicht keinen<br />

Sinn mehr. In Treuchtlingen arbeitet<br />

man daher bereits an der Umstrukturierung<br />

des Geschäftsmodells. Und befindet<br />

sich damit im Windschatten der<br />

Autokonzerne. Die haben selbst schon<br />

lange auf die mittelmäßigen Marktaussichten<br />

reagiert. In Zukunft will man<br />

nicht mehr nur am Verkauf des Autos<br />

verdienen, sondern auch an dessen<br />

Betrieb. Ein Auto der Zukunft könnte<br />

bereits in der Serienausstattung alles<br />

können, nur müssten die einzelnen<br />

Zusatzleistungen per kostenpflichtiger<br />

App-Buchung freigeschaltet werden.<br />

Die Bandbreite reicht dabei vom Kinoprogramm<br />

<strong>für</strong> die Rückbank über<br />

einen speziellen Nebelscheinwerfer<br />

oder die Sitzheizung im Winter bis hin<br />

zur Fähigkeit des autonomen Fahrens.<br />

„<strong>Das</strong> kann ein nachhaltigeres Geschäftsmodell<br />

sein, weil man kontinuierlicher<br />

an der Nutzung des Autos<br />

verdient“, erklärt Andreas Gebhardt.<br />

Bei Alfmeier sieht man die Chance,<br />

als Zulieferer mit auf den Digital-Zug<br />

aufzuspringen. Es ist allerdings eine<br />

Frage des Produkts, wie man mit den<br />

Herausforderungen der Zukunft umgeht.<br />

So aussichtslos der Tankbereich<br />

<strong>für</strong> Alfmeier ist, so hoffnungsfrohe<br />

Perspektiven verspricht das zweite<br />

Schwerpunktthema. <strong>Das</strong> Treuchtlinger<br />

Unternehmen entwickelt und baut<br />

Sitzsysteme <strong>für</strong> Autos. <strong>Das</strong> ist komplex<br />

und anwendernah genug, um zahlreiche<br />

Services anzugliedern. Gebhardt:<br />

„Sitzen ist ja wirklich ein Top-Gesundheitsthema.“<br />

Tatsächlich soll falsches Sitzen volkswirtschaftlich<br />

nach Berechnung der<br />

Krankenkasse <strong>für</strong> unglaubliche Schadenssummen<br />

sorgen, und Rückenleiden<br />

sind ohnehin Volkskrankheit<br />

Nummer eins. Alfmeier will in Zukunft<br />

also etwa Massage-Optionen <strong>für</strong><br />

Autositze per App freischalten lassen<br />

oder Systeme entwickeln, die automatisch<br />

die Sitzposition korrigieren.<br />

Spannend ist auch, dass man mit der<br />

richtigen Sensorik über den Autositz<br />

eine Menge medizinischer Daten sammeln<br />

kann, die bei der Gesundheitsüberwachung<br />

und der Diagnostik verschiedener<br />

Krankheiten hilfreich sein<br />

können.<br />

„Wir versuchen unser Thema Sitzen<br />

gerade digital umzustellen und mittelfristig<br />

dann mit dem Streaming von<br />

Leistungen Geld zu verdienen“, erklärt<br />

Gebhardt. Eine Umstellung, die dann<br />

leicht auch aus dem Autogeschäft heraustreten<br />

kann, denn gesessen wird in<br />

der modernen Welt ja nun wahrlich genug.<br />

Rund 80.000 Stunden seines Lebens<br />

verbringt ein durchschnittlicher<br />

Arbeitnehmer sitzend im Büro.<br />

Die Alfmeier-Reaktion auf den Umbruch<br />

in der Automobilbranche wird<br />

kaum eins zu eins auf alle anderen<br />

Unternehmen umzusetzen sein, aber<br />

sie zeigt eine Richtung. Wenn in der<br />

Automobilindustrie auf lange Sicht<br />

Geld verdient werden soll, kommt man<br />

an digitalen Leistungen nicht vorbei.<br />

Mal können sie auf bestehende Produkte<br />

aufgesetzt, mal müssen sie vielleicht<br />

neu erfunden werden. Ist eine<br />

Digitalisierung des Geschäftsmodells<br />

nicht möglich, kann auch Flucht eine<br />

angemessene Reaktion sein.<br />

„Es gibt im Moment ein Umorientieren“,<br />

hat Simon Amesöder von RF<br />

Plast bemerkt, der in der Branche bestens<br />

vernetzt ist. „Man schaut, dass<br />

man Industrieprojekte kriegt, dass man<br />

Projekte in der Medizintechnik bekommt.“<br />

Gut möglich, glaubt der Gunzenhausener,<br />

„dass die Automobilindustrie<br />

<strong>für</strong> uns als Kunststoffregion<br />

nicht mehr die ganz große Rolle spielt“.<br />

Womit wir bei der zweiten großen<br />

Schwerpunktbranche des Landkreises<br />

wären.<br />

Dem Kunststoff …<br />

… und der hat vor allem ein Imageproblem.<br />

Er ist zu einem Symbol <strong>für</strong> die<br />

Wegwerfgesellschaft geworden. Die<br />

Kraft der Bilder ist groß. Im Kleinen<br />

<strong>–</strong> die Meeresschildkröte mit eingewachsenem<br />

Plastikring <strong>–</strong> im Großen<br />

<strong>–</strong> ein schwimmender Müllteppich im<br />

Pazifik, der fast fünfmal so groß wie<br />

Deutschland ist. <strong>Das</strong> aber ist nur die<br />

Spitze des Plastikbergs. Sorgen macht<br />

sich die Welt auch um das Mikroplastik,<br />

das seit einem halben Jahrhundert<br />

in die Welt rieselt. Die winzigen Partikel<br />

sind überall, ob Sahara oder Arktis,<br />

Nordsee oder Zugspitze. Auch in<br />

Tieren wie Muscheln, Fischen oder<br />

Vögeln. Welche Auswirkungen das auf<br />

Umwelt und Menschen hat? Unklar.<br />

Angesichts dieser Sorgen wirkt es fast<br />

verschmerzbar, dass der Kunststoff<br />

auch ein Rohstoff-Problem hat. 99<br />

Prozent der industriell verwendeten<br />

Kunststoffe sind aus Erdöl hergestellt.<br />

Eine fossile Ressource, die klimaschädlich<br />

wird, wenn sie am Ende ihrer<br />

Kunststoff-Nutzung in einer Müllverbrennungsanlage<br />

in Flammen aufgeht.<br />

12<br />

<strong>WIKO</strong> Ausgabe <strong>2022</strong>

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