2012-02
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WOHL DEM, DER EINE HEIMAT HAT!<br />
von Elisabeth Hengstenberg<br />
Da ist noch eine zeitliche Lücke im Nachkriegsjahr,<br />
über die ich berichten muss. Nach unserem Ausflug<br />
zu unserem Vater ins amerikanische Gefangenenlager<br />
bei Bremerhaven, kam ich mir, nach all den<br />
unfreiwilligen Abenteuern, irgendwie unausgefüllt und unnütz<br />
vor. Dabei hatte ich eigentlich genug zu tun, denn die<br />
Rolle des Organisierens für die Familie war mir zugefallen.<br />
Ich war hinter allem her, was wie Nahrung aussah. Überdies<br />
reparierte ich, was mir heute unglaublich vorkommt,<br />
Lampen, stellte Schuhe mit Holzsohlen her, die durchaus<br />
gehfähig waren. Aber vor allem begann ich schon, im Hinblick<br />
darauf, dass Vater wohl bald heimkommen würde,<br />
Möbel und vor allem Heizöfchen für Praxis und Wartezimmer<br />
zu organisieren, eine Bank und Stühle, die Beate<br />
kunstvoll bemalte. In den letzten Kriegstagen hatte eine<br />
explodierende Granate fast alles Mobiliar vernichtet. Traurig<br />
sah der ehemalige Röntgenapparat aus, nur noch ein<br />
leerer Kasten! Dies „Kriegsdenkmal“ blieb auch weiterhin<br />
bestehen, weil Vater es vorzog, hinfort Röntgenaufnahmen<br />
im Krankenhaus zu machen. Mutter und ich sichteten das<br />
überall herumliegende umfangreiche Ahnenmaterial, für<br />
das es keinen Schrank mehr gab. Wie sollten wir das alles<br />
unterkriegen?! Kurz entschlossen machten wir einen nachträglichen<br />
„Bombenangriff“, wie wir es nannten. Ich, die<br />
von Vater eingeweihte „Ahnenforscherin“, schied die Spreu<br />
vom Weizen und Mutter zerriss so manches, was mir nicht<br />
mehr erhaltenswert vorkam. Vater hat nie davon erfahren.<br />
Nun hieß es, nicht nur Lebensmittel für uns daheim<br />
zu organisieren, sondern auch für unseren demnächst zu<br />
Zeitgeschichte<br />
RAUMAUSSTATTER-MEISTERBETRIEB SEIT 1955<br />
GARDINEN<br />
BODENBELÄGE<br />
SONNENSCHUTZ<br />
BETTEN<br />
MATRATZEN<br />
HEIMTEXTILIEN<br />
BEZUGSSTOFFE<br />
Polsterarbeiten ·Betten-, Gardinen- und Lamellenreinigung<br />
Postkartenbild: Bahnhofstr. Marburg an der Lahn ca. 1935<br />
erwartenden Heimkehrer, der zwanzig Kilo abgenommen<br />
hatte und an Anämie litt. Diese Rolle des hamsterns<br />
war mir wie auf den Leib geschrieben. Ich holte mir also<br />
Tauschobjekte bei einigen Iserlohner Firmen, die schon<br />
wieder mit der Produktion begonnen hatten: Nadeln,<br />
Stecknadeln, Sicherheitsnadeln, Hutnadeln, Stricknadeln<br />
und ein großes leeres Deckelglas fanden Platz in meinem<br />
Koffer, dazu ein breiter Suppenlöffel. Auf gings mit dem<br />
Zug nach Hessen zu all den Bauernhöfen, auf denen ich<br />
wie zu Hause war, denen ich aber bisher nur geistige Ware<br />
geliefert hatte. Nun bot ich, wie eine Hausiererin, die Iserlohner<br />
Kleineisenwaren an, die während des Krieges überall<br />
knapp geworden waren. Danach holte ich den großen<br />
Löffel heraus: „Bitte einen Löffel Fett dafür!“Auch geräucherte<br />
Wurst war mir willkommen.<br />
So fanden die<br />
ersten Wirtschaftsbeziehungen<br />
von der britischen<br />
zur amerikanischen Zone<br />
statt. Aber ich sah auch<br />
schon unterwegs Lastwagen,<br />
die es irgendwie<br />
geschafft hatten, die Zonengrenze<br />
zu durchbrechen.<br />
Sie ratterten durch<br />
die Gegend und hinterließen<br />
einen Duft von geräuchertem<br />
Schinken, mit<br />
Holzgas wurden sie angetrieben.<br />
Tauschhandel wie<br />
in der Steinzeit!<br />
Wenn mein Glas<br />
voll war und der Koffer<br />
schwer, trug ich ihn nach<br />
Marburg zur Aufbewah-<br />
Marktstraße 29·57078 Siegen-Geisweid<br />
Telefon <strong>02</strong>71/83041 ·Telefax 85109<br />
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26 25 Jahre durchblick 2/<strong>2012</strong>