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WIKO 2022 – Das Wirtschaftsmagazin für Altmühlfranken

Der Wirtschaftskompass Altmühlfranken stellt leistungsfähige Unternehmen der Region vor und widmet sich in Reportagen, Interviews und Meinungsbeiträgen der Gegenwart und Zukunft der regionalen Wirtschaftswelt.

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Forschungsleiter des Kunststoffcampus<br />

in Weißenburg. Man trifft ihn an<br />

dessen Sitz, einem schicken Betonbau<br />

mit weiten, hellen Fluren und wenig<br />

Menschen im Weißenburger Gewerbegebiet.<br />

Von Rychkovs Büro aus geht<br />

der Blick über die Panoramascheiben<br />

weit hinaus ins altmühlfränkische<br />

Land. An der Wand lehnen zwei E-Gitarren,<br />

eine Dämmplatte und auf dem<br />

Schreibtisch liegt ein Sack voller geschredderter<br />

Plastikteile.<br />

„Der Werkstoff ist absolut zukunftsfähig“,<br />

erklärt der blonde Wissenschaftler.<br />

Er formuliert ansonsten vorsichtig,<br />

erläutert Voraussetzungen von Aussagen<br />

und mögliche alternative Entwicklungen.<br />

In diesem Punkt allerdings hat<br />

er keine Zweifel. „<strong>Das</strong>s Kunststoff so<br />

beliebt ist, so viel eingesetzt wird, liegt<br />

nicht daran, dass es ein billiges Material<br />

ist“, erklärt er. „Es liegt daran, dass er<br />

sehr variabel ist, dass man ihn mit vielen<br />

Dingen kombinieren kann und dass<br />

er so leicht zu verarbeiten ist.“ Und das<br />

wird in Zukunft noch viel wichtiger.<br />

„Smart Materials und das Internet<br />

der Dinge. <strong>Das</strong> wird ein großes Thema<br />

<strong>für</strong> den Kunststoff“, ist Rychkov<br />

überzeugt. Er selbst forscht an Kunststoff-Materialien,<br />

die Sensorik in sich<br />

tragen, die auf Druck, Flüssigkeit oder<br />

Temperatur spezifisch reagieren und<br />

sie so messbar machen. Als Feld der<br />

Zukunft gelten auch die sogenannten<br />

Professor Dr. Dmitry Rychkov<br />

Formgedächtnis-Polymere. Materialien,<br />

die sich an ihren Ausgangszustand<br />

„erinnern“ und nach Verformung, auf<br />

einen Reiz hin, in ihn zurückkehren.<br />

Klingt auf den ersten Blick nicht nach<br />

einer Revolution, aber im Grunde handelt<br />

es sich um das Prinzip des menschlichen<br />

Muskels, den man mit dieser<br />

Technik eines Tages nachbauen und so<br />

ganz neue Formen der Robotik ermöglichen<br />

könnte.<br />

Eine Menge Zukunftsvisionen werden<br />

gerade in Kunststoff geträumt. Auch<br />

Wundnähte aus Kunststoff, die sich<br />

parallel zur Heilung der Wunde zusammenziehen,<br />

oder Oberflächen, die<br />

sich bei Rissen und Löchern selbst reparieren,<br />

sind Anwendungen. Smart<br />

„ <strong>Das</strong> Internet der<br />

Dinge wird ein großes<br />

Thema <strong>für</strong> den<br />

Kunststoff„<br />

Floors existieren bereits, weiß Professor<br />

Rychkov. Fußböden also, die mit<br />

Sensoren versehen sind und so zum<br />

Beispiel registrieren, wenn Altenheimbewohner<br />

das Gelände verlassen oder<br />

stürzen. Theoretisch sind Böden auch<br />

<strong>für</strong> Energy Harvesting spannend. Über<br />

piezoelektrische Effekte ließe sich in<br />

Fußgängerzonen oder Schulen mit den<br />

geeigneten Bodenbelägen Strom erzeugen.<br />

Auch in der Diagnostik können<br />

mit Sensoren ausgestattete Kunststoffböden<br />

eine Rolle spielen und frühzeitig<br />

Krankheiten etwa an Schrittmustern<br />

erkennen.<br />

„Grundsätzlich ist entwicklungstechnisch<br />

da noch ganz viel Fantasie drin“,<br />

glaubt auch Simon Amesöder von RF<br />

Plast in Gunzenhausen. „Wir sind ein<br />

relativ junger Bereich. So richtig ist<br />

es erst nach dem Krieg losgegangen.<br />

Und das sieht man auch an den Lehrstühlen.<br />

Wir haben vielleicht 20 oder<br />

25 Kunststoffprofessoren in Deutschland,<br />

vergleicht man das mit Glas,<br />

Keramik oder Metall, ist das sehr wenig.“<br />

Amesöder geht fest davon aus,<br />

dass in den nächsten Jahren größere<br />

Dynamik in die Kunststoff-Forschung<br />

kommen wird. Und dabei geht es nicht<br />

nur darum, neue Anwendungen und<br />

Funktionen <strong>für</strong> das Material zu finden,<br />

sondern genauso sehr darum, ihm die<br />

problematischen Umwelteinflüsse he-<br />

rauszuentwickeln. Nur so ließe sich<br />

die Schizophrenie einer Branche auflösen,<br />

die zwischen öffentlicher Verdammung<br />

und weltweiten Produktionsrekorden<br />

schwankt.<br />

„Wir werden eine Evolution in der Materialforschung<br />

brauchen“, ist Rychkov<br />

überzeugt. Und der Weißenburger<br />

Kunststoffcampus will Teil dieser Entwicklung<br />

sein. Man arbeite in einem<br />

Projekt daran, Reifenabrieb am Fahrzeug<br />

zu filtrieren und so zu verhindern,<br />

dass es überhaupt auf die Straße und in<br />

die Umwelt gelangt. <strong>Das</strong> klingt nach<br />

einem kleinen Schritt, wäre tatsächlich<br />

aber ein gewaltiger Satz. Reifenabrieb<br />

ist die mit Abstand größte Quelle von<br />

primärem Mikroplastik. Ein bisschen<br />

Weltrettung aus Weißenburg also.<br />

„Ich bin eigentlich überzeugt, dass wir<br />

Lösungen finden werden“, sagt Rychkov.<br />

„Wir als Menschheit sind sehr<br />

innovativ, wenn wir uns richtig hinter<br />

ein Thema klemmen, dann kommen<br />

wir da auch vorwärts.“ Die Frage sei<br />

eher, ob die gefundenen wissenschaftlichen<br />

Lösungen auch sinnvoll in der<br />

Praxis umsetzbar sind. Sie stellt sich<br />

etwa bei den biobasierten Kunststoffen<br />

aus Zuckerrohr, Holz oder Maisstärke.<br />

„Es gibt keinen Zweifel, dass<br />

wir uns kurz- bis mittelfristig auf den<br />

Nachhaltigkeitspfad begeben werden<br />

müssen“, bestätigt Amesöder. Nur<br />

sieht er die Bio-Kunststoffe als noch<br />

nicht ausgereift an. „Wir brauchen da<br />

einfach noch ein bisschen Zeit und<br />

Forschung.“ <strong>Das</strong>s diese Art „nachwachsende<br />

Kunststoffe“ die Basis <strong>für</strong><br />

die neue heile Plastik-Welt ist, glaubt<br />

Professor Rychkov nicht. Allerdings<br />

aus anderen Gründen. Bio-Kunststoffe<br />

haben Probleme mit der Beständigkeit,<br />

außerdem sind auch nachwachsende<br />

Rohstoffe endlich.<br />

„ Da wird teilweise<br />

auch ganz klar hartes<br />

Greeenwashing<br />

betrieben„<br />

Marco Stenglein, Mitglied der Geschäftsleitung<br />

bei Verpa Folie in Gunzenhausen,<br />

sieht bei Bio-Kunststoffen<br />

in manchen Fällen gar „klares Greenwashing“<br />

am Werk. Etwa wenn <strong>für</strong><br />

die CO2-Berechnung von Zuckerrohr-<br />

Kunststoff erst ab dem Hamburger Hafen<br />

gerechnet wird <strong>–</strong> wo bekanntermaßen<br />

wenig Zuckerrohr wächst.<br />

14<br />

<strong>WIKO</strong> Ausgabe <strong>2022</strong>

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