11.04.2024 Aufrufe

2012-02

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Gesellschaft<br />

WIR BAUEN UNSERE „LEBENSKISTE“<br />

Im Herbst 2011 wurde im<br />

„Haus Herbstzeitlos“ für<br />

ein Biografieprogramm<br />

geworben. Dieser Gedanke<br />

kam von einer jungen<br />

Praktikantin. Sie wollte es<br />

als Berufsanerkennungsarbeit<br />

nutzen. In einem ersten<br />

unverbindlichen Gespräch<br />

machte sie auf sich und ihre<br />

Arbeit aufmerksam und<br />

suchte nach Personen, die<br />

sich an diesem Projekt beteiligen<br />

wollten.<br />

Im Inhalt des Informationsblattes<br />

hieß es: Biografie<br />

heißt nicht Lebenslauf…<br />

Der Lebenslauf listet die<br />

wichtigsten Daten einer<br />

Person auf und steht meist im Zusammenhang mit Bewerbungen<br />

um einen Ausbildungsplatz etc. Er kann sich aus<br />

der Abfolge unterschiedlichster Ereignisse zusammensetzen.<br />

Einige sind vorhersehbar und für viele Personen<br />

einer Generation innerhalb eines Lebensabschnittes sehr<br />

wahrscheinlich. Kindergarten, Schule, Ausbildung, Beruf,<br />

usw. Andere Ereignisse haben einen zeitgeschichtlichen<br />

Charakter, z.B. der Mauerbau. Alle Menschen in diesem<br />

Land haben davon gehört und es erlebt. Die Bedeutung<br />

dieses Ereignisses für jeden Einzelnen ist jedoch sehr unterschiedlich<br />

und hängt von verschiedenen Faktoren ab,<br />

wie der Betroffenheit oder dem Lebensalter. Diesbezüglich<br />

grenzt sich der Begriff Lebenslauf von dem Begriff<br />

Biografie ab. Die Biografie ist eine Lebensbeschreibung.<br />

Eine Darstellung der äußeren und persönlich geistigen<br />

Entwicklung eines Menschen. Sie beinhaltet Erfahrungen,<br />

die in geschichtlichen, kulturellen und gesellschaftlichen<br />

Zusammenhängen erworben wurden und ist natürlich<br />

auch durch die familiären Bedingungen geprägt. „Jeder<br />

Einzelne weist eine individuelle Geschichte auf, die einer<br />

eigenen Logik folgt und die mit seinem Leben endet!“<br />

Der Lebenslauf dokumentiert also die Folge faktischer<br />

Lebensereignisse und die Biografie ist die Interpretation,<br />

bzw. Rekonstruktion dieses Lebenslaufs.<br />

So trafen wir uns, ein Mann und sechs Frauen an jedem<br />

Mittwochvormittag, um uns mit diesem „Projekt“ zu beschäftigen.<br />

Es war zwar recht einfach aus dem eigenen Leben<br />

zu erzählen, anderen zuzuhören, auch unsere Empfindungen<br />

bei verschiedenen Musikstücken auszudrücken, und trotzdem<br />

erschien es uns eigenartig, teils schwierig, wie wir unser<br />

„Erlebtes“ nun in eine Kiste bekommen sollten? Aber, und<br />

das stand im Vordergrund: Wir waren auch sehr neugierig<br />

Sieben TeilnehmerInnen „bastelten“ an ihrer Biografie<br />

und gespannt. Nach den ersten anfänglichen Plauderstunden<br />

bei Kaffee und Gebäck wurden die allgemeinen Hürden<br />

genommen und es entstand das Gefühl einer gegenseitigen<br />

Vertrautheit. Wir erkannten sehr viele Gemeinsamkeiten aus<br />

der Erziehung, unserer eigenen Kindheit und Jugend, unserer<br />

Schulzeit, ähnlich verlaufende Berufswege und vieles mehr.<br />

Bei den Teilnehmenden überwogen die handwerklichen Berufe,<br />

allein vier Frauen hatten eine Schneiderlehre absolviert.<br />

Einzig der Mann unserer Gruppe hatteAbitur und ein Studium<br />

vorzuweisen. Wir Frauen waren (mit/ohne Berufstätigkeit)<br />

anschließend alle Hausfrauen und mit der Kindererziehung<br />

betraut. Ebenso waren die Kriegs- bzw. Nachkriegsjahre, das<br />

Nebeneinander innerhalb der Generationen bei all den Gesprächen<br />

und Erzählungen präsent. Es galt Lebensspuren zu<br />

entdecken. Wie ist man die Persönlichkeit geworden ist, die<br />

man heute verkörpert? Welche Erfahrungen waren negativ,<br />

welche positiv. Was hat zur Lebensgestaltung beigetragen?<br />

Jede Teilnehmende erhielt eine leere Holzkiste. In diese<br />

wurden Erinnerungsstücke, Gegenstände, Fotos, oder<br />

was jahrelang irgendwo im Verschollenen ruhte, platziert.<br />

Vergangene Ereignisse bekamen dadurch eine „rückschauende“<br />

Bedeutung. Aus den mitgebrachten Materialien wie<br />

Tapetenreste, Wolle, Bastelzeug, Spielzeug unserer Kinder,<br />

etc. entstanden nach und nach die einzelnen kleinen Museen<br />

der eigenen, individuellen Lebensgeschichte.<br />

So unübersehbar uns anfänglich der Plan erschien, umso<br />

intensiver gestalteten wir die Phasen unseres Lebens in eine<br />

kleine Kiste. Sieben „Lebenskisten“ nebeneinander gestellt,<br />

ergeben eine eindrucksvolle Momentaufnahme von<br />

ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten.<br />

Eva Maria Herrmann<br />

2/<strong>2012</strong> 25 Jahre durchblick 33

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!