2012-02
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Zeitgeschichte<br />
rung bei der Bahn. Hier in meiner Universitätsstadt,<br />
die ich Anfang 1945 verlassen hatte, um meinem verwundeten<br />
Verlobten nahe zu sein, hatte ich einiges zu<br />
erledigen. Auf dem Weg zur Uni, dort wollte ich mich<br />
nach Möglichkeiten zum Weiterstudium erkundigen, wer<br />
kommt da wie ein geölter Blitz über die Straße zu mir<br />
herübergeschossen? Es ist Herr Sch., den ich bisher nur<br />
als „Blinden“ kannte. „Wie sind Sie denn nur so schnell<br />
wieder sehend geworden?“ staunte ich. „Ach, das haben<br />
Sie wohl gar nicht mitbekommen, ich war nie blind.<br />
Aber unser guter Professor, den Sie ja auch so verehrten,<br />
hat mich, überzeugter Kommunist, jahrelang vor dem<br />
KZ gerettet, indem er mich als „Blinden“ im Kunstgeschichtlichen<br />
Institut anstellte. Da muss ich meine Rolle<br />
ja gut gespielt haben!“ „Ja, merkwürdig kam mir das<br />
wohl vor, dass Sie ausgerechnet im Fotolabor des Instituts<br />
tätig waren“. „Ja, und da hatte ich oft mit Ihnen<br />
zu tun, da Sie ja das Dia-Archiv verwalteten“. Und da<br />
waren Sie immer so lieb und fürsorglich zu mir, dem<br />
„armen Blinden“, das habe ich nicht vergessen. Und nun<br />
möchte ich gern etwas für Sie tun. Ich bin, als „VVN“<br />
(Verfolgter des Nazi-Regimes) zu einigen Ehrenämtern<br />
gekommen, so bin ich auch für die Zulassung zum Studium<br />
zuständig. Ich weiß, dass Sie Gruppenführerin im<br />
NS-Studentenbund waren, aber ich weiß auch, dass Sie<br />
in Ihrer volkskundlichen Gruppe nie etwas Unehrenhaftes<br />
gesagt oder getan haben. Mit meiner Hilfe können<br />
Sie sofort weiterstudieren“. „Wunderbar, aber wie soll<br />
das gehen? Ich habe kein Geld, mein Vater ist in amerikanischer<br />
Gefangenschaft, und für mich besteht keine<br />
Aussicht, an einen Job zu kommen“. Ja, da wusste Herr<br />
Sch. auch keinen Rat. Jedenfalls dankte ich ihm für sein<br />
Hilfsangebot und freute mich, dass es nun einen „Blinden“<br />
weniger gab.<br />
Dann führte mich mein Weg zum Haus, in dem ich bis<br />
Ende 1944 ein gastliches Zuhause<br />
hatte, ein schönes Haus in ländlicher<br />
Umgebung. Ich klingelte,<br />
nichts rührte sich. Aber da war ein<br />
Schild am Zaun: „Occupied by the<br />
local Government“. Also nix wie<br />
hin zum Government! Das hatte sich<br />
im stattlichen Volkskunde-Institut<br />
eingenistet. Dort kannte ich mich ja<br />
aus. Beim Kommandanten erreichte<br />
ich ein kurzes Besuchsrecht, „um lebenswichtige<br />
Dokumente herauszuholen“.<br />
In einem Jeep fuhren mich<br />
zwei Amis hin, einer war mit einem<br />
Filmapparat bewaffnet. Wir stiegen<br />
die Treppe hinauf bis zum Speicher.<br />
Dort stand alles, was aus den Wohnzimmern<br />
entfernt worden war, auch<br />
eine Kiste mit meinen Studienpapieren.<br />
Während ich einige herausholte,<br />
filmte der Ami mit dem Filmapparat die Szene. Ich hörte,<br />
wie er zu seinem Kumpel sagte: „Das gibt einen guten<br />
„spot“ für die US-Wochenschau“. Der zweite aber saß auf<br />
einem Schaukelpferd, wippte hin und her und pfiff sich ein<br />
Liedchen.<br />
Weiter wollte ich zu meinen Freunden nach Niederwetter,<br />
wo ich während meiner Studienzeit wie zu Hause war.<br />
Da aber weder Bus noch Bahn fuhren, machte ich mich zu<br />
Fuß auf den Weg. Unterwegs fuhren etliche amerikanische<br />
Transporter an mir vorbei. „Juhu“! winkten mir lachende<br />
schwarze Gesichter heraus: „Komm, Fräulein!“ Und sie<br />
jonglierten dabei mit Apfelsinen oder zarten seidenen Dessous.<br />
„Ouillst du heute nacht mit mir slafen?“ „Blödmann,<br />
du kannst mich mal!“<br />
Auf der Landstraße gesellte sich eine wohl Gleichaltrige<br />
zu mir, sie sah ungepflegt und elend aus. „Ja, ich komme<br />
aus der russischen Besatzungszone“ sagte sie, und weinend:<br />
„Ich bin mehrmals vergewaltigt worden“. Sie tat mir<br />
so leid, das „Strandgut des Krieges“. Ich nahm sie mit zu<br />
meinen bäuerlichen Freunden, die sie ganz selbstverständlich<br />
aufnahmen. Sie waren es gewohnt, dass ich manchmal<br />
Hilfsbedürftige zu ihnen brachte. Wir saßen am reich gedeckten<br />
Tisch, ich gab dem armen Mädchen meine Kleider,<br />
die in einem Bauernschrank den Krieg überstanden hatten<br />
und hätte ihr auch mein Fahrrad gegeben, das unter Heu und<br />
Stroh verborgen gelegen hatte, aber es war nicht mehr da,<br />
Hitler-Jungen hatten es gegen Kriegsende requiriert.<br />
Nach zwei Tagen sah die arme Heimatlose erholt und<br />
gekräftigt aus. Nun trennten sich unsere Wege. Sie wollte<br />
weiter nach Niedersachsen, ich nach Marburg zu meinem<br />
Hamsterkoffer. Ich kam auch gut über die Zonengrenze.<br />
Aber was ist wohl aus diesem Mädchen geworden, deren<br />
Namen ich längst vergessen habe? Ich aber kehrte heim.<br />
Wohl dem, der eine Heimat hat!<br />
Elisabeth Hengstenberg<br />
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