2012-02
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Gesellschaft<br />
WIR BAUEN UNSERE „LEBENSKISTE“<br />
Im Herbst 2011 wurde im<br />
„Haus Herbstzeitlos“ für<br />
ein Biografieprogramm<br />
geworben. Dieser Gedanke<br />
kam von einer jungen<br />
Praktikantin. Sie wollte es<br />
als Berufsanerkennungsarbeit<br />
nutzen. In einem ersten<br />
unverbindlichen Gespräch<br />
machte sie auf sich und ihre<br />
Arbeit aufmerksam und<br />
suchte nach Personen, die<br />
sich an diesem Projekt beteiligen<br />
wollten.<br />
Im Inhalt des Informationsblattes<br />
hieß es: Biografie<br />
heißt nicht Lebenslauf…<br />
Der Lebenslauf listet die<br />
wichtigsten Daten einer<br />
Person auf und steht meist im Zusammenhang mit Bewerbungen<br />
um einen Ausbildungsplatz etc. Er kann sich aus<br />
der Abfolge unterschiedlichster Ereignisse zusammensetzen.<br />
Einige sind vorhersehbar und für viele Personen<br />
einer Generation innerhalb eines Lebensabschnittes sehr<br />
wahrscheinlich. Kindergarten, Schule, Ausbildung, Beruf,<br />
usw. Andere Ereignisse haben einen zeitgeschichtlichen<br />
Charakter, z.B. der Mauerbau. Alle Menschen in diesem<br />
Land haben davon gehört und es erlebt. Die Bedeutung<br />
dieses Ereignisses für jeden Einzelnen ist jedoch sehr unterschiedlich<br />
und hängt von verschiedenen Faktoren ab,<br />
wie der Betroffenheit oder dem Lebensalter. Diesbezüglich<br />
grenzt sich der Begriff Lebenslauf von dem Begriff<br />
Biografie ab. Die Biografie ist eine Lebensbeschreibung.<br />
Eine Darstellung der äußeren und persönlich geistigen<br />
Entwicklung eines Menschen. Sie beinhaltet Erfahrungen,<br />
die in geschichtlichen, kulturellen und gesellschaftlichen<br />
Zusammenhängen erworben wurden und ist natürlich<br />
auch durch die familiären Bedingungen geprägt. „Jeder<br />
Einzelne weist eine individuelle Geschichte auf, die einer<br />
eigenen Logik folgt und die mit seinem Leben endet!“<br />
Der Lebenslauf dokumentiert also die Folge faktischer<br />
Lebensereignisse und die Biografie ist die Interpretation,<br />
bzw. Rekonstruktion dieses Lebenslaufs.<br />
So trafen wir uns, ein Mann und sechs Frauen an jedem<br />
Mittwochvormittag, um uns mit diesem „Projekt“ zu beschäftigen.<br />
Es war zwar recht einfach aus dem eigenen Leben<br />
zu erzählen, anderen zuzuhören, auch unsere Empfindungen<br />
bei verschiedenen Musikstücken auszudrücken, und trotzdem<br />
erschien es uns eigenartig, teils schwierig, wie wir unser<br />
„Erlebtes“ nun in eine Kiste bekommen sollten? Aber, und<br />
das stand im Vordergrund: Wir waren auch sehr neugierig<br />
Sieben TeilnehmerInnen „bastelten“ an ihrer Biografie<br />
und gespannt. Nach den ersten anfänglichen Plauderstunden<br />
bei Kaffee und Gebäck wurden die allgemeinen Hürden<br />
genommen und es entstand das Gefühl einer gegenseitigen<br />
Vertrautheit. Wir erkannten sehr viele Gemeinsamkeiten aus<br />
der Erziehung, unserer eigenen Kindheit und Jugend, unserer<br />
Schulzeit, ähnlich verlaufende Berufswege und vieles mehr.<br />
Bei den Teilnehmenden überwogen die handwerklichen Berufe,<br />
allein vier Frauen hatten eine Schneiderlehre absolviert.<br />
Einzig der Mann unserer Gruppe hatteAbitur und ein Studium<br />
vorzuweisen. Wir Frauen waren (mit/ohne Berufstätigkeit)<br />
anschließend alle Hausfrauen und mit der Kindererziehung<br />
betraut. Ebenso waren die Kriegs- bzw. Nachkriegsjahre, das<br />
Nebeneinander innerhalb der Generationen bei all den Gesprächen<br />
und Erzählungen präsent. Es galt Lebensspuren zu<br />
entdecken. Wie ist man die Persönlichkeit geworden ist, die<br />
man heute verkörpert? Welche Erfahrungen waren negativ,<br />
welche positiv. Was hat zur Lebensgestaltung beigetragen?<br />
Jede Teilnehmende erhielt eine leere Holzkiste. In diese<br />
wurden Erinnerungsstücke, Gegenstände, Fotos, oder<br />
was jahrelang irgendwo im Verschollenen ruhte, platziert.<br />
Vergangene Ereignisse bekamen dadurch eine „rückschauende“<br />
Bedeutung. Aus den mitgebrachten Materialien wie<br />
Tapetenreste, Wolle, Bastelzeug, Spielzeug unserer Kinder,<br />
etc. entstanden nach und nach die einzelnen kleinen Museen<br />
der eigenen, individuellen Lebensgeschichte.<br />
So unübersehbar uns anfänglich der Plan erschien, umso<br />
intensiver gestalteten wir die Phasen unseres Lebens in eine<br />
kleine Kiste. Sieben „Lebenskisten“ nebeneinander gestellt,<br />
ergeben eine eindrucksvolle Momentaufnahme von<br />
ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten.<br />
Eva Maria Herrmann<br />
2/<strong>2012</strong> 25 Jahre durchblick 33