2012-02

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Glücklicherweise waren wir von Stalingrad weit entfernt. Ein halbes Jahr später ging uns in der Steppe der Sprit aus, und wir wurden von einer russischen Panzereinheit gefangen genommen und nach Sibirien gebracht. Ich hatte Glück im Unglück. Eine Ruhr brachte mich in einem Lazarett mit einer Ärztin zusammen, der ich erzählte, dass ich eigentlich Schotte sei. Soweit sie konnte, half sie mir, so dass ich manchmal Sonderzuteilungen bekam, weil sie mich für Hilfsarbeiten angefordert hatte. Trotzdem ging es uns allen schlecht, abgesehen von den Offizieren, die immer besser behandelt wurden. Die harte Winterzeit forderte auch bei mir ihren Tribut. Schwächeanfälle, Atembeschwerden, Wundliegen, Erfrierungen setzten mir sehr zu. Das schlimmste war in der Winterzeit die grausame Kälte, der wir uns bei Holzfällerarbeiten aussetzen mussten. Mit dem Kriegsschluss begannen wir alle zu hoffen. Aber einer der Kameraden nach dem anderen starb weg. Unser Haufen schmolz immer mehr zusammen. Manchmal hörten wir gefärbte Nachrichten und machten uns darauf unseren Reim. Es gab eine Bundesrepublik Deutschland und einen BundeskanzlerAdenauer, der, wie mir ein Kölner Kamerad versicherte, in Köln als Bürgermeister fungiert hatte. Ich hatte mich um Politik immer nur so weit gekümmert, wie es für mich notwendig gewesen war. Den Namen Adenauer hatte ich bis dahin noch nie gehört.Aber er wurde plötzlich auch für mich wichtig, weil es hieß, dass er sich für die Kriegsgefangenen einsetze. 1949, nach langen Jahren der Entbehrung war es so weit. Wir wurden in Waggons verladen und nach Westen abtransportiert. Auf dem Weg in die Heimat starben noch viele Kameraden an Entkräftung, an Ruhr oder sonstigen nicht behandelten Krankheiten. Ich kam in eine furchtbar zerstörte Stadt zurück. Meine Wohnung existierte nicht mehr. Ich fand wieder einen Job bei den Verkehrsbetrieben, ein kleines Zimmer auf Firmengelände und fing an, mich einzuleben. Auf dem Einwohnermeldeamt lernte ich eine Frau kennen. Maria. Drei Jahre jünger als ich. Wir mochten uns, sie war auch allein, ihr Mann war in Russland gefallen, ihre gesamte Familie unter den Bomben der Alliierten gestorben. Sie war als Arbeitsdienstführerin im Schongau Ausbilderin gewesen und heil wieder nach Hause gekommen. Die Wärme ihrer Hände und ihrer Gedanken taten mir gut. Wir fühlten uns wohl und hatten gute Jahre. Sie war nicht so oberflächlich, wie man es von den Kölnern behauptet. Ihr Katholizismus war allerdings ziemlich eingeschränkt, seit sie ein katholischer Priester angefasst hatte. In der Firma wurde ich in die Hollerith-Abteilung versetzt, eine frühe Datenverarbeitung nach dem Lochkartenverfahren, und konnte mich verbessern. Alles lief gut. 1954 starb meine Frau plötzlich an Krebs. Warum ich? Meine Krankengeschichte verhalf mir 1963 zur Rente. Noch konnte ich ganz gut laufen, kaufte mir aber dann wieder ein Motorrad. So lernte ich die Umgebung von Köln, das Siebengebirge, die Eifel, das Hohe Venn kennen. Mein Fluchtkamerad war gestorben, die Familie mir fremd geworden. Viele Gesichter kannte ich nicht. Ein Unfall mit dem Motorrad, bei dem ich glücklicherweise nur geringfügig verletzt wurde, brachte nicht nur den Verlust meines Fahrzeuges, sondern auch die Einsicht. Jetzt war ich mit der Bahn und dem Bus in Schottland. Einmal wollte ich noch meine alte Heimat wiedersehen. Auf dem alten Friedhof waren keine Grabkreuze mehr zu finden. Aber es gab noch manche Stellen, die sich seit meiner Jugend nicht verändert haben. Sie beginnen die singletrack-roads auszubauen. Die alte kleine Jugendherberge, drei Meilen von der Westküste entfernt, mitten in unwegsamem Gelände, existiert noch. Ich hatte sie bei einem seltenen Ausflug in meiner Jugend zusammen mit meinem Vater als Attraktion der Gegend kennengelernt. Ich traf dort auch auf Deutsche. Die Fahrt zurück nach Hull hat mich zum Glück nicht durch größere Teile Englands geführt. Aber meine Erinnerungen schmerzen nicht mehr. Er sah lange aus dem Fenster in die dunkle Nacht. Sein Gesicht war ruhig. Nur in seinen Augen lag Müdigkeit. Lächelnd wendete er sich mir wieder zu und sagte: „Nun kennen sie eine Lebensgeschichte. Ich freue mich, 24 25 Jahre durchblick 2/2012
J. Gray: Fotolia.com Isle of Skye dass sie mir so geduldig zugehört haben. Vielleicht können sie mit ihren Aufzeichnungen einmal etwas anfangen, auch wenn ihr kleines Tongerät nicht gerade sehr brauchbar zu sein scheint“, dabei lachte er kurz auf. „Geben sie mir ihre Adresse, wenn sie wollen, ich werde ihnen noch etwas schicken. Wir sehn uns morgen noch beim Ausschiffen.“ Und dann fügte er, als habe er meine Gedanken erraten, hinzu: „Und laden sie mich nicht ein, mit ihnen im Auto zu fahren, aus dem Bahnfenster gesehen sind die Erinnerungen an Flandern nicht anders als aus dem Auto und ich habe meine Rückfahrkarte schon.“ Kurz drückte er mir die Hand und verschwand unter Deck. Ich blieb noch lange sitzen, obwohl es bereits spät war, oder besser früh. Ich war aufgewühlt. Auch seine Gegend kannte ich annähernd von meinen vielen Fahrten nach Schottland und konnte mir die kleinen hungrigen Ortschaften vorstellen, wie sie wohl ausgesehen haben mochten, in einer lange zurückliegenden, fast vergessenen Zeit. Die tief quellenden Wolken, der Regen, das Donnern der brandenden See, kreischende Möwen auf ausgewaschenen Felsen, das Rumoren des Windes, rote Fingerhüte in grüner Unendlichkeit, der lachenden Stechginster im Sommer. Und die Armut, die über der ganzen Landschaft gelegen haben musste, zu einer Zeit, als ein gewaltiges Empire bestand mit einem kleinen verlassenen Fleck Erde darin. Was für ein Schicksal. Die Einsamkeit kann wohl kaum jemand nachempfinden. Die Nacht war kurz. Zum Frühstück hatte ich keine Zeit mehr. Eben ertönten die Lautsprecheransagen in Englisch und Französisch, um die Passagiere richtig von Bord zu bringen. Auf dem Weg zum Car-Deck sah ich ihn am Niedergang. Er schien schon gewartet zu haben. Er drückte mir die Hand, hielt sie fest, drückte noch einmal: „Kommen sie gut heim.“ Er sah mich prüfend an. In seinen Augen lagen unausgesprochene Fragen. Dann drehte er sich kurz um und verschwand im Niedergang. Ich habe ihn nicht wiedergesehen. Nach 14 Tagen fand ich in meiner Post einen dicken Umschlag. Auf eng beschriebenen Bogen viele Geschichten und Gedichte. Die Ausbeute eines literarischen Lebens, das nicht begonnen wurde, weil die Gunst der Stunde nicht die Feder führen konnte. Johannes Buhl Gesundheitssport Aus unserem Kursangebot: Immer Dienstags: Bodyforming 18.00 - 19.00 Uhr Wirbelsäulengymnastik 19.00 - 20.00 Uhr Wieder im Programm: Rückentraining & Mehr Zuschuss von Krankenkassen möglich, Termine telefonisch unter ✆ 02 71 8 10 88 2/2012 25 Jahre durchblick 25
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