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WIKO 2022 – Das Wirtschaftsmagazin für Altmühlfranken

Der Wirtschaftskompass Altmühlfranken stellt leistungsfähige Unternehmen der Region vor und widmet sich in Reportagen, Interviews und Meinungsbeiträgen der Gegenwart und Zukunft der regionalen Wirtschaftswelt.

Der Wirtschaftskompass Altmühlfranken stellt leistungsfähige Unternehmen der Region vor und widmet sich in Reportagen, Interviews und Meinungsbeiträgen der Gegenwart und Zukunft der regionalen Wirtschaftswelt.

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mache krank. Und seit Russland außerhalb<br />

Chinas kein Mensch mehr über<br />

den Weg traut, hat sich die Situation<br />

noch erheblich verschärft. Fragen der<br />

Energieversorgung sind auf einmal<br />

Fragen der Sicherheitspolitik geworden.<br />

Es ist jetzt noch klarer: Die Dekarbonisierung<br />

der Wirtschaft wird bis Mitte<br />

des Jahrhunderts das entscheidende<br />

Thema deutscher Politik sein. Anders<br />

als bei der Industrialisierung wird über<br />

Erfolg oder Misserfolg dieses Projekts<br />

auf dem Land entschieden. Und damit<br />

in besonderem Maße auch in Weißenburg-Gunzenhausen.<br />

Weil: Wenn man<br />

in <strong>Altmühlfranken</strong> etwas kann, dann<br />

Platz haben … Im Schnitt leben in <strong>Altmühlfranken</strong><br />

auf den Quadratkilometer<br />

halb so viele Menschen wie im Rest<br />

Bayerns. Und in Bayern leben schon<br />

40 Prozent weniger als im Rest der Republik.<br />

Unter den Einsamen ist man<br />

sozusagen also einer der Einsamsten.<br />

Ortswechsel. Der pandemie-provisorische<br />

Sitzungssaal eines altmühlfränkischen<br />

Gemeinderats. Neonlicht, Stunde<br />

vorgerückt, Stimmung leicht gereizt.<br />

„Müssen wir jetzt wirklich hier bei<br />

uns die Stadt retten?“, fragte ein Kommunalpolitiker<br />

und sieht in den Raum.<br />

Für ihn ist es eine rhetorische Frage.<br />

Er hoffte mit ihr die Diskussion um<br />

die Ausweisung neuer Photovoltaikflächen<br />

aufs rechte Gleis zurückzubringen.<br />

Frei nach dem Motto: Wir haben<br />

genug gemacht, jetzt sind mal die<br />

anderen dran. Aber so einfach ist das<br />

nicht mehr. Auch nicht im Sitzungssaal<br />

einer eher ländlichen Gemeinde<br />

in <strong>Altmühlfranken</strong>. Die eine Seite<br />

nickt zwar, freilich, man könne hier im<br />

Kleinen nicht die Welt retten … Die<br />

andere Seite schüttelt aber den Kopf:<br />

Wo, wenn nicht hier, soll sie denn bitteschön<br />

gerettet werden, fragen sie.<br />

Und damit wäre man dann auch beim<br />

Punkt. Wenn die Energiewende kommen<br />

soll, wird das Land die Stadt retten<br />

müssen. Anders ist es schlicht nicht<br />

möglich. Gelingt es in den kommenden<br />

Jahrzehnten also nicht, dass die Erneuerbaren<br />

in der Fläche so stark wachsen,<br />

dass sie die industriellen Zentren<br />

mitversorgen, scheitert das ganze Klimaprojekt.<br />

Und das bedeutet möglicherweise<br />

<strong>–</strong> Pathos an <strong>–</strong> das Ende der<br />

Menschheit, wie wir sie kennen.<br />

<strong>Das</strong> ist die politische Großwetterlage,<br />

mit der Weißenburg-Gunzenhausen<br />

mindestens bis zu seinem nächsten großen<br />

Jubiläum zurechtkommen muss.<br />

Aus Sicht <strong>Altmühlfranken</strong>s wird es<br />

nun darauf ankommen, dieses mit<br />

Milliarden und Abermilliarden an Investitionen<br />

versehene Projekt vor Ort<br />

in die richtigen Bahnen zu lenken. Die<br />

Eingriffe in die Landschaft, die unvermeidlich<br />

sein werden, den Ärger, den<br />

das bringen wird, all das sollte mit positiven<br />

Effekten aufgewogen werden.<br />

Und zwar am besten nicht <strong>für</strong> einige<br />

wenige, sondern <strong>für</strong> die Gesamtheit<br />

derer, die hier leben.<br />

„ Wir machen im<br />

Moment eigentlich alles<br />

falsch, was man falsch<br />

machen kann„<br />

<strong>Das</strong> Prinzip „Land versorgt Stadt“ ist<br />

so alt wie die Stadt selbst. Der Überschuss<br />

der Landwirtschaft hat es erst<br />

möglich gemacht, dass viele Menschen<br />

auf einem Fleck leben und sich mit anderen<br />

Dingen beschäftigen konnten,<br />

als damit, ihr täglich Brot zu produzieren.<br />

Vom Mittelalter bis in die Neuzeit<br />

funktionierte die Arbeitsteilung<br />

zwischen Stadt und Land allerdings<br />

weitgehend gleichberechtigt. Bis die<br />

Industrialisierung anrauschte und erst<br />

die Städte reich und dann das Land<br />

arm machte.<br />

Weil das Prinzip der Industrialisierung<br />

nicht in der Fabrikhalle blieb. Es<br />

dehnte sich aus und eroberte bald den<br />

Acker. Mit immer mehr technischem<br />

Gerät erzeugten immer weniger Menschen<br />

auf immer größeren Flächen immer<br />

mehr Lebensmittel. <strong>Das</strong> hatte gute<br />

Seiten, sorgte aber auch da<strong>für</strong>, dass Gewinne<br />

vom Land in die Stadt flossen,<br />

während die Probleme der intensiven<br />

Bewirtschaftung vor Ort blieben <strong>–</strong> und<br />

größer wurden.<br />

Sieht man sich an, wie viel Fläche<br />

heute ein Landwirt braucht, um seinen<br />

Lebensunterhalt zu verdienen,<br />

ist klar, wie wenig Wertschöpfung vor<br />

Ort bleibt, wie wenig Menschen heute<br />

in <strong>Altmühlfranken</strong> von der Landwirtschaft<br />

leben können. <strong>Das</strong> große Geld<br />

verdienen dabei nicht die Bauern, sondern<br />

die Händler, Weiterverarbeiter,<br />

Nahrungsmittelkonzerne und Han-<br />

delsketten. Organisationen, die eher in<br />

der Stadt als auf dem Land zu Hause<br />

sind.<br />

Die Energiewende bringt nun neue<br />

Bedeutung und Wertschöpfung in die<br />

Fläche. Weil die Energie der Städte<br />

nicht mehr aus einem Loch im Boden<br />

des Nahen Ostens und erst recht nicht<br />

mehr aus den Kohlegruben Russlands<br />

kommen darf. Die Herausforderung<br />

ist nun, diese neue Wertschöpfung des<br />

Landes erfolgreicher zu steuern, als das<br />

bei der Landwirtschaft gelungen ist.<br />

Derzeit stehen die Vorzeichen nicht<br />

gut, findet André Goldfuß-Wolf, der<br />

technische Geschäftsführer der Stadtwerke<br />

Weißenburg. „Wir machen im<br />

Moment eigentlich alles falsch, was<br />

man falsch machen kann in Sachen<br />

Energiewende“, betont er.<br />

Er sitzt im dämmrigen Sitzungssaal der<br />

Stadtwerke in Weißenburg und spricht<br />

ruhig über seine Erfahrungen der<br />

letzten Jahre. Aus dem Fenster sieht<br />

man die nahen Bahngleise. Ein paar<br />

Hundert Meter weiter betreiben die<br />

Stadtwerke einen kleinen Solarpark.<br />

Goldfuß-Wolf ist ein Vorreiter der regionalen<br />

Energiewende. Er hat in Zusammenarbeit<br />

mit der lokalen Politik<br />

Photovoltaikmodule auf kommunale<br />

Dächer gebracht, Solarparks entwickelt<br />

und zwei Windräder gebaut, die<br />

den Stadtwerken gehören.<br />

„Ihre Erträge sind ein wesentlicher<br />

Grund da<strong>für</strong>, dass es uns im Moment<br />

noch so gut geht“, erzählt er. Mit den<br />

Überschüssen aus dem laufenden Betrieb<br />

finanzieren die Stadtwerke defizitäre<br />

Bereiche wie das Hallenbad und<br />

das Freibad oder die Stadtbuslinie in<br />

Weißenburg. Ein gutes Beispiel, wie<br />

Wertschöpfung aus den erneuerbaren<br />

Energien dem Allgemeinwohl dienen<br />

kann, findet er.<br />

<strong>Das</strong> allerdings ist bislang noch die Ausnahme.<br />

„Die Gruppe derjenigen, die<br />

im Moment profitieren, ist klein“, stellt<br />

Goldfuß-Wolf fest. Bei denen, die die<br />

Parks planen und bauen, bleibe viel<br />

Geld hängen. Bei denen, die vor Ort<br />

mit den Parks leben müssen, wenig.<br />

„<strong>Das</strong> läuft so, dass die Projektierer<br />

mit den fertigen Projekten zu den Gemeinden<br />

kommen und fragen, ob sie<br />

nicht etwas <strong>für</strong> die Energiewende tun<br />

wollen“, erklärt Goldfuß-Wolf. „Na ja,<br />

und wer will das nicht …“<br />

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<strong>WIKO</strong> Ausgabe <strong>2022</strong>

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