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2012-02

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Gesundheit<br />

VON DER KUNST<br />

1980 Reise in eine andere Welt oder meine erste Lektion<br />

Meister Ping Liong Tjoa bei seiner Übung<br />

Ich sitze im Schnellzug. Die Landschaft fliegt vorbei,<br />

aber ich nehme sie kaum wahr. Meine Gedanken sind<br />

bei Meister Tjoa, der von nun an auch mein Meister sein<br />

soll. Thai-Chi heißt der lockende Begriff, der mich zu ihm<br />

nach Stuttgart führt.<br />

Dann sitze ich vor ihm, dem Computerspezialisten einer<br />

großen Computerfirma, einem Chinesen aus Indonesien,<br />

der mir versprochen hat, mich heute Abend in die Geheimnisse<br />

von Thai-Chi einzuführen. Stille. Der Meister erhebt<br />

sich und beginnt, sich langsam zu bewegen, wie ich es in<br />

einer solchen Harmonie noch nie erlebt habe. Nur vom<br />

Zusehen werden meine Gedanken ruhig, meine tausend<br />

Fragen legen sich leise schlafen, und ich bin nur da und<br />

nehme seine Bewegungen in mich auf. Tiefer Friede. Der<br />

Meister hält inne und setzt sich neben mich. Schweigen.<br />

Wie Tropfen fallen die ersten Worte. Der Meister erklärt<br />

mir Thai-Chi.<br />

Er erzählt mir von den Chinesen, die schon vor Jahrtausenden<br />

Thai-Chi ähnliche Bewegungen ausführten, um<br />

sich gesund zu erhalten und weist darauf hin, dass China bis<br />

heute der einzige bestehende Kulturstaat ist, der die vielen<br />

Jahre von der Vorgeschichte bis heute ungeschwächt überstanden<br />

hat.<br />

„Aber wir Abendländer bewegen uns doch gleichfalls,<br />

wenn auch anders,“ füge ich hinzu. Der Meister lächelt<br />

milde: „Ich will es Dir genauer erklären. Du weißt, welche<br />

Kraft ein Baby entwickeln kann, wenn es mit den Händen<br />

zugreift. Es hat kaum Muskeln. Von diesen<br />

kann die Kraft also nicht kommen,<br />

zumal das Baby ganz locker bleibt.<br />

Diese Kraft, die keine Muskelkraft ist,<br />

nennen die Chinesen Chi. Dieses Chi<br />

hat das Baby in Fülle. Die Chikraft<br />

geht nun im Laufe des menschlichen<br />

Lebens zurück, und es entwickelt sich<br />

Muskelkraft. Die Chi- oder Lebenskraft<br />

geht dabei nie gänzlich verloren. Wenn<br />

wir nun Thai-Chi üben, so wecken und<br />

verstärken wir diese Lebenskraft und<br />

schicken sie harmonisch durch den<br />

Körper. Es versteht sich von selbst,<br />

dass nur ganz bestimmte Bewegungen<br />

dieses vermögen. Die Kenntnis dieser<br />

Bewegungen ist das große Geheimnis<br />

der Chinesen.“<br />

„Kann ich das noch lernen in meinem<br />

Alter (damals so um die Fünfzig)? Habe<br />

ich überhaupt Chi?“sprudelt es aus mir<br />

hervor. „Langsam, langsam,“ meint Meister Tjoa. „Jeder<br />

Mensch besitzt Chi. Sonst könnte er nicht leben. Ist der<br />

Fluss des Chi gestört, nicht mehr harmonisch, so wird der<br />

Mensch krank. Der Chinese greift nun mit Hilfe der Akkupunktur<br />

dann in das Fließen des Chi ein, leitet es um und<br />

harmonisiert es. Der Mensch ist wieder gesund.“<br />

„Damit ist Thai-Chi eine Vorform von Akkupunktur,<br />

weil es ja nicht nur das Chi weckt sondern auch dessen<br />

Fluss harmonisiert?“<br />

„Richtig,“ nickt der Meister,“ doch ich muss noch Deine<br />

andere Frage beantworten. Ich lehre Thai-Chi in meinen<br />

Schulen in Süddeutschland und unterrichte alte und junge<br />

Leute, Männer und Frauen. Jeder, der sich auf den Weg des<br />

Thai-Chi begeben hat, hat etwas gelernt; der eine mehr,<br />

der andere weniger. Allein wichtig ist, dass man sich auf<br />

den Weg macht. Der Weg ist wichtiger als das Ziel. Ich<br />

weiß, dass die Abendländer heute anders denken. Aber man<br />

muss Thai-Chi machen, um zu erfahren,dass diese Behauptung<br />

auf Thai-Chi zutrifft. Diese Weise des Übens führt<br />

zu immer neuen Erlebnissen und Entdeckungen, da sie<br />

nicht durch eine bestimmte Zielvorstellung fixiert und damit<br />

eingeschränkt ist. Der übende Mensch selbst und seine<br />

Umgebung öffnen sich der eigenen Erfahrung. Thai-Chi ist<br />

neben der ,Heilgymnastik‘ auch Meditation. In ihr kommt<br />

der Mensch zu sich selbst, zu einem neuen entspannten<br />

Verhältnis zu seiner Umwelt. Sein Urteil wird sicher. Das<br />

gilt nicht nur für den geistig-seelischen Bereich, sondern<br />

Bild: www.taichi-stuttgart.de<br />

18 25 Jahre durchblick 2/<strong>2012</strong>

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